Professoren im Dienste der nationalen Erweckung

Das „Kondylis-Institut“ als intellektuelles Querfront-Netzwerk

Im „Verein für Kulturanalyse und Alterationsforschung“ mit Sitz in Hagen und in dem von ihm gegründeten „Kondylis-Institut“ versammeln sich Intellektuelle, die nicht nur eine Nähe zur Fernuniversität Hagen eint, sondern die teils seit Jahrzehnten in der „Neuen Rechten“ aktiv sind.

Im „Verein für Kulturanalyse und Alterationsforschung“ mit Sitz in Hagen und in dem von ihm gegründeten „Kondylis-Institut“ versammeln sich Intellektuelle, die nicht nur eine Nähe zur Fernuniversität Hagen eint, sondern die teils seit Jahrzehnten in der „Neuen Rechten“ aktiv sind.

Steffen Dietzsch, Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität, musste schon ein Zitat des Philosophen Baruch de Spinoza bemühen, um seiner Rechtfertigung an Gewicht zu verleihen: „In einem freien Staat ist jedem erlaubt, zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt“, schrieb er im September 2017 im Online-Magazin GlobKult. Was war passiert? Dietzsch war im September 2017 als Referent auf der „Sommerakademie“ des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda geladen und sah sich anschließend von der Berichterstattung des MDR verunglimpft. TeilnehmerInnen der Sommerakademie, vornehmlich aus dem Umfeld der Identitären Bewegung, hatten die rund 60 antifaschistischen Gegendemonstrant_innen provoziert, und Dietzsch wollte partout nichts mit derartigen „politischen ,rechts/links‘-Straßenaktionen“ zu tun gehabt haben. Für seinen Vortrag auf der Veranstaltung über „Klassiker der Parteienkritik“ rechtfertigte sich Dietzsch in dem Artikel unter dem Spinoza-Zitat freilich nicht: „Ich scheue natürlich keine Diskussionen mit anderen (auch ,rechten‘) Meinungen, trete auch künftig, wenn ich, wie diesmal, eingeladen werde, in solchen Seminaren und Lehrveranstaltungen auf“. Am selben Tag referierten die extrem rechten Juristen Thor von Waldstein und Josef Schüßlburner.

Für Dietzsch sind derartige „Diskussionen“ kein Neuland. Schon im Mai 2009 war er auf dem „17. Berliner Kolleg“ des IfS als Referent zum Thema „Von den Gründen der DDR und ihres Zusammenbruchs“ eingeladen, damals zusammen mit Karlheinz Weißmann, Detlef Kühn und Menno Aden. Im selben Jahr wurde er auch zur „Sommerakademie“ des IfS geladen, war aber „kurzfristig verhindert“. Im Ideologieblatt des IfS, der Sezession, schrieb er zwei Jahre später einen Artikel über „Geistesgeschichtliche Wurzeln der Konservativen Revolution“, und auch die Junge Freiheit erkannte in ihm in einer Rezension seines Buches „Gedankenexperimente“ einen reaktionären Geistesbruder: „Auf jeder Seite ist es bemerkenswert, wie Dietzsch Beiträge zu einer hellen klarsichtigen Aufklärung dem Emanzipationswahn des Neuen Menschen entgegensetzt.“

Das „Kondylis-Institut“

Nun ist Dietzsch nicht der erste Professor, der in den letzten Jahren vom IfS eingeladen wurde. Neben seiner Tätigkeit an der Humboldt-Universität steht er als Direktor des Kondylis-Institus für Kulturanalyse und Alterationsforschung (Kondiaf) einem akademischen Netzwerk vor, dessen Mitglieder in der Vergangenheit nicht nur „gesprächsbereit“ mit der „Neuen Rechten“ waren, sondern deren Positionen auch ganz offen vertreten. Das Institut, das seinen Sitz in Berlin angibt, ging 2006 aus dem im selben Jahr gegründeten Verein für Kulturanalyse und Alterationsforschung mit Sitz in Hagen hervor. Bei einem Großteil der Mitglieder des Instituts — Dietzsch eingeschlossen — handelt es sich um Personen, die eine Lehrtätigkeit an der Fernuniversität Hagen ausüben oder ausgeübt haben. Mit Ulrich Schödlbauer und Peter Brandt stehen zwei (ehemalige) Professoren der Fernuniversität dem Verein für Kulturanalyse und Alterationsforschung vor. Die sichtbaren Aktivitäten des Instituts beschränken sich darauf, jährlich stattfindende Tagungen durchzuführen sowie eine Handvoll „Arbeitspapiere“ zu publizieren. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie wichtig ein solcher Rahmen zur Selbstvergewisserung und Netzwerkbildung ist.

Kondylis und die „Neue Rechte“

Namensgeber des Instituts ist der griechische Philosoph Panagiotis Kondylis (1943-1998). Kondylis, einer wohlhabenden Militär-Familie entsprossen, betätigte sich zu Zeiten seines Wirkens vor allem als Privatgelehrter in Heidelberg. Seine bekanntesten Arbeiten, die er allesamt in deutscher Sprache verfasste und die auch vorrangig in Deutschland rezipiert wurden, befassten sich mit politischer Ideengeschichte. Vor allem seine Werke über den „Konservatismus“ und den „Niedergang bürgerlicher Denkformen“ wurden wohlwollend in Rechtsaußen-Periodika wie Criticon, Junge Freiheit und Sezession bis hin zum Ludendorffer-Blättchen Mensch und Maß rezensiert. So feiert Adolph Przybyszewski in der Sezession Kondylis für seine „intellektuelle Freiheit und Rücksichtslosigkeit“ und vergleicht seine Arbeiten mit denen der neurechten Herzbuben Oswald Spengler und Ernst Jünger.

Armin Mohler, ein weiterer Vordenker der „Neuen Rechten“, sah in Kondylis noch zu seinen Lebzeiten einen „freischwebenden Intellektuellen“ und Verbündeten im Kampf gegen den „menschenrechtlichen Universalismus“. Aus dessen Modell der „planetarischen Politik“ und der darin entwickelten Kritik an „massendemokratischen Ordnungskonzepten“ leitet Mohler zudem die Hoffnung auf eine faschistische Renaissance ab. Dass Kondylis aber von der „Neuen Rechten“ nicht nur zitiert und für seine „geistigen Kneipp-Kuren“ (Przybyszewski) beklatscht wurde, sondern durchaus auch selbst die Nähe zu diesem Spektrum suchte, zeigt zum Beispiel seine Beteiligung an der Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans-Joachim Arndt, einem Schüler Carl Schmitts und exponiertem Vertreter der „Neuen Rechten“.

Völkischer Nationalismus „von Links“

Während der Namensgeber des Kondiaf zu den Stichwortgebern der Neuen Rechten gezählt werden kann, sind zwei weitere Mitglieder des Instituts, Peter Brandt und Herbert Ammon, seit knapp drei Jahrzehnten als selbsternannte Vertreter einer völkisch-nationalen Linken ein fester Bestandteil des Spektrums. Peter Brandt, Sohn des ehemaligen SPD-Bundeskanzlers, war bis März 2014 Professor für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte an der Fernuniversität Hagen. Er ist Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung und Mitglied der Historischen Kommission der SPD. Neben seiner Mitgliedschaft am Kondiaf wird er auch als stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Kulturanalyse und Alterationsforschung in Hagen geführt.

Herbert Ammon wiederum ist Historiker und „politischer Publizist“, der bis 2003 als Dozent für Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin tätig war. Brandt und Ammon eint bis heute ein völkischer Nationalismus, der schon in ihrer gemeinsam verfassten Schrift „Die Linke und die nationale Frage“ von 1981 als politische Leitmaxime umrissen wird. Vertreten wird dort die These, das „deutsche Volk“ sei aufgrund „von außen auferlegter Not“ und „durch nichts zu rechtfertigende Vertreibung“ nicht zur Empathie mit den Opfern des Nationalsozialismus fähig. Diesen Opfermythos versuchten Brandt und Ammon dann in die Friedensbewegung der 1980er Jahre hineinzutragen, mit der Hoffnung auf einen Nationalismus ohne „Schuldkult“. In den Gruppen Initiativkreis Friedensvertrag und Koordination Friedensvertrag sowie bei der Arbeit an der Denkschrift „Friedensvertrag, Deutsche Konföderation, Europäisches Sicherheitssystem“ arbeiteten Brandt und Ammon in den 80er Jahren mit Theodor Schweisfurth (Autor u.a. in Wir selbst, Junge Freiheit), Rolf Stolz (Autor u.a. in Junge Freiheit, Compact) und Gerhard Josewski (Umfeld des Collegium Humanums) zusammen; sie zielten auf eine nationalrevolutionäre Ausrichtung der Linken.

Dauerthema „deutscher Schuldkomplex“

Wie ernst es Brandt auch Jahre später noch mit der Querfront war, bewies er 2009, als er sich an einem Buch von Jürgen Elsässer beteiligte und dessen Volksinitiative gegen das Finanzkapital als „interessante Initiative“ bewertete. In einem Interview mit der Jungen Freiheit im Jahr 2010 sprach Brandt zudem über eine „deutsche Neurose“, die „Selbstgeißelung“ der Deutschen als „Tätervolk“ und das nationale Kollektiv als „wichtiges Element unseres Daseins“. Auch Ammon, der seit den 1980er Jahren regelmäßig in extrem rechten Zeitschriften publiziert, schrieb 1985 in Wir selbst von einem „de-facto-Besatzungszustand in Deutschland“ und 2005 in der Jungen Freiheit vom „deutschen Schuldkomplex“. 1995 und 2001 zählte er nach öffentlicher Kritik an der Jungen Freiheit jeweils zu den Unterzeichner_innen einer Unterstützungserklärung für die Zeitung.

Das „GlobKult“-Magazin

Wie sehr Brandt und Ammon sich von den völkischen Raumgewinnen der vergangenen Jahre beflügelt fühlen, lässt sich regelmäßig im von Brandt herausgegebenen Online-Magazin GlobKult nachlesen. Neben Brandt und Ammon verfassen auch Dietzsch und Schödlbauer dort regelmäßig „Nachdenkliches“ im Stile professoraler Selbstgefälligkeit. Neben einer Vielzahl von Gastbeiträgen teils prominenter Verfasser_innen zählen die Mitglieder des Kondiaf zu den Stammautor_innen. Auf GlobKult findet sich auch Brandts Nachruf auf den Nationalrevolutionär Henning Eichberg. Mit diesem Vordenker der „Neuen Rechten“ waren Brandt und Ammon persönlich bekannt, nicht zuletzt, weil beide jahrelang für Eichbergs Hauspostille Wir Selbst geschrieben hatten.

Brandt verteidigt Eichbergs völkischen Nationalismus gegen einen bloß ökonomischen „Standortnationalismus“: „Wenn Eichberg sich positiv auf Volk und Nation bezog, dann ging es ihm nicht um das ,nationale Interesse‘, sondern stets um die nationale Identität“. Auch Schödlbauer, Professor für Neue deutsche Literaturwissenschaft und Medientheorie an der Fernuniversität, ergeht sich auf GlobKult in rechtsnationalen Positionen zur „Flüchtlingskrise“. „Der Kampf gegen Rechts“, entgegnet Schödlbauer den Kritiker_innen der AfD, diene der Verschleierung von „Massenzuwanderung“ und „Islamisierung“ — eine „Wirklichkeit“, die von „der Linken“ aus Naivität und Selbsterhaltungsdrang nicht benannt werde.

Zu den Stammautor_innen des Online-Magazins zählt neben den Akademiker_innen aus dem Umfeld des Kondylis-Instituts auch der ehemalige sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber. Wie Brandt sieht sich auch Weißgerber dem Nationalismus „von links“ verpflichtet. So kreisen seine Positionen um den Vorwurf an die eigene Partei, die „Außer Rand und Band-Zuwanderung“ der letzten Jahre nicht verhindert zu haben. „Den Ideologen der SPD-Linken“, so Weißgerber in reinster AfD-Manier, „ist Zuwanderung […] wichtiger als die deutsche und europäische Sicherheit nach innen und außen“.

Baustein im Netzwerk

Als Dietzsch 2009 seinen Auftritt beim Berliner Kolleg hatte und Brandt Applaus für Elsässers „Volksinitiative“ spendete, war von einem Bündnis aus Salonfaschismus und Querfrontnationalismus noch nichts zu erahnen. Heute arbeiten IfS und Compact am geistigen Fundament der AfD, teilen sich Bühnen und unterstützen zusammen Kampagnen. Das Kondylis-Institut an der Fernuniversität Hagen steht so stellvertretend zum einen dafür, wie gut und langfristig diese unterschiedlichen Positionen der extremen Rechten koexistieren können, und zum anderen dafür, wie etabliert derartige Netzwerke im akademischen Betrieb sind.

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