LOTTA

Profilneurotiker mit Selfiestick?

„YouTube“ als Plattform extrem rechter AktivistInnen

Die Video-Plattform „YouTube“ hat für die Online-Strategien der extremen Rechten hohe Bedeutung. Nahezu sämtliche extrem rechten Organisationen und Zeitschriften betreiben auf der Plattform eigene Kanäle. Immer mehr Rechte fühlen sich zudem dazu berufen, als „YouTuber“ selbst regelmäßige Videos zu veröffentlichen.

Die Video-Plattform „YouTube“ hat für die Online-Strategien der extremen Rechten hohe Bedeutung. Nahezu sämtliche extrem rechten Organisationen und Zeitschriften betreiben auf der Plattform eigene Kanäle. Immer mehr Rechte fühlen sich zudem dazu berufen, als „YouTuber“ selbst regelmäßige Videos zu veröffentlichen.

Zunächst vor allem zur Präsentation von Rechtsrock und NS-Propagandavideos genutzt, wird über YouTube mittlerweile versucht, „alternative Medienangebote“ zu etablieren. Diese sind häufig durch die Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen, vor allem über Migration und Islam, gekennzeichnet. Die Inhalte gehen oftmals mit verschwörungsideologischen Ansichten und antisemitischen Bezügen einher. Die Zahl dieser Kanäle ist kaum zu überblicken. Der Algorithmus von YouTube sorgt dafür, dass dem User automatisch weitere ähnliche Videos gezeigt werden. Auch im Falle extrem rechter Propaganda kann so schnell ein fast unaufhörlicher Fluss entstehen.

Attraktiv für politische Propaganda wird die zum Google-Konzern Alphabet gehörende Plattform durch ihre Beliebtheit nicht zuletzt bei Kindern und Jugendlichen. Laut einer Studie des Verbands Bitkom aus dem Jahr 2017 nutzt bereits jedes zweite Kind im Alter von 10 und 11 Jahren regelmäßig YouTube, 76 Prozent der 16- bis 18-jährigen posten ab und zu selbst ein Video. 36 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen bezeichnen einen YouTuber als ihren Lieblingsstar. Videos von diesen auch als „Influencer“ bezeichneten YouTube-„Stars“ erreichen regelmäßig Millionen Menschen. Sie zeigen Ausschnitte aus ihrem Privatleben, bieten Tipps und Ratschläge sowie nicht selten Produktwerbung oder kommentieren aktuelle — virtuelle wie nicht-virtuelle — Geschehnisse.

Selbstdarstellung als Erfolgsmodell?

Im Oktober 2018 gewann der Film „Lord of the Toys“ der Filmemacher Pablo Ben Yakov und André Krummel den Preis für den besten deutschen Langfilm des Leipziger Festivals DOK. Die Dokumentation begleitet einige YouTuber um den Dresdener Max Herzberg, der die Kanäle „AdlerssonPictures“ und „AdlerssonReview“ betreibt. Auch Herzberg sendet teilweise live Geschehnisse aus seinem Leben und postet Produkttestberichte. Ein Großteil seiner Follower sind jugendlich. Der 22-Jährige hat Reichweite — seinem „Review-Kanal“ folgen beinahe 290.000 Menschen, dem anderen Kanal knapp 190.000.

Seine Videos bei „AlderssonPictures“ brachten ihm die Kritik ein, mit NS-Inhalten zu spielen, rassistische und sexistische Äußerungen zu verbreiten und damit zu deren Normalisierung beizutragen. Aus diesen Gründen kritisierte das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz anlässlich der Preisverleihung die Machart des Films. Ohne kritische Einordnung kämen extrem rechte Personen zu Wort, in der Premiere hätten antisemitische Sprüche und „Witze“, für Lacher gesorgt. Andere Sichtweisen, etwa Betroffenenperspektiven, fehlten ebenso wie eine kritische Einordnung der Verbindungen Herzbergs zur Identitären Bewegung (IB), insbesondere zu Alexander Kleine aus Leipzig.

Von laut gelacht zu „Laut gedacht“

Alexander Kleine ist selbst ein — weniger erfolgreicher — YouTuber. Als „Malenki“ postet er Videos zur Imkerei und zum Umgang mit Waffen, vor allem aber von IB-Aktionen. Rechte User bekommen somit bei Herzberg Spaß, bei Kleine hingegen Politik geboten. Letzterer ist Leiter der IB in Leipzig und betreibt zusammen mit Philip Thaler (Kontrakultur Halle) seit 2016 das YouTube-Projekt „Laut gedacht“. Am 29. November 2018 veröffentlichte „Malenki“ auf seinem eigenen Kanal ein vierzigminütiges Gespräch mit Max Herzberg, in dem es um dessen Wahrnehmung der Debatte um „Lord of the Toys“ ging. Im Intro bezeichnete Kleine Herzberg als „unpolitische Person“, die „politisch unkorrekt“ sei und „keinen Bock“ habe, „sich von Linken irgendwas vorschreiben zu lassen.“ Unter dem Video wiesen mehrere User darauf hin, dass Herzberg seinen Gesprächspartner „feature“ und mit seiner Popularität dem IB-Aktivisten zu weitaus mehr Reichweite verhelfe, als dieser sonst erreiche. Das Video wurde bei YouTube mehr als 74.000 mal aufgerufen. „Malenkis“ Kanal hat knapp 7.900 Abonnent_innen, seine Videos werden zumeist kaum mehr als 10.000 mal geklickt.

Das Format „Laut gedacht“ hingegen verfügt über 30.900 Abos. Es hat den Anspruch, wöchentlich zu erscheinen, bislang sind mehr als 100 Folgen online. Der Kanal ist Sprachrohr der „Identitären“. Die Macher versuchen mit ihrem „hippen“ Auftreten Jugendliche anzusprechen, beispielsweise wenn sie einer Folge den Titel „Alex Gauland bester Mann“ verpassen. Auch ist das Format aufgrund der Kürze der Folgen zugänglicher als die halbstündigen Wohnzimmer- oder Autofahrt-Monologe vieler anderer rechter YouTuber. Den mehrheitlich aus der Generation der „digital natives“ bestehenden „Identitären“ liegt diese Art der Propaganda. Doch auch andere IB-YouTuber wie Leonard Fregin („Operation Fregin“, 9.682 Abos) verfügen nicht über die Reichweite von Martin Sellner, dem Kopf der österreichischen IB, mit seinen über 80.000 Abos und insgesamt 12 Millionen Klicks.

„Für die Eigenen“

Eine noch größere Resonanz erreicht Timm Kellner alias Tim K. aus Horn-Bad Meinberg (Kreis Lippe/NRW). Seinem Kanal, in dem er die Themen der extremen Rechten bedient, folgen über 100.000 Menschen. Kellner ist eine illustre Gestalt: Obwohl als Polizist tätig, ging er auf Tuchfühlung mit dem Rocker-Milieu, wurde wegen Körperverletzung verurteilt und vom Dienst suspendiert. Er verfasste ein Buch, in dem er sich als Opfer einer Polizei-Intrige darstellt und gründete 2015 den 1%-Motorradclub Brothers MC mit. 2017 trennten sich der MC und er, seitdem firmiert Kellner als Präsident des Chapter Brothers MC Salt City, das in seiner Heimatstadt über ein Clubheim verfügt. Kellner legt Wert darauf, dass er einen deutschen Club führt, in dem nur Menschen „aus dem westlichen Kulturkreis, keine Migranten, keine Moslems“ Mitglied werden können.

Seine Karriere als rechter Online-Aktivist startete Anfang 2016 mit Äußerungen zu den sexualisierten Übergriffen in der Silversternacht in Köln und der Ankündigung des Brothers MC, künftig zum Schutz von Frauen zu patrouillieren. Im April 2018 trat Kellner erstmals auf einer Demonstration in Hannover als Redner auf. Es folgte ein Auftritt am 29. August 2018 in Chemnitz, wo er erklärte, das „komplette System muss rückabgewickelt werden“. Dort stellte er auch seine „Sammlungsbewegung“ Für die Eigenen — Die Liste vor: Was Sahra Wagenknecht auf der linken Seite mache, wolle er auf der konservativen umsetzen.

Reportagen aus „besetztem Gebiet“

Ein weiterer reichweitenstarker YouTuber ist Nikolai Nerling (58.498 Abos). Unter dem Namen „Der Volkslehrer“ wendet er sich vor allem an die Neonaziszene, Verschwörungsfans und das Pegida-Umfeld. Bekanntheit erlangte er aufgrund eines arbeitsrechtlichen Verfahrens: sein Arbeitgeber, das Land Berlin, kündigte dem Lehrer an einer Grundschule in Gesundbrunnen, da ihm Verstöße gegen die demokratische Grundordnung vorgeworfen wurden. Das Verfahren läuft noch. Hohen Stellenwert haben Inhalte, die der „Reichsbürger“-Ideologie zuzuordnen sind. In einer Episode besucht er die US-Air-Base Ramstein in Rheinland-Pfalz und stellt anhand ihrer Existenz fest, dass Deutschland „immer noch“ besetzt sei. Das Video endet mit der Texteinblendung: „Auf ein baldiges Ende unserer Gefangenschaft“.

Wie auch andere rechte YouTuber stellt sich Nerling in seinen Videos häufig als vermeintlich neutraler Beobachter dar, was durch seinen Ansatz, ruhig, bedacht und etwas naiv aufzutreten, verstärkt wird. Ein Grund für seine Popularität, die mitunter den Neid von anderen Personen aus der Reichsbürgerszene auf ihn lenkt, liegt darin, dass er für Reportagen seine Wohnung verlässt und seinem „Interessensgegenstand“ persönlichen Besuch abstattet. So drehte Nerling ein langes, vermeintlich dokumentarisches Video über das „Schild und Schwert“-Festival 2018 in Ostritz und führte Interviews mit Die Rechte-Funktionären wie Sascha Krolzig oder Michael Brück. Insbesondere die Solidarität mit HolocaustleugnerInnen hat es ihm angetan. Am 10. November 2018 trat er in Bielefeld auf der Solidaritätsdemonstration für Ursula Haverbeck sogar als Redner auf.

Dass YouTube-Formate auch für die Neonaziszene wichtiger geworden sind, zeigte sich im September 2018, als Die Rechte und Frank Krämer ein Video einer „Podiumsdiskussion“ produzierten, an der neben den beiden Kadern Alexander Deptolla und Krolzig auch Philipp vom YouTube-Kanal „Orwellzeit“ teilnahm. Letzterer erzählte, dass er seit 2015 Videos drehe. Er sei dann „auf die Wahrheit gestoßen“ und radikaler geworden. Nun verbreitet er biologistische Rassentheorien und Podcasts mit Titeln wie „Juden und unsere Eugenik“.

„Der dritte Blickwinkel“

Der im Rhein-Sieg-Kreis lebende Frank Krämer ist ein Beispiel für einen langjährig aktiven Neonazi aus der Kameradschaftsszene, der nun auf YouTuber macht. Sein Kanal „Der dritte Blickwinkel“ verfügt über 10.000 Abos. Er zeigt keinerlei Berührungsängste zu anderen YouTubern und nutzt Gespräche mit diesen zur Verbreitung neonazistischer Ideologie. Er geriert sich dabei als sachlich argumentierender Nationalist, propagiert aber offen Rassentheorien und bezeichnet den Nationalsozialismus als historisches Beispiel eines wünschenswerten, nicht-kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Besondere Aufmerksamkeit erregte Krämer durch die Zusammenarbeit mit dem schwarzen Videoblogger Nana Domega. Sie erstellten mehrere Videos zum Thema „Multikulturalismus vs. Nationalismus“, die sie als Versuch bezeichneten, einen Dialog zwischen grundsätzlich anderen gesellschaftspolitischen Meinungen zu führen. Die unkritische Herangehensweise Domegas ist dabei haarsträubend.

Vernetzung und Werbung

Auffällig ist der rege Austausch und die gegenseitigen Verweise dieser YouTuber untereinander: Hagen Grell (67.000 Abos) interviewt den „Volkslehrer“, dieser wiederum trifft sich mit Frank Krämer zum Gespräch. So entsteht ein selbstreferenzielles Netzwerk. Auch der IB-Kanal „Laut gedacht“ geht auf diese Art vor. So wurde im Januar 2017 der YouTuber Miró Wolfsfeld aus Köln vorgestellt. Dieser plädierte dafür, „libertäre Gedanken“ verstärkt mit „identitären Kreisen“ zu vernetzen und bewarb seinen Kanal „Unblogd“ (27.048 Abos). Wolfsfeld revanchierte sich im August 2018 mit einem Video über das „Europa-Nostra-Festival“ der IB in Dresden. Dort interviewte er vor allem Thaler und Kleine, die wiederum „Laut gedacht“ bewarben.

Die kommerziell erfolgreichsten YouTube-Stars aus dem Mainstream können von ihren Videos gut leben, wobei sie eher weniger an der Beteiligung an den Werbeeinnahmen als durch Sponsoring und Product Placements verdienen. Auch die extrem rechten YouTuber versuchen, mit ihren Videos Spenden zu akquieren und ihre Produkte zu verkaufen: Krämer bewirbt die CDs seiner RechtsRock-Band Stahlgewitter, die über seinen Sonnenkreuz Versand zu beziehen sind, Sellner die neuen T-Shirts seines IB-Versands Phalanx Europa. Kellner kurbelt den Verkauf seiner Bücher an. Die Selbstvermarktung nimmt ähnlich viel Raum ein wie der politische Anspruch.