r-press

Verquere „Querfront“?

Einschätzung der Bewegung der Pandemie-Leugner*innen

Zu Beginn der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie herrschte noch Unklarheit über die politische Verortbarkeit der Protestakteur\*nnen. Mittlerweile weisen Berichterstattungen über Protestbeobachtungen und Auswertungen des Protestgeschehens in vielerlei Hinsicht deutlich auf eine rechte Radikalisierung des Akteursfeldes hin.

Zu Beginn der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie herrschte noch Unklarheit über die politische Verortbarkeit der Protestakteur*nnen. Mittlerweile weisen Berichterstattungen über Protestbeobachtungen und Auswertungen des Protestgeschehens in vielerlei Hinsicht deutlich auf eine rechte Radikalisierung des Akteursfeldes hin. Als ein „Zeichen einer allgemein zu beobachtenden Radikalisierung, eines Auseinanderdriftens verschiedener Teile der Gesellschaft“ bezeichnet etwa der Historiker Sven Reichardt die Proteste. Die Anti-Corona-Maßnahmen-Bewegung sei nicht etwa durch eine eigene Ideologie gekennzeichnet, sondern vielmehr als eine „Misstrauensgemeinschaft“ zu verstehen. Weitere Forschungsergebnisse bestätigen diese Einschätzung. Der Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) der Hochschule Düsseldorf hat zusammen mit externen Kollegen unter Leitung von Fabian Virchow eine Auswertung des Protestgeschehens in NRW vollzogen, die im Form eines Kurzgutachtens veröffentlicht worden ist (siehe Literaturhinweis im Anhang). Hierbei konnte festgestellt werden, dass sich die Proteste nicht nur zu einem Magnet für die unterschiedlichen organisierten Strömungen der extremen Rechten in NRW — von der AfD über NPD, Die Rechte, Der III. Weg bis zu „Reichsbürgern“, Identitäre Bewegung, rechten Hooligans und weiteren extrem rechten Seilschaften — entwickelt haben. Zugleich wurde deutlich, dass losgelöst davon auch eigene organisatorische Bestrebungen zur Formierung als neue soziale Protestbewegung auf der Straße vollzogen wurden. So lassen sich hinsichtlich der Paradigmen sozialer Bewegungsforschung bei den selbsternannten „Querdenkern“ mobilisierende kollektive Akteur*innen erkennen, die auf der Grundlage hoher symbolischer Integration mittels variabler und kontinuierlicher Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgen, grundlegenden sozialen Wandel herbeizuführen. Die Protestströmung kann demnach als soziale Bewegung angesehen werden. Diese Bewegung als heterogene „Misstrauensgemeinschaft“ hat folglich Attraktivität für die organisierte extreme Rechte, weil sie ihr Misstrauen gegen staatliches Handeln in Form von Verschwörungserzählungen, strukturellem Antisemitismus und autoritaristischen Widerstandspostulaten zum Ausdruck bringt. Zugleich hat sie eigene, politisch rechts umgedeutete, Begriffe und „Fahnenwörter“ herausgebildet, die identitätsstrukturierend Verwendung finden: So wird der Freiheitsbegriff zum einen in unsolidarischer und hyperindividualistischer Manier dazu in Anspruch genommen, keine Maske tragen zu müssen und sich das Recht zur Ablehnung weiterer Schutzmaßnahmen herausnehmen zu können, wenn diese egoistischen Bedürfnislagen widersprechen. Zum anderen wird — etwa im Rahmen einer Versammlung der Corona Rebellen Düsseldorf am 31. Oktober 2020 — von der „Sklavenmaske dieses Verbrecherregimes“ schwadroniert. Hier wird eine weitere Umdeutung des Freiheitsbegriffs sichtbar, nämlich die Erzählung von einer Diktatur, die im Zuge der Bekämpfung von Covid-19 errichtet worden sei und gegen die angeblich die Grundrechte und die Freiheit zu verteidigen seien. Die verquere und instrumentelle Inanspruchnahme des Demokratischen wird demnach aus der Verdrehung historischer und aktueller Tatsachen abgeleitet, indem staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als „Ermächtigungsgesetz“ und Ausdruck einer „Corona-Diktatur“ diffamiert werden, gegen die die Pandemie-Leugner*innen mit Bezugnahme auf Art. 20, Abs. 4 Grundgesetz das „Recht auf Widerstand“ in Anspruch zu nehmen versuchen. Verquere Geschichtsverdrehungen paaren sich mit grundgesetzfeindlichen Forderungen nach Errichtung einer „verfassungsgebenden Versammlung“ durch die „Querdenker“-Bewegung, die unter anderem dazu geführt haben, dass diese sogar zu einem geheimdienstlichen Beobachtungsobjekt wurde.

Ein „Extremismus neuer Art“?

Die baden-württembergische Verfassungsschutzbehörde hat Querdenken 711 und seine regionalen Ableger im Bundesland zum Beobachtungsobjekt erhoben. Der Inlandsgeheimdienst sieht laut Innenminister Thomas Strobl „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung“. Begründet wird dies damit, dass maßgebliche Akteure der Querdenken-Bewegung selbst dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zugeordnet werden, sowie überregionale Zusammenarbeit mit „anderen bekannten extremistischen Akteuren aus dem Milieu der ‚Reichsbürger‘ sowie aus dem Rechtsextremismus, die sich in jüngerer Zeit weiter verfestigt hat“. In einer gemeinsamen Analyse der Geheimdienste von Bund und Ländern heißt es, zum Teil befänden sich unter den Demonstrierenden ganz „normale“ Bürger*innen, zum Teil klassische „Rechtsextremisten“. Es sei aber auch von einem „neuartigen Extremismus“ auszugehen — „Gruppen, die Verschwörungsmythen verbreiten und damit das Vertrauen in staatliche und weitere Institutionen unterminieren wollen“. Um welche Art von neuem „Extremismus“ es sich dort handeln soll, bringt der Hamburger Verfassungsschutzchef Torsten Voß mit dem Begriff eines „neuen Verschwörungs-Extremismus“ zum Ausdruck — ein Beispiel hierfür sei die Verbreitung der QAnon-Verschwörungserzählung.

Oder alter Wein in neuen Schläuchen?

Wirklich neu sind jedoch weder Verschwörungserzählungen noch die „Reichsbürger“-Ideologie. Esoterische, rechte und antisemitische Verschwörungstheorien haben nicht nur eine lange Geschichte, sondern sind gewissermaßen identitätsprägend für extrem rechte Weltanschauungen. Populär lässt sich dies veranschaulichen an Adolf Hitler, der als junger arbeitsloser, gescheiterter Kunstmaler in Wien vom Antisemitismus des Deutschnationalen Georg Schönerer stark beeinflusst wurde und laut der Historikerin Brigitte Hamann auch die Ostara-Hefte des mit Schönerer eng verbundenen Lanz von Liebenfels sowie Schriften von Guido von List, dem Begründer der rassistisch-okkultistischen Ariosophie las. Ariosophie, Theosophie und zu Teilen auch die Anthroposophie Rudolf Steiners sind esoterische Glaubenslehren, die weltanschauliche Brücken zur extremen Rechten geschaffen haben, welche aktuell bei den Protesten der Pandemieleugner*innen erneut als geistige Verbindungslinien zwischen esoterisch-alternativen und extrem rechten Milieus sichtbar werden. Auch die Impfgegnerschaft hat eine Tradition in diesen Kreisen: Schon früh fanden sich Anknüpfungspunkte zu jenen gesellschaftlichen Milieus, die heute noch die Impfgegner*innen mitprägen. So sprachen sich schon die theosophische Vordenkerin Helena Blavatsky (1831—1891) und auch Rudolf Steiner (1861—1925) gegen das Impfen aus, was eine Teilerklärung für die Vielzahl von Esoteriker*innen und sogenannten Naturheilkundler*innen auf heutigen Demonstrationen ist. Verknüpfungen zum Antisemitismus gibt es spätestens seit Eugen Dühring (1833—1921), einem frühen Sozialdemokraten, der Eduard Bernstein beeinflusste und heute noch bekannt ist aufgrund von Friedrich Engels Gegenschrift des „Anti-Dühring“. Seine These ist in Kurzform die, dass Impfen von jüdischen Medizinern aus kommerziellen Gründen durchgesetzt werde, eine Vorstellung, die sich heute bei der „Germanischen Neuen Medizin“ wiederfindet. So schrieb Dührung 1879: „Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit dem Impfzwang. Der ärztliche Beruf ist wohl unter allen gelehrten Geschäftszweigen nächst dem der Literaten am stärksten von Juden besetzt. Die künstliche Beschaffung einer Menge von Nachfrage nach ärztlichen Diensten ist ein Gesichtspunkt, dessen Betätigung immer ungenierter geworden ist. Sozialökonomisch betrachtet, also auch von dem Impfaberglauben selbst abgesehen, ist der Impfzwang immer ein Mittel, durch welches dem ärztlichen Gewerbe eine unfreiwillige Kundschaft zugeführt wird. So etwas ist mehr als Monopol; es ist ein Zwangs- und Bannrecht und weniger unschuldig als die mittelalterlichen, die sich doch nur auf so etwas wie Brauen und Mahlen, aber doch nicht bis in unser Blut hinein erstreckten. Die Juden sind es aber auch hier gewesen, die durch die gesamte Presse und durch ihre Leute und Genossen im Reichstage das Zwangsrecht als selbstverständlich befürwortet, dem Streben der Ärzte überall den Stempel bloßer Geschäftlichkeit aufgedrückt und die Besteuerung der Gesellschaft durch Aufnötigung ärztlicher Dienste zum Prinzip gemacht haben.“ Bereits hier ist eine Verschwörungserzählung heutiger Pandemieleugner*innen erkennbar: Politik und Presse setzen sich angeblich für unklare, verschleierte (jüdische) Interessen ein.

Das „Querfront“-Theorem

Seit den Corona-Protesten ist erneut der „Querfront“-Begriff öffentlich bemüht worden, so etwa auf der Homepage von Bündnis 90/Die Grünen: „Viele Corona-Proteste der letzten Wochen und Monate zeichnen sich durch die Bildung einer Querfront verschwörungstheoretischer und rechter Akteure aus.“
Der Begriff „Querfront“ kennzeichnet ursprünglich das Bestreben unterschiedlicher politischer Gruppierungen von rechts und links zur Zusammenarbeit, um das „System“, die liberale Ordnung, zu zerstören. Solche Konzepte stammen aus den 1920er Jahren. In der Weimarer Republik gab es immer wieder vage Annäherungen rechter und linker Gruppen, Einzelpersonen und Positionen, ohne dass daraus realpolitische Bündnisse folgten. Beispielsweise versuchte Armin Moeller van den Bruck bereits 1923, Sozialismus und Nation theoretisch näherzubringen. Rund um die Zeitschrift Die Tat entwickelte sich dann zwischen 1929 und 1933 im Umkreis der „Konservativen Revolution“ unter Leitung von Hans Zehrer ein Autorenkreis, der linke und rechte Positionen vertrat und „Querfront“-Strategien entwickelte. Das bekannteste realpolitische „Querfront“-Konzept war der Versuch des letzten Reichskanzlers der Weimarer Republik, General Kurt von Schleicher, mit eher „rechten“ Vertretern vor allem der freien Gewerkschaften und der SPD sowie dem „linken“ Flügel der NSDAP, repräsentiert vor allem durch Gregor Strasser, eine stabile „Querfront-Regierung“ zu bilden. Ein Versuch, der bekanntlich nicht zuletzt daran scheiterte, dass Strasser sich nicht gegen Hitler durchsetzen konnte. Die heutige Bewegung der Pandemie-Leugner*innen kann aber nicht als „Querfront“-Bewegung bezeichnet werden, weil sie keine nennenswert starken linken Strömungen aufweist. Allerdings tauchen im kulturellen Rahmenprogramm der Proteste Beispiele für von „Querfront“-Ideen beeinflussten Menschen auf. So das Duisburger-Rap-Duo Die Bandbreite. Die beiden Rapper wurden aus der Sozialistischen Jugend Deutschlands — Die Falken ausgeschlossen, traten über Jahre auf den „Mahnwachen für den Frieden“ auf und sind jetzt auf Pandemieleugner*innen-Veranstaltungen anzutreffen, wie etwa Marcel Wojnarowicz am 26. Juni 2020 in Köln und am 6. Dezember 2020 in Düsseldorf. Zudem sind sie als Impfkritiker unterwegs und nach eigenen Angaben mit dem der antisemitischen „Germanischen Neuen Medizin“ nahestehenden Impfgegner Hans Tolzin befreundet. Ihre Texte sind krude Mischungen aus oberflächlich linken Schlagworten, Israel-Anfeindungen und Anfeindungen der Bundesregierung, weil diese angeblich einen neuen Faschismus aufbauen wolle. Das reicht, um vom Herausgeber des Compact-Magazins Jürgen Elsässer gelobt zu werden. Der frühere Linke und heutige extrem Rechte Elsässer hatte schon zur Zeit der „Montags-Mahnwachen für den Frieden“ im Jahr 2014 versucht, eine „nationale Front“ von Antiimperialist*innen, Friedensbewegten, Verschwörungsgläubigen und extrem Rechten zu bilden. Um sich sammelte die Compact-Crew den angeblich friedensbewegten Teil der Anhänger*innenschaft eines stumpfen, antiimperialistisch verbrämten Antiamerikanismus, die „Reichsbürger“-Bewegung, eine Schar rechtsesoterischer „Alternativ-Medien“ und „Truther“-Projekte. „Truther“ sind Verschwörungserzähler*innen, die unter anderem der offiziellen Version über den Verlauf der Terror-Anschläge vom 11. September 2001 eine angebliche „Wahrheit“ gegenüberzustellen versuchen. Gewissermaßen aus der Tradition der „Montags-Mahnwachen für den Frieden“ entwickelte sich eine verschwörungsgläubige „Wahrheitsbewegung“ in Ablehnung von Wissenschaft und „Mainstream-Medien“ mit zeitweise eigenen Internet-Sendern wie dem Quer-DenkenTV (siehe LOTTA #60). Als dessen Initiator trat ein gewisser Michael Vogt in Erscheinung, der auch in der „Wissensmanufaktur“ aktiv war, die später unter anderem bei den „Alternativen Wissenskongressen“ mitwirkte, die unter anderem von AfD-Aktivisten in NRW organisiert wurden. Hier schließt sich der Kreis der rechten „Querdenker“-Schar wieder, und ganz vorne dabei ist wiederum das extrem rechte Compact-Magazin, das sich als Leitblatt aller Pandemie-Leugner*innen zu inszenieren versucht.

Milieuverschiebung

Das eher Neue am „Querdenker“-Wahnsinn drückt sich unter anderem an dem Szenenwechsel und der Wähler*innenwanderung bestimmter Milieus aus, die vor der Pandemie noch eher im sogenannten Alternativmilieu zu verorten waren. Laut einer Untersuchung des Soziologen Oliver Nachtwey, der mit seinem Forschungsteam Pandemie-Leugner*innen im süddeutschen und schweizerischen Raum befragt hat, gab die Mehrheit der Befragten an, früher eher „grün“ gewählt zu haben. Die Forscher*innen konnten einen bekundeten Wähler*innenwandel von Bündnis 90/Die Grünen hin zur AfD feststellen. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass es auch in der Anhänger*innen schaft von Bündnis 90/Die Grünen und den damit kulturell verbundenen Milieus einen Kern von Anhänger*innen von ganzheitlicher Medizin, Anthroposophie, Impfgegnerschaft, Esoterik, Wissenschaftsskepsis und schlichtem politischen Querulantentum gegeben hat, die vor der Pandemie noch scheinbar alternativ verankert waren und nun im Zuge des Protestgeschehens im Sog von Querdenken neue „Wahrheiten“, neue Peergroups und politische Anker gefunden haben. Ob dieses Milieu sich künftig jedoch mit bekennenden Neonazis und Hooligan-Schlägern wohl fühlen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Zukunft von „Querdenken“

Auch ob die Pandemie-Leugner*innen-Szene 2021 weitere Verbreitung finden kann, ist mehr als nur zweifelhaft. Ober-„Querdenker“ Michael Ballweg hat sogar angekündigt, vorerst keine weiteren Demonstrationen mehr anzumelden. Doch das Ende der „Querdenker“-Bewegung auf ihrer Suche nach „alternativen Wahrheiten“ wird damit nicht eingeleitet sein. Hier bietet sich im Superwahljahr 2021 die AfD als neues Trittbett an. AfD-Strippenzieher Alexander Gauland verkündete diesbezüglich: „Wir sind eine Bewegungspartei, die auch Kontakt zu bestimmten Protestgruppen pflegen sollte. Das gilt für ‚Querdenken‘, aber auch für Pegida in Dresden oder für den Verein Zukunft Heimat aus Cottbus.“ (siehe hierzu den Artikel auf S. 17—18). In diesem Jahr werden die bislang noch wenig diskutierten sozioökonomischen Folgen mehr ins öffentliche Bewusstsein dringen und auch die Wahlkämpfe prägen. Der völkische Sozialpopulismus der AfD könnte dann zum Protestangebot für diese rechte „Querdenker“-Bewegung in der Wahlkabine werden.

__________________

Literaturtipp:
Fabian Virchow/ Alexander Häusler (2020):
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen
CoRE-NRW-Kurzgutachten 3
CoRe, Bonn November 2020.