„Botschafter der Aussöhnung“?

Die „Landsmannschaft Ostpreußen” in NRW

Der NRW-Landesverband der „Landsmannschaft Ostpreußen” (LO) fährt geschichtspolitisch einen krassen Rechtskurs: Er publiziert Texte, die unter anderem die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg in Frage stellen. Im Landtag NRW wird er von der Parlamentspräsidentin (SPD) freundlich empfangen.

Der NRW-Landesverband der „Landsmannschaft Ostpreußen” (LO) fährt geschichtspolitisch einen krassen Rechtskurs: Er publiziert Texte, die unter anderem die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg in Frage stellen. Im Landtag NRW wird er von der Parlamentspräsidentin (SPD) freundlich empfangen.Was hat die Landsmannschaft Ostpreußen mit dem Neonazi Thorsten Heise zu tun? Nichts, sollte man meinen. Die „Vertriebenen”-Verbände stehen rechts, doch Kontakte zu Neonazis weisen sie offiziell stets entrüstet zurück. Was ist also mit den Ostpreußen und Heise? Nun, in seinem neuen Rundschreiben druckt der NRW-Landesverband der Landsmannschaft einen Hinweis ab, den er dem verschwörungsideologisch-antisemitischen PHI-Pressedienst entnommen hat. Es handelt sich um Werbung für den Besuch eines Denkmals mit der Inschrift: „Wir gedenken der Millionen wehrloser deutscher Opfer von Bombenterror, Flucht und Vertreibung, Gefangenschaft und Nachkriegsverbrechen der Sieger seit 1945”. Wer sich im thüringischen Eichsfeld aufhalte, solle „dort zu stillem Gedenken eine Pause machen”, empfehlen der PHI-Pressedienst und das Ostpreußen-Rundschreiben aus NRW. Die Gedenkstätte sei leicht zu finden: Sie befinde sich auf dem Rittergut Hanstein in der Dorfstraße in Fretterode. Der Besitzer des Ritterguts wird nicht namentlich genannt. Es ist der Neonazi Heise, ehemaliger niedersächischer Landesvorsitzender der 1995 verboteten FAP und zur Zeit stellvertretender Landesvorsitzender des NPD-Landesverbands Thüringen.

Segensreich

Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte ein Träger des „Goldenen Ehrenzeichens” der LO, Hans-Günther Parplies, einen großen Auftritt im NRW-Landtag. Am 27. November 2012 fand dort ein „parlamentarischer Abend für Vertriebene” statt, und Parplies hielt in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) NRW eine Rede. Er bedankte sich bei Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD) und anderen Abgeordneten für die Einladung und teilte mit, die einzelnen Landsmannschaften des BdV NRW seien gekommen, um ihre Arbeit vorzustellen – darunter auch die LO. „Danke dafür, dass Sie so zahlreich gekommen sind”, erwiderte Gödecke die Höflichkeiten – und lobte ausdrücklich die „segensreiche Arbeit” der „Vertriebenen”-Verbände.

England fädelt den Krieg ein

Mehrere der „Vertriebenen”-Verbände, deren „segensreiche Arbeit” Gödecke so begeistert lobte, befinden sich zur Zeit zumindest in Sachen Geschichtspolitik auf einem krassen Rechtskurs. Einer von ihnen trägt gegenwärtig besonders dick auf: die Landsmannschaft Ostpreußen, und zwar nicht nur ihr Landesverband NRW, sondern auch die Bundesorganisation. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie es denn nun eigentlich zum Zweiten Weltkrieg gekommen sei. Da hört man immer, das NS-Reich habe Polen überfallen. Aber war das alles nicht vielleicht viel komplizierter? Die LO bemüht sich seit Jahren um Aufklärung. Dazu befragt sie Experten, vor allem den Generalmajor a.D. der Bundeswehr Gerd Schultze-Rhonhof. Schultze-Rhonhof verfügt unzweifelhaft über Fachwissen. Er hat es nicht nur bei der Bundeswehr zum Kommandeur der 3. Panzerdivision in Buxtehude sowie zum Territorialen Befehlshaber für Niedersachsen und Bremen gebracht, er hat auch ein Buch über die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht. Es heißt „1939. Der Krieg, der viele Väter hatte”, und es wurde viel gelobt, etwa in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme, die es als „Grundlagenwerk” einstuft. Schultze-Rhonhofs Pamphlet ist 2003 beim Olzog-Verlag erschienen, der sich sonst unter anderem über den Verkauf von „Praxismaterialien” für Kindergärten, Schulen und Senioren finanziert. In seinem Machwerk behauptet der Autor, Schuld am Zweiten Weltkrieg müsse auch Polen zugeschrieben werden; schließlich habe es 1939 mobilgemacht. Den Einwand, Polen habe sich schließlich auf den befürchteten deutschen Überfall vorbereiten müssen, lässt Experte Schultze-Rhonhof nicht gelten: Das seien „kriegerische Drohgebärden” von polnischer Seite gewesen, das NS-Reich habe also durchaus mit einem Angriff rechnen müssen. Und überhaupt, auch Großbritannien und Frankreich hätten ihrerseits eine verhängnisvolle Rolle gespielt. So hat der Generalmajor a.D. zum Beispiel in Erfahrung gebracht: „Kurz nach dem deutschen Einmarsch in die Rest-Tschechei fängt England an, den nächsten Weltkrieg einzufädeln.”

Die NS-Friedensregierung

Muss man über derlei Hirngespinste denn noch diskutieren? Aber unbedingt, meinte die Preußische Allgemeine Zeitung, die von der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegeben wird, schon kurz nach Erscheinen des Pamphlets im Jahr 2003. Das Buch könne „nicht zuletzt der nachkommenden Generation und ihren Lehrern empfohlen werden” – „zur Auseinandersetzung mit Denkverboten und Deutungsmonopolen”. 2004 begann die Zeitung mit dem Abdruck einer 18-teiligen Artikelserie, in der Schultze-Rhonhof seine Panzerkommandeurs-Version der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs in epischer Breite darlegte. Hitler scheint seiner Ansicht nach schon irgendwie Schuld getragen zu haben, denn dem ersten Teil der Artikelserie ist zu entnehmen, ohne ihn „hätte es am 1. September 1939 keinen neuen Krieg gegeben”. Allerdings wäre der deutsche Überfall laut Schultze-Rhonhof „ohne Roosevelt, Stalin, die ‘Kriegspartei’ in England und die polnische Regierung” auch nicht zustande gekommen. Als der Generalmajor a.D. am 6. Mai 2006 in München auf einem Seminar referierte, das von der extrem rechten Zeitschrift Deutsche Geschichte organisiert worden war, da verfügte er sogar über Informationen, wonach man mit Blick auf 1939 die „entscheidenden Bemühungen der damaligen Reichsregierung” um Adolf Hitler würdigen müsse, „die den Frieden retten wollte und um beinahe alles in der Welt einen Krieg zu vermeiden suchte”. Vier Wochen später nahm sich die Preußische Allgemeine ein neues Hörbuch aus dem Hause Schultze-Rhonhof vor – und kam zu dem Schluss, man finde darin „ein ausgewogenes Urteil”.

Ein Hoffnungsträger

Nur konsequent war es also, dass die Landsmannschaft Ostpreußen dem Generalmajor a.D., der für sie nicht nur als Autor, sondern mehrfach auch als Referent tätig gewesen war, im November 2012 ihren „Kulturpreis für Wissenschaft” verlieh. Wilhelm von Gottberg, langjähriger Sprecher und Träger des „Preußenschildes” der Landsmannschaft, begründete dies in der Laudatio mit der Einschätzung, Schultze-Rhonhof sei „mit seinen Veröffentlichungen zu einem Hoffnungsträger für die nachwachsenden Generationen” geworden. Und so kann man es denn dem NRW-Landesverband der LO wohl auch kaum übelnehmen, dass er einen Vortrag, den der Hoffnungsträger am 16. März 2013 bei der Frühjahrstagung der NRW-Ostpreußen in Oberhausen hielt, in Kürze unter dem Titel „Danzig und Ostpreußen – zwei Kriegsanlässe 1939” herausgeben will. „Wer nichts weiß, muss alles glauben!” steht als Motto auf dem Cover, das der Landesverband in seinem jüngsten Rundschreiben vorab abgedruckt hat. Die Selbstironie der Phrase ist der Ostpreußen-Redaktion wohl entgangen.

Der polnische Imperialismus

Eine erste Broschüre zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs hat der NRW-Landesverband der LO bereits letztes Jahr herausgegeben. Autor ist der Germanist Hartmut Fröschle, ein Funktionär des Vereins für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (einst Verein für das Deutschtum im Ausland), der eine Zeitlang auch für das Hilfskomitee Südliches Afrika tätig war, einen Verein mit Kontakten zur weißen extremen Rechten in Südafrika. Im Vorwort erklären der Landesverbands-Vorsitzende Jürgen Zauner (Viersen) und sein Stellvertreter Ulrich Penski (Hilchenbach), die Schrift zeige, dass es „notwendig” sei, „auch die Ereignisse und Handlungen des polnischen Staates, der katholischen Kirche und der polnischen Bevölkerung in den Blick zu nehmen, die zur Entwicklung und zum Ausmaß des politischen und kriegerischen Konflikts im Zweiten Weltkrieg beigetragen haben”. Fröschle meinte in der Schrift feststellen zu müssen, dass Polen vor dem Krieg „imperialistische Absichten” gehegt und eine „systematische Entdeutschung” des Landes angestrebt habe. Über die polnische Mobilmachung zur Abwehr des befürchteten deutschen Überfalls heißt es in der Broschüre: „Wer angesichts dieser Tatsachen noch von einem Überfall Hitler-Deutschlands auf das ahnungslose Polen redet, ist entweder hoffnungslos hinter dem aktuellen Forschungsstand zurück oder er ist aus ideologischer Verblendung nicht fähig, die Tatsachen zu sehen und richtig einzuordnen.” Fröschle konnte dank umfassender Recherchen auch von „unbeschreiblichen Grausamkeiten” berichten, die PolInnen noch im September 1939 Deutschen angetan hätten. Die Quelle? „Der Tod in Polen”, ein 1940 publiziertes Propagandawerk des NS-Schriftstellers Edwin Erich Dwinger.

Großaktionäre

Die NRW-Ostpreußen sind beileibe nicht nur in der Geschichtsforschung tätig, sie sind auch an Rechtsfragen interessiert. Deshalb engagieren sie sich in der Preußischen Treuhand, einer Organisation, die trotz mehrfachen Scheiterns immer noch bemüht ist, ehemaliges Eigentum umgesiedelter Deutscher in Polen wieder in deutschen Besitz zurückzuklagen. Sie hat damit mehrfach für gravierende Störungen in den deutsch-polnischen Beziehungen gesorgt. Der NRW-Landesverband der Ostpreußen hält bei der Treuhand Aktien im Wert von 1.500 Euro, sein Vorsitzender Jürgen Zauner und sein Ehrenvorsitzender Ehrenfried Mathiak vom Vorstand der CDU Bonn-Auerberg sind ebenfalls per Aktienbesitz involviert. Im Aufsichtsrat der Treuhand sitzt zudem der stellvertretende Vorsitzende der NRW-Ostpreußen, Ulrich Penski. Aufsichtsratsvorsitzender ist übrigens der Vorsitzende des BdV NRW, Hans-Günther Parplies, ein Treuhand-Großaktionär.

Ostpreußen 1935

Natürlich hängt das alles zusammen: Wer die Schuld am Zweiten Weltkrieg auch bei Polen sieht und – NS-Quellen zitierend – von polnischen „Grausamkeiten” im September 1939 schwadroniert, wird eher geneigt sein, den polnischen Staat auf Übereignung ehemals deutschen Besitzes zu verklagen als andere MitbürgerInnen. Man muss deswegen nicht unbedingt für einen Besuch auf dem Rittergut Hanstein werben – aber wieso auch nicht: Der NRW-Landesverband der Landsmannschaft Ostpreußen verfügt über gute Kontakte in die Politik, die seine Stellung sichern; er kündigt etwa für sein diesjähriges „Ostpreußentreffen” am 14. Juli auf Schloss Burg in Solingen eine Rede des CDU-Landtagsabgeordneten Gregor Golland an. Und immerhin hat SPD-Landtagspräsidentin Carina Gödecke den Aufsichtsratschef der Preußischen Treuhand, Hans-Günther Parplies, beim „parlamentarischen Abend für Vertriebene” herzlich begrüßt und den „Vertriebenen”-Verbänden insgesamt – darunter also auch den NRW-Ostpreußen – unterstellt, „Botschafter der Aussöhnung und Verständigung” zu sein, eine fast ehrenrührige Behauptung. Ob sie von der Fröschle-Broschüre beeindruckt war, die die Landsmannschaft beim „parlamentarischen Abend” auf ihrem Infotisch anbot? Die großformatig kopierten Briefmarken, die dort aushingen, kann sie jedenfalls kaum übersehen haben. Sie trugen Motive aus Ostpreußen und stammten laut Beschriftung aus dem Jahr 1935.

Weiterlesen