Düstere Einsichten und Aussichten

Woraus schöpft die „Goldene Morgenröte“ (Chrysi Avgi) ihre Stärke?

Der plötzliche parlamentarische Wahlerfolg der „Chrysi Avgi“ 2012 in Griechenland bescherte dieser nazistischen Bande 18 Abgeordnete und steigerte die täglichen Provokationen ihrer Anhänger_innen innerhalb und außerhalb des Parlaments, oft auch außerhalb des Gesetzes. Solche Erfolge lassen fast automatisch eine Frage wieder aufkommen, die zwar immer wieder gestellt, gewöhnlich jedoch mit einer gewissen Verlegenheit behandelt wird: Woraus schöpft die „Chrysi Avgi“ ihre Stärke? Diese Frage ist von grundlegender Bedeutung, wenn wir die Dynamik dieser nazistischen Formation in der griechischen Gesellschaft und auf der politischen Bühne verstehen möchten.

Ehe wir versuchen, Antworten auf diese Frage zu finden, ist es wichtig, drei Dimensionen des Phänomens Chrysi Avgi in Griechenland zu differenzieren: 1. die Akzeptanz der Ideologie und der Praktiken der Chrysi Avgi in der Gesellschaft, 2. ihre jüngsten Wahlerfolge sowie 3. die Dynamik ihrer Präsenz auf der griechischen politischen Bühne. Und, so paradox es erscheinen mag: Diese drei Dimensionen hängen kausal nicht miteinander zusammen. Es ist also nicht ihre gesellschaftliche Resonanz, die der Chrysi Avgi den Zugang zu den demokratischen Institutionen ermöglicht hat, so dass die nazistische Partei heute über Raum und Macht auf der politischen Bühne des Landes verfügt. Dennoch verweisen alle drei Dimensionen auf ein gemeinsames Problem: das zunehmende „Demokratiedefizit“ in der griechischen Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten.

Die anfängliche Ratlosigkeit nach den Wahlen 2012 – im Mai, bei denen die Partei mit knapp 7 Prozent und 21 Sitzen erstmalig ins Parlament einziehen konnte, und dann noch mehr im Juni, wo sie das Ergebnis fast halten konnte – verdichtete sich zur Frage: „Haben wir denn wirklich so viele Anhänger_innen des Nazismus in der Bevölkerung?“ Hierauf folgte schon bald die traurige Feststellung, dass ein großer Teil der Wähler_innen der Chrysi Avgi in Wirklichkeit nicht viel über die politische Identität der Partei ihrer Wahl wusste – und wahrscheinlich auch kein Interesse daran hatte, mehr darüber zu erfahren. Aber dabei wird oft übersehen, dass die rassistischen Diskurse der Chrysi Avgi sowie die gewalttätigen Übergriffe gegenüber all denjenigen, die sie für „nicht dazugehörig“ hält (die ersten Opfer der Chrysi Avgi waren Migrant_innen), weder neue Phänomene in der griechischen Gesellschaft darstellen noch der Zuspitzung der „Krise“ in Griechenland geschuldet sind.

Etablierte Feindbilder

Besonders der Rassismus gegen Eingewanderte und Flüchtlinge stellt in den letzten Jahrzehnten – sowohl diskursiv, als auch praktisch – in Griechenland ein tägliches Übungsfeld für die Legitimierung und Reproduktion sozialer Ungleichheiten dar. Diese Entwicklungen sind nicht nur das Resultat der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft (auch in Griechenland). Sie stehen auch im ursächlichen Zusammenhang mit den mageren Erfolgen früherer sozialer Bewegungen, soziale Gleichheit und Gerechtigkeit durchzusetzen und zu erhalten. Migrant_innen und Flüchtlinge sind in den letzten Jahrzehnten einer zynischen Behandlung durch den griechischen Staat ausgesetzt gewesen, wie auch einer widersprüchlichen Umgangsweise durch fast die gesamte griechische Gesellschaft. Parallel zur ihrer brutalen und unmenschlichen Ausbeutung innerhalb des Arbeitsmarktes – und nicht nur dort – werden sie auch als nationales „Problem“, als „Bedrohung“ für die Sicherheit der Bürger_innen, als Menschen zweiter Klasse behandelt, die weder Bedürfnisse noch Rechte haben dürfen.

Aber nicht nur der Rassismus gewinnt in den letzten Jahrzehnten in Griechenland an Boden. Mit dem Rückgang der älteren sozialen Bewegungen verblassen auch deren Forderungen nach „Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“. Diese „Lücke“ füllt der sich zuspitzende griechische Nationalismus gerne mit all seinen Produkten aus – Sexismus, Homophobie, Diskriminierung und Ausgrenzung all derer, die der Norm nicht genügen: des „gesunden und kräftigen“, „heterosexuellen“, „christlich-orthodoxen“, „zur Blutsgemeinschaft gehörigen“ griechischen Bürgers. All das führt zu einer Neubestimmung von Normalität (gerade vor dem Hintergrund der neoliberalen Transformation der Gesellschaft), womit soziale Ungleichheiten verfestigt und zusätzlich legitimiert werden. Hierbei ist zu betonen, dass soziale Ungleichheiten in den letzten Jahren in Griechenland systematisch erzeugt wurden, nicht nur durch deren tägliche Einübung in der „Praxis“, sondern auch mangels starker Gegendiskurse. Dadurch werden all jene sozialen Ungleichheiten in der griechischen Gesellschaft für dermaßen selbstverständlich gehalten, dass die Chrysi Avgi sich leicht darauf berufen und offen gegen „Fremde“, d.h. „Un-Normale“, hetzen kann.

Delegitimierung der Politik

Dennoch kann die gesellschaftlich akzeptierte, eingeübte und aufrecht erhaltene Ungleichheit allein den Aufstieg der Chrysi Avgi in Griechenland nicht erklären. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch auf die schrittweise Delegitimierung der Demokratie, nicht nur in der Praxis, sondern auch in den Köpfen der Menschen, richten. Diese ist nicht nur auf der Verschärfung der Ungleichheiten gegründet. Sie speist sich auch (und vor allem) aus einer Schwäche der Demokratie und ihrer Institutionen, diese Ungleichheiten abzumildern. Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahrzehnten zunehmend das Gefühl in der Bevölkerung vorherrschte, dass sich Politiker_innen, Parteien (auch die der Linken), die gesellschaftlichen Institutionen etc. für die Bedürfnisse der Bürger_innen weder interessieren, noch sie zu befriedigen versuchen. Im öffentlichen Leben dominieren Korruption und Straflosigkeit, wobei familiäre und andere klientelistische Beziehungen die notwendigen und üblichen Vermittlungsriemen für den Verkehr zwischen Bürger_in und staatlichen Institutionen darstellen – ein Privileg allerdings nur für Bürger_innen, die über solche Beziehungen und/oder andere Ressourcen verfügen! Parallel dazu mangelt es an Einforderungen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit.

Die Politiken gerade der letzten Regierungen machen den „Abstand“ zwischen dem politischen Establishment und den Bürger_innen immer deutlicher. Hierbei wurden auch die klientelistischen Beziehungen gegenüber ihren Wähler_innen aufgekündigt, womit sich die ohnehin starken Gefühle der „Wut“ und der „Empörung“ in der Bevölkerung zusätzlich verschärften. Solche Gefühle werden von einem Teil der Wähler_innenschaft in der Wahl der Chrysi Avgi artikuliert, auch weil sie als neue „radikale“ politische Formation vorgeführt wird. Einerseits wird diese nicht in Verbindung mit der bekannten korrupten und ineffizienten politischen Szene gebracht – trotz ihrer jahrzehntelang gepflegten Verbindungen zur politischen Macht. Andererseits demonstriert sie eine größere Bereitschaft, Praktiken offen und ungeschminkt anzuwenden, mit denen die griechische Gesellschaft schon seit langem sozial benachteiligte Gruppen, z.B. Migrant_innen, beglückt.

(Noch) Keine soziale Bewegung

Allerdings und zum Glück kann die Chrysi Avgi trotz ihrer Akzeptanz auf der medialen und politischen Bühne immer noch keine entsprechende Dynamik als soziale Bewegung „auf der Straße“ entfalten – sei es aufgrund organisatorischer Schwächen der Partei (noch!), sei es aufgrund der antifaschistischen Reaktionen eines anderen wichtigen Teils der Gesellschaft. Dabei versucht diese nazistische Partei, ihre „Beziehung“ zur Gesellschaft mit Hilfe verschiedener Initiativen und Aktionen zu „vertiefen“: Sie gründet reihenweise lokale Parteibüros (die Ressourcen aus den Wahlerfolgen nutzend), sie nutzt die Möglichkeiten des Internets zur Verbreitung ihrer Ideologie, organisiert (wenn auch bisher nur in geringem Maße) öffentliche Versammlungen und Interventionen, wir haben aber auch erste Beispiele der Organisation von Frauengruppen, Aktivitäten/Angebote für Kinder etc. Bis zu welchem Grad die Chrysi Avgi es dadurch schaffen wird, ihre Präsenz im sozialen Leben zu stabilisieren/etablieren und Menschen für ihre Ziele zu mobilisieren, ist immer noch eine offene und brisante Frage, nicht nur zu unserer „Information“, sondern vor allem zu Interventionen dagegen.

An diesem Punkt stellt sich jedoch erneut die Frage nach der politischen Macht der nazistischen Partei heute in Griechenland. Auch wenn Überzeugungen und Aktionen der Chrysi Avgi bei einem großen Teil der Gesellschaft als legitim erscheinen, ist andererseits auch klar, dass ihre politische Macht völlig unverhältnismäßig zu ihrer Verankerung in der Gesellschaft ist. Die Wucht, mit der die sie die Demokratie zurzeit offen und unkaschiert herausfordert und herausfordern kann – innerhalb der Institutionen, aber auch draußen auf der Straße –, wird auch durch die demokratischen Institutionen und Kräfte selbst verantwortet und gespeist. Diese sind es, die es der nazistischen Partei und deren Mitgliedern erlauben, täglich Hass zu predigen, die Demokratie zu verspotten, Selbstjustiz zu üben und auch innerhalb des Staatsapparates unkontrolliert zu agieren (beispielsweise in der Polizei) – ohne dabei ernsthaft auf institutionelle Widerstände oder Strafen zu stoßen. Im Gegenteil scheint es, dass die „Bedrohung“ durch die Chrysi Avgi in der politischen Szene nicht dazu führt, demokratische Reaktionen auszulösen. Vielmehr wird diese Bedrohung einfach übersehen, wenn sie nicht sogar von der politischen Herrschaft dazu „benutzt“ wird, eigene rechtsradikale Positionen und Entscheidungen zu legitimieren. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass führende Personen (z.B. der Regierung) ohnehin und seit langem selbst dem rechtsradikalen Lager angehören. Politisch krampfhafte Initiativen und Maßnahmen, wie z.B. aktuell um die antirassistische Gesetzgebung, werten (einmal mehr...) die Demokratie und ihre Institutionen ab und richten mehr Schaden an als dass sie die Chrysi Avgi „beunruhigen“ würden.

Dass die Institutionen und die Demokratie täglich selbst von denjenigen politischen Kräften herabgesetzt und verschmäht werden, von denen man annimmt, dass sie die Demokratie eigentlich zu verteidigen hätten, kann deutlich machen, dass Hoffnungen, nicht nur zur Abwehr der Chrysi Avgi, sondern auch zur Bekämpfung der Krise und des Neoliberalismus, nur in jenen sozialen Bewegungen liegen können, die es schaffen werden, einer neuen gesellschaftlichen Vision auf der Grundlage von Demokratie, Kooperation, Gleichheit und Solidarität Leben einzuhauchen.

Anmerkung

Der Artikel schöpft aus einer Studie mit dem Thema „Jugendliche und Rechtsextremismus in Griechenland“ für die Friedrich-Ebert-Stiftung, die in nächster Zeit auch auf Deutsch publiziert werden soll.

Vielen Dank an Ioanna Menhard, Jan Loheit und Athanasios Marvakis für die Übersetzung ins Deutsche!