Alles auf Rausch?

In Aachen stehen Neonazis wegen Drogenhandels vor Gericht

Ende Mai 2017 wurden in Aachen fünf Neonazis wegen des Verdachts des bandenmäßigen Drogenhandels verhaftet. Die Festgenommenen sind teilweise seit Jahren führende Kader lokaler Kameradschaftsstrukturen, einer baute jüngst Strukturen der „Identitären Bewegung“ in Aachen auf. Ungeklärt ist, ob die regionale Szene Kenntnisse über die Drogengeschäfte hatte.

Ende Mai 2017 wurden in Aachen fünf Neonazis wegen des Verdachts des bandenmäßigen Drogenhandels verhaftet. Die Festgenommenen sind teilweise seit Jahren führende Kader lokaler Kameradschaftsstrukturen, einer baute jüngst Strukturen der „Identitären Bewegung“ in Aachen auf. Ungeklärt ist, ob die regionale Szene Kenntnisse über die Drogengeschäfte hatte.

Am Morgen des 31. Mai 2017 stürmten Sondereinsatzkräfte der Polizei mehrere Wohnungen im Aachener Stadtteil Brand. Bei der Razzia verhafteten sie Peter-Timm Malcoci (35), Karl Malcoci (30), Sebastian-Alexander L. (24), Dominik H. (24) und Steffen P. (38). Den fünf wird nun vor dem Landgericht Aachen der Prozess gemacht. Mit Ausnahme von Steffen P. sitzten die Männer weiterhin in Untersuchungshaft. Im Anschluss an die Razzia hielten sich Polizei und Staatsanwaltschaft mit Informationen zu den Umständen der Durchsuchungen zurück und äußerten sich in keiner Weise zu den politischen Hintergründen der Verhafteten. Verlautbart wurde lediglich, dass ihnen vorgeworfen wird, seit Herbst 2015 Amphetamine, Crystal Meth, Marihuana und Ecstasy im Wert von mehr als 300.000 Euro über das „Darknet“ verkauft zu haben. Zudem seien bei den Angeklagten Amphetamine im Kilobereich sichergestellt worden, ebenso wie Utensilien zur Herstellung und Verarbeitung von Drogen.

Die Angeklagten

Antifaschist_innen aus der Region zeigten sich von der Durchführung einer Drogenrazzia in der Aachener Neonazi-Szene nicht wirklich überrascht, zumal bereits seit einigen Jahren eine Affinität von Teilen der lokalen Szene zu Rocker-Gruppierungen erkennbar ist. Neonazis betätigten sich beispielsweise als Türsteher und Sportwagenfahrende, ihr politische Betätigung geriet in den Hintergrund. Die Lage Aachens im Grenzgebiet zu Belgien und den Niederlanden macht die Stadt zudem zu einem Hotspot des Drogenhandels. Die verhafteten Malcoci-Brüder wurden von Antifaschist_innen allerdings dem stark ideologisierten Teil der Szene zugeordnet, der nicht den Anschein erweckte, den Handel mit Drogen als politisch vertretbar zu erachten. Beide blicken auf eine lange Karriere in der Neonazi-Szene zurück, und auch ihre Eltern prägten die Szene als führende Akteur_innen. Maria-Luise Süß-Lindert lebte zunächst in Österreich und zog anschließend mit ihrem Sohn Timm nach Westdeutschland. 1987 heiratete sie Christian Malcoci. In den 1980er Jahren war sie stellvertretende Bundesführerin der Deutschen Frauenfront, lebte seit Ende der 1990er Jahre in Heinsberg und organisierte unter anderem Neonazi-Konzerte in der Region. Nach Berichten des Antifaschistischen Infoblatts agiert sie mittlerweile in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, wo sie versucht, Strukturen der Partei Der III. Weg aufzubauen. Der schwer erkrankte Christian Malcoci,Vater von Karl und Robert Malcoci, war seit den 1980er Jahren einer der einflussreichsten deutschen Neonazis und in mehreren (militanten) Organisationen in Deutschland und den Niederlanden führend tätig. Zudem baute er die 2002 gegründete und 2012 verbotene Kameradschaft Aachener Land (KAL) mit auf. Schwerpunkt seiner Aktivitäten war die organisierte „Anti-Antifa-Recherche“ und damit verbunden ein eher vorsichtiges politisches Agieren; eine Tätigkeit die seine (Stief-) Söhne nicht verinnerlicht haben.

Timm Malcoci war seit 2008 in der KAL aktiv und nahm auch in deren Nachfolgeorganisationen Die Rechte Aachen-Heinsberg und Syndikat 52 eine aktive Rolle ein. Unter dem Namen Nordic Walker trat er gemeinsam mit Julian Fritsch alias Makss Damage als NS-Rapper auf und beteiligte sich an der Produktion von dessen Alben. Karl Malcoci orientierte sich in Auftreten und Stil früh an der Hip-Hop-Szene und übernahm als einer der ersten Neonazis in NRW das Konzept der „Autonomen Nationalisten“. Er beteiligte sich vor allem an Aktionen und Aufmärschen der Neonazi-Gruppen AG Ruhr-Mitte und AG Rheinland. Im März 2017 trat er mit einem Video an die Öffentlichkeit, in dem er sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder Robert als Mitglied der Ortsgruppe der Identitären Bewegung (IB) in Aachen bezeichnete. Bereits im Winter 2016 beteiligten sich die beiden an einer Transparent-Aktion der IB auf dem Dach der Kölner Hauptbahnhofs. Der 1993 geborene Robert, der politisch eng mit seinen Brüdern zusammenarbeitete, ist nach deren Verhaftung nach Münster verzogen und dort in die Burschenschaft Franconia eingetreten.

Der dritte Angeklagte, Sebastian L., stammt ursprünglich aus Düsseldorf und war an einigen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Antifaschist*innen in Aachen im Frühling 2017 beteiligt. An einem von L. organisierten Rache-Streifzug von zehn Neonazis zum Autonomen Zentrum Aachen war auch der vierte Angeklagte, Dominik H., beteiligt, der zuvor in der 2015 offiziell aufgelösten Hooligan-Crew Westfront Aachen aktiv war, die sich zunehmend dem Rockermilieu zuwandte. (vgl. LOTTA #55, S. 13ff.)

Steffen P., der fünfte Angeklagte, war um die Jahrtausendwende „Stützpunktleiter“ der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Duisburg, zog dann später nach Dortmund und zählte Mitte der 00er Jahre zum Kreis der führenden Protagonisten der „Autonomen Nationalisten“ im Ruhrgebiet. Dann verschwand er von der politischen Bildfläche. Sein Rückzug dürfte mit einer Erkrankung und Differenzen innerhalb der Neonazi-Szene zu tun gehabt haben.

Der Prozess

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, im Zeitraum zwischen September 2015 und Mai 2017 mit Drogen gehandelt zu haben. In Presseberichten ist von mehr als 25 Kilogramm Ware die Rede, die sie vertrieben haben sollen. Die Staatsanwaltschaft geht weiterhin davon aus, dass einige der Drogen von den Angeklagten selbst hergestellt wurden. Mit Ausnahme von Steffen P. äußerten sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen. Dessen mutmaßliche Beteiligung an dem Drogenhandel und seine Kontakte zu den anderen Angeklagten werfen einige Fragen auf. In seinen Aussagen vor Gericht stellte sich P. als politisch uninteressiert dar. Laut Eigenangaben lebte er bis 2016 in Essen und zog im März 2017 nach Aachen um, um (in der Wohnung von zwei politisch aktiven Neonazis) „zur Ruhe zu kommen“. Als Verteidiger wählte er den bekannten Szeneanwalt Björn Clemens aus Düsseldorf und unterhielt sich mehrfach länger mit Neonazis, die den Prozess besuchten. Seine Erzählung vom „Ausstieg“ muss daher angezweifelt werden.

Die Strategie der Verteidiger, deren Zahl sich von zunächst sieben auf inzwischen zehn erhöhte, besteht bislang im Hinauszögern des Prozesses durch Befangenheitsanträge und in die Länge gezogene Befragungen der Zeug_innen. Der Anwalt Timm Malcocis, Udo Vetter, der sich als Bürgerrechtler einen Namen gemacht hat, wirkte während des bisherigen Prozessverlaufs gut vorbereitet und fähig. Die anderen Anwälte, darunter auch Karl Malcocis Verteidiger Jochen Lober aus Köln, der zwischenzeitlich Ralf Wohlleben im NSU-Prozess vertrat, taten sich vor allem durch ständige Zwischenrufe hervor. Eine Urteilsverkündung wird für Juli 2018 erwartet, dieser Termin kann sich jedoch noch verschieben.

Die Zeugenaussage des Ermittlungsführers des BKA ergab das Bild einer professionell agierenden Gruppe, die aber einige leichtsinnige Fehler machte. Kund_innen konnten die gewünschte Drogenmenge in einem Darknet-Onlineshop bestellen, per Bitcoin bezahlen und bekamen sie in einer Briefsendung zugeschickt. Durch die Auswertung von Chatprotokollen gelang es dem BKA, die Herkunft der anonym agierenden Betreiber einzugrenzen, da darin mitgeteilt wurde, dass über die „Karnevalstage“ keine Drogen versendet würden. Das BKA gab selbst einige Bestellungen auf und konnte Gummihandschuhe, die als Verpackungsmaterial dienten, der Supermarkt-Kette Netto, sowie Poststempel und Sendungsnummern der Stadt Aachen zuordnen. Nach einer Anfrage an verschiedene Netto-Filialen wurde aus einem Geschäft ein erhöhter Verkauf besagter Handschuhe gemeldet. Ein zusammen mit einer großen Anzahl Handschuhe gekaufter Amazon-Gutschein sei schließlich von Karl Malcoci eingelöst worden, dessen Wohnung 500 Meter von der Netto-Filiale entfernt lag. Nach einer Personenabfrage mit dem Ergebnis, dass die Bewohner der Wohnung, Timm und Karl Malcoci, bereits wegen BTM-Delikten aufgefallen waren, folgten weitere Ermittlungen und Observationsmaßnahmen.

Gegen Karl Malcoci war bereits zuvor wegen der Einfuhr von Drogen ermittelt worden. Des Weiteren wurden bei einer vorherigen Durchsuchung der Wohnung Timm Malcocis am 9. September 2015 Utensilien zur Drogenherstellung gefunden. Dies muss zumindest dem engeren Szene-Umfeld bekannt gewesen sein. Auch sollen einige der Drogen in dem mutmaßlich von den Angeklagten betriebenen „German-Shop“ unter dem Titel „Panzerspeed“ angeboten worden sein, was als Verweis auf den Konsum von Methampetamin durch Wehrmachtssoldaten zu lesen ist, das im Zweiten Weltkrieg unter dem Markennamen Pervitin vertrieben wurde. Pikant: Noch im November 2016 sprach sich Timm Malcoci in einer Facebook-Diskussion mit anderen Neonazis vehement gegen Drogen in der Szene aus und verwies insbesondere auf den Unterschied zu einer Kriegssituation.

Freiheit für die Gefangenen?

Die lokale Szene reagierte auf die Verhaftungen verhalten. Die Rechte Aachen/Heinsberg schrieb in einem ersten Statement im Mai 2017 von der Verhaftung eines Parteimitglieds. Die Partei lehne Drogen ab, „Kamerad Timm M.“ habe sich jedoch stets für die Region und die Nation eingesetzt. Daher müsse abgewartet werden, was die „Gerichtsbarkeit“ entscheide. In der Folge wurden auf der Facebook-Seite von Syndikat 52 häufig Bilder und kurze Beiträge „gegen Drogen“ gepostet. Vereinzelt waren auf den Facebook-Profilen lokaler Neonazis Forderungen wie „Free Timm“ zu lesen. Zum Beginn des Verfahrens äußerten sich die lokalen Strukturen nicht, die Verhandlungstage wurden jedoch von teilweise bis zu zehn Neonazis aus Aachen und Umgebung besucht. Der Neonazi-Kader Sven Skoda aus Düsseldorf hingegen veröffentlichte auf seinem Blog mit dem Titel „Rhein, Rausch, Randale“ am Tag des Prozessauftakts einen Text, in dem er Drogenkonsum in der Szene verurteilte. Skoda schrieb, zu den „Regeln einer gesunden Gemeinschaft“ zähle auch der Ausschluss von Kameraden, die die „Volksgesundheit“ schädigten. Auch sprach er von „irrlichternden Gestalten“, die aufgrund „mangelnder Selektion“ in der Szene verblieben und in der Forensik besser aufgehoben wären. An einigen Stellen bezieht sich Skoda implizit auf die Angeklagten, etwa wenn er von einer Betriebsblindheit der Szene bei Kameraden spricht, die sich in der Szene verdient gemacht haben.

Diese Distanzierungen erscheinen glaubhaft, aber natürlich dienen sie auch dem Schutz von Strukturen. Denn zwei große Fragen sind ungeklärt: der Verbleib des Drogengeldes und der Zweck des Verkaufs. Haben die Angeklagten den Handel ausschließlich zur privaten Bereicherung betrieben oder mit dem Geld bzw. einem Teil des Geldes die neonazistische Szene unterstützt? Auch wenn es für letzteres aktuell keine Anhaltspunkte gibt, muss in Zeiten von Untergrundaktivitäten und dem zunehmenden Trend, Abstand von „legalen“ Formen der politischen Einflussnahme zu nehmen, immer auch an eine solche Möglichkeit gedacht werden. Ob diese Frage im Prozess thematisiert werden wird, ist leider mehr als fraglich.

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