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„Ein Beispiel für institutionellen Rassismus“

Interview mit den Anwälten der Familie von Amad A.

Im November 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Kleve das Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung gegen die an der Inhaftierung von Amad A. beteiligten Polizeibeamt\*innen und JVA-Bediensteten ein. Wir sprachen mit den Anwälten Eberhard Reinecke und Sven Tamer Forst. Sie vertreten die Familie von Amad A. und haben Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt.

Im November 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Kleve das Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung gegen die an der Inhaftierung von Amad A. beteiligten Polizeibeamt*innen und JVA-Bediensteten ein. Wir sprachen mit den Anwälten Eberhard Reinecke und Sven Tamer Forst. Sie vertreten die Familie von Amad A. und haben Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt.

Wie ist der aktuelle Stand der juristischen Aufarbeitung?

Sven Tamer Forst: Nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Polizei und JVA-Beamte haben wir Beschwerde eingelegt. In unserer Begründung haben wir viele Einwendungen gegen die bislang getätigten Ermittlungen erho­ben und weitere Ermittlungen angeregt.

Eberhard Reinecke: Die gesamten bisherigen Ermittlungen machen nicht den Eindruck, dass die Staatsanwalt­schaft die verfassungsrechtlichen Vor­gaben berücksichtigt hat. Unserer Ansicht nach haben sich diverse Polizeibeamte und JVA-Bedienstete, die in das Verfahren um Amad A. involviert waren, strafbar gemacht. Das betrifft sowohl den Tatbestand der Freiheits­beraubung gemäß §239 StGB, als auch denjenigen der Vollstreckung gegen Unschuldige gemäß §345 StGB. Denn es ist völlig unstrittig, dass alle Beamten davon ausgingen, dass die Person vor ihnen Amad A. sei. Jeder der beteiligten Polizeibeamten und Beamten in der JVA aber wusste, dass es einen Haftbefehl nur gegen eine Person Amedy G. gab und nicht gegen Herrn A. Damit steht von vornherein fest, dass eine Festnah­me und Inhaftierung aufgrund des vorliegenden Haftbefehls nicht zulässig war.

Forst: Jetzt müssen wir abwarten, was die Staatsanwaltschaft macht

Reinecke: Entweder wird neu ermittelt, oder die Staatsanwaltschaft verteidigt ihre bisherige Entscheidung. Dann ginge die Sache zur Generalstaatsanwaltschaft und die müsste darüber entscheiden. Wir gehen aber davon aus, dass nochmal neu ermittelt wird.

Auf politischer Ebene existiert mit dem Parlamentarischen Unter­suchungsausschuss (PUA) ein Instrument, das Aufklärung bringen soll. Wie nehmen Sie dessen Arbeit wahr?

Forst: Wir sind nur ein paarmal im nParlamentarischen Untersuchungs­ausschuss gewesen. Das heißt, dass wir natürlich nicht dessen ganze Arbeit bewerten können. Klar ist aber, dass die Ausschussmitglieder der Fraktionen im PUA ein anderes Ziel haben als die staatsanwaltlichen Ermittlungen. Der Staatsanwaltschaft geht es ja darum, eine Strafbarkeit von handelnden Personen zu prüfen, während der Untersuchungsausschuss generelle Fehler der Funktionsweise der Behörden untersuchen soll.

Reinecke: Wobei ich aber festgestellt habe, dass sich auch in diesem Untersuchungsausschuss sehr kleinteilig um die Fragen der Datenbanken gekümmert wird. Die eigentlich wesentliche Vorfrage, nämlich die Bedeu­tung eines richterlichen Haft­be­fehls für die Inhaftierung, wird dort — soweit ich das verfolgt habe — nicht problematisiert.

Was müssten Ihres Erachtens weitere juristische, aber auch politische Konsequenzen sein?

Reinecke: Die juristische Konsequenz muss natürlich die Verurteilung der verantwortlichen Beamten sein. Unab­hängig davon, dass die Inhaftie­rung am Ende zum Tod geführt hat, ist die Inhaf­tierung von Menschen, die nicht ver­­­­ur­­teilt wurden, eine sehr schwer­wiegende Straftat. Auf der politischen Ebene geht es darum, dass der Respekt vor richterlichen Ent­scheidungen durchgesetzt wird, anstatt auf irgendwelche Datenbanken zu vertrauen. Richterliche Entscheidungen sind die rechtliche Grundlage für eine Inhaftierung, nicht ein Eintrag in einer Datenbank.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass immer wieder Verstrickungen von Mitarbeitenden der Polizei, aber auch anderer Sicherheitsbehörden in die extreme Rechte öffentlich werden: Hat die Familie Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und deren Aufklärungswillen?

Forst: In erster Linie hat die Familie den Wunsch, dass die Straftaten, die gegen­über ihrem Sohn erfolgt sind, auch sank­tioniert werden. Die Familie betrach­tet das Geschehen als die Vertuschung eines Fehlers und kritisiert den ihres Erachtens nach fehlenden politischen Willen, das Geschehen aufzuklären. Zudem kritisieren sie, dass im Zuge der Identitätsverwechslung mit dem Schicksal ihres Sohnes gespielt wurde.

Reinecke: Grundsätzlich ist die Familie, gerade im Verhältnis zu dem, was sie in Syrien erlebt hat, bereit, der BRD einen großen Vertrauensvorschuss zu geben. Die jetzige Situation steht dem ent­gegen. Deshalb hofft sie, dass über dieses Beschwerdeverfahren dann auch tatsächlich Recht durchgesetzt wird und das Verhalten der verantwortlichen Beamten nicht folgenlos bleibt. Ver­trauen in den Rechtsstaat wird nicht dadurch erzeugt, dass die Justiz die „schwarzen Schafe“ bei der Polizei vor strafrechtlicher Verfolgung beschützt

Immer wieder sterben Menschen bei freiheitsentziehenden Maßnahmen der Polizei oder auch durch polizeiliche Einsätze. Wie bewerten Sie die juristischen Beschwerdemöglichkeiten in Deutschland bei solchen ungeklärten Todesfällen?

Forst: Aus juristischer Perspektive sind die Beschwerdemöglichkeiten zunächst einmal gut. Bei dem Tod eines Betrof­fenen können die Eltern oder andere Angehörigen tätig werden. In unserem Fall ist es so, dass die Eltern hinsichtlich der mit dem Tod zusammenhängenden Straftaten ohne weiteres Beschwerde einlegen und bei der Generalstaats­anwaltschaft auch ein Klageer­­zwin­­­gungsverfahren durchfüh­ren könnten. Aber was die Inhaftierung und die damit einhergehende Freiheitsberaubung angeht, müssen wir um die Frage, ob die Eltern überhaupt als Verletzte im Sinne der Strafprozessordnung angesehen werden, noch streiten, weil es keine so erhebliche Straftat ist wie die einer fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötung.

Die Kampagne „Death in Custody“ spricht davon, dass Schwarze Menschen und Menschen of Color ein besonders hohes Risiko laufen, in staatlicher „Obhut“ ihr Leben zu verlieren oder durch die Polizei getötet zu werden. Wird der Frage insbesondere von Rassismus in angemessener Form nachgegangen?

Reinecke: Der Fall Amad A. ist ein Beispiel für institutionellen Rassismus. Da dem, was hier als „Verwechslung“ bezeichnet wird, derart extrem unter­schiedliche Personen­beschrei­bungen zugrunde liegen, ist die Inhaftierung nur damit erklärbar, dass den beteiligten Beamten völlig egal war, wer da inhaftiert wird. Selbst wenn angenom­men wird, dass keiner der beteiligten Beamten aus absichtlich rassistischen Motiven gehandelt hat, ist dennoch von institutionellem Rassismus zu sprechen. Denn es bleibt festzu­hal­ten, dass niemand ernsthaft ermittelt haben dürfte, ob Amad A. überhaupt wirklich der Gesuchte ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nach der Devise „wenn du einen Flüchtling inhaftierst, triffst du keinen Unschuldigen“ gehandelt wurde. Es wäre interessant, die verantwort­lichen JVA-Beamten auch noch einmal dazu zu vernehmen, wann sie zum letzten Mal einen gegen einen Herrn Schulze erlassenen Haftbefehl gegen einen Herrn Müller vollstreckt haben.

Vielen Dank für das Interview!