Aufklärungsquote: Null Prozent

Neue Ermittlungen nach 29 Jahren im Saarland

Am 19. September 1991 wurde Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag im saarländischen Saarlouis ermordet. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Nun gibt es eine neue Spur. Erst kurz vor Drucklegung der #81 wurde bekannt, dass es einen Tatverdächtigen gibt.

Am 19. September 1991 wurde Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag im saarländischen Saarlouis ermordet. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Nun gibt es eine neue Spur. Erst kurz vor Drucklegung der #81 wurde bekannt, dass es einen Tatverdächtigen gibt.

Es war Anfang August 2020 eine überraschende Meldung, als die Bundesanwaltschaft bekannt gab, die Ermittlungen zu dem Brandschlag wegen Mordes und 18-fachen versuchten Mordes wieder aufzunehmen. Anlass seien „gravierende Anhaltspunkte auf einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund des Anschlags“. Laut einem Bericht der Saarbrücker Zeitung sollen neue Hinweise auf die Täter aus der rechten Szene stammen. Nachdem die Ermittlungen erst durch saarländische Behörden geführt wurden, übernahm die Bundesanwaltschaft die Verantwortung, da es sich um eine „staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung“ handele. Aber das dürfte nicht der einzige Grund gewesen sein: Die saarländische Polizei hat bis heute keinen einzigen der zahlreichen (versuchten) Brand- und Bombenanschläge der letzten 30 Jahre im Saarland aufklären und Täter präsentieren können.

Ein rassistischer Mord

In der Nacht auf den 19. September 1991 zündeten Unbekannte das als „Flüchtlingsunterkunft“ genutzte ehemalige Hotel „Weißes Rößl“ in Saarlouis-Fraulautern an. Der 27-jährige Samuel Kofi Yeboah, der als politischer Geflüchteter aus Ghana in dem Haus wohnte, zog sich bei dem Versuch, sich selbst und andere aus dem Haus zu retten, schwere Brandverletzungen zu und verstarb noch in derselben Nacht.

16 weitere Bewohner:innen konnten sich aus dem Gebäude retten, zwei Personen erlitten durch Sprünge aus dem Fenster schwere Verletzungen. Der Anschlag reihte sich in eine Serie von Brand- und Bombenanschlägen im Saarland ein, die noch bis Ende der 1990er Jahre anhalten sollte. In Saarlouis war es bereits der fünfte Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim seit 1987. Die Ermittlungen wurden ein Jahr später ergebnislos eingestellt, brauchbare Hinweise aus der Bevölkerung erfolgten trotz einer hohen ausgelobten Belohnung keine.

Die nun von der Bundesanwaltschaft eingesetzte Sonderkommission „Welle“ soll nicht nur den Mord an Samuel Yeboah aufklären, sondern sich auch mit der Welle an (versuchten) Brand- und Bombenanschlägen im Saarland auseinandersetzen. Ob dies im Gegensatz zu den vorherigen Versuchen zu Erfolgen führen wird, bleibt fraglich: Die Straftatbestände sind mittlerweile verjährt, die Akten vernichtet. Eine interne Arbeitsgruppe „Causa“ der saarländischen Polizei soll zusätzlich die damaligen Arbeitsabläufe aufarbeiten, möglicherweise als Vorgriff zu bekanntwerdenden Ermittlungspannen und Fehleinschätzungen.

Saarlouis — eine westdeutsche Neonazihochburg

Bereits Ende der 80er Jahre existierte in Saarlouis eine bundesweit vernetzte rechte Skinheadszene. Aus deren personellen Zusammenhängen entstanden zunehmend politisch aktive Strukturen mit weitreichenden Folgen. Saarlouis wurde zu Beginn der 90er Jahre zu einem Hotspot und Kristallisationspunkt dessen, was der organisierte Neonazismus zu dieser Zeit aufzubieten hatte. In konzeptioneller Anlehnung an Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei und Nationalistische Front kam es zu einer ganzen Welle an Brand- und Bombenanschlägen, Übergriffe waren an der Tagesordnung.

Die bundesweiten Strategiedebatten der radikalen Rechten spiegelten sich in Saarlouis wider und fanden hier ihre praktische Umsetzung („national befreite Zone“), deren Höhepunkt die Ermordung von Samuel Yeboah darstellte. Aus den entstandenen Strukturen gründete sich die Kameradschaft Saarlautern, die in den folgenden Jahren in Südwestdeutschland im Kameradschaftsspektrum eine führende Rolle einnehmen sollte, getragen von neonazistischen Führungskräften, deren Tatbeteiligung am Mord an Samuel Yeboah bis heute ungeklärt ist.

Image gegen Erinnerung

Die Stadt Saarlouis war von Beginn an und bis heute bestrebt, eine aktive rechte Szene zu negieren und rechte Angriffe und Anschläge soweit möglich zu entpolitisieren. Den rassistisch motivierten Mord an Samuel Yeboah als solchen anzuerkennen, hätte auch bedeutet, die militante Naziszene in der Stadt und die eigene Verstrickung darin offen zu legen. Saarlouis wollte sich als moderne saubere Einkaufsstadt mit „französischem Flair“ und schicken Restaurants und Kneipen präsentieren, und nicht als Stadt, die in einer Reihe mit Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen steht.

Mit dem kommunalpolitisch unterstützten Projekt der „akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen“ wurde Anfang der 90er Jahre die bestehende rechte Szene in erheblichem Maße gefördert. Den Neonazis wurden nicht nur Räumlichkeiten und Infrastruktur zu Verfügung gestellt, sondern deren Strategie der hegemonialen Dominanz auf der Straße auch durch Sozialarbeit, Lokalpresse und kommunale Politik unterstützt. Darüber hinaus wurden (rassistische) Übergriffe als Konflikte zwischen Jugendgruppen banalisiert und verharmlost. Antifaschistische Gruppen und Projekte wie zum Beispiel die Antifa Saarlouis oder der antifaschistische Infoladen Bambule wurden als Unruhestifter und Nestbeschmutzer wahrgenommen. Bis heute versucht die Stadt Saarlouis, einen „Imageschaden“ durch die Anerkennung der rassistischen Motivation der Ermordung von Samuel Yeboah abzuwenden.

Erinnerung tut Not

Anlässlich des zehnten Todestages von Samuel Yeboah brachten Antifaschist:innen im Anschluss an eine Demonstration eine Gedenktafel an die Fassade des Saarlouiser Rathauses an, die auch die rassistische Motivation der Täter benannte. Mit dieser Form der Erinnerung — mitten im Zentrum von Saarlouis — konnte sich die Stadt nicht anfreunden, ließ die Tafel entfernen und zeigte den Anmelder der Demonstration wegen Sachbeschädigung an. Ein Gerichtsprozess platzte, das Verfahren wurde eingestellt. Dabei ließ es die Stadt Saarlouis aber nicht bewenden: Die Kosten für die Entfernung der Gedenktafel klagte sie auf zivilem Wege ein, schließlich waren Kosten in Höhe 134,50 Euro entstanden. Bei der Gedenkfeier zum 20. Todestag weigerte sich die Stadt Saarlouis, die Angehörigen zu empfangen.

Bis heute erinnert im Stadtzentrum keine Gedenktafel, kein Gedenkstein oder Mahnmal an den rassistisch motivierten Anschlag in Saarlouis. Lediglich an der Grabstelle auf dem Saarlouiser Friedhof wird darauf hingewiesen, dass Samuel Yeboah „Opfer eines Brandanschlags“ wurde.

Der politische Wille im Saarland und im Speziellen in Saarlouis einen Aufklärungsbeitrag zu den Geschehnissen in Saarlouis und Umgebung zu leisten, fehlt weiterhin. Es sind seit Jahren Organisationen wie die Aktion 3. Welt Saar e.V., die Antifa Saar, der Saarländische Flüchtlingsrat und einige wenige andere, die das Gedenken an Samuel Yeboah wach halten und Aufklärung einfordern.

Weitere Informationen unter:

www.a3wsaar.de, www.asyl-saar.de und www.antifa-saar.org

Eine Chronik der damaligen extrem rechten Aktivitäten findet sich in der Publikation „Kein schöner Land“ aus dem Jahr 2000. Abrufbar unter www.antifa-saar.org und in der aktuellen Ausgabe der „Saarbrücker Hefte“ (www.saarbrücker-hefte.de)

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