„Völkisch“!?

Zur Konjunktur eines rechten Begriffs

Seitdem die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry im September 2016 davon sprach‚ dass man daran arbeiten müsse, dass der Begriff „völkisch“ „wieder positiv besetzt“ werde, hat dieser in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten Konjunktur. Die Beschäftigung mit den „Völkischen“ sollte aber eigentlich einen Teil der extremen Rechten jenseits von „Kameradschaften“, Parteien, Straßengewalt und Demonstrationen in den Fokus rücken, der außerhalb eines Fachdiskurses kaum wahrgenommen wird. Stattdessen wird der Begriff nahezu willkürlich für unterschiedlichste Erscheinungsformen der extremen Rechten verwendet.

Seitdem die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry im September 2016 davon sprach‚ dass man daran arbeiten müsse, dass der Begriff „völkisch“ „wieder positiv besetzt“ werde, hat dieser in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten Konjunktur. Die Beschäftigung mit den „Völkischen“ sollte aber eigentlich einen Teil der extremen Rechten jenseits von „Kameradschaften“, Parteien, Straßengewalt und Demonstrationen in den Fokus rücken, der außerhalb eines Fachdiskurses kaum wahrgenommen wird. Stattdessen wird der Begriff nahezu willkürlich für unterschiedlichste Erscheinungsformen der extremen Rechten verwendet.
So berichtete beispielsweise die FAZ im November 2020 über das vom BGH bestätigte Urteil gegen die Oldschool Society: „Die völkisch gesinnte Gruppe wollte Anschläge verüben.“ Eine derartige Formulierung führt nicht nur zu einer inhaltlichen Entleerung, sondern auch zu politischen Fehleinschätzungen. Denn bei der „Völkischen Bewegung“ handelt es sich um eine spezifische Spielart der extremen Rechten, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Ziel war und ist eine rassistisch, kulturell und religiös begründete „Wiedergeburt des deutschen Volkstums“. Grundannahme des „Völkischen“ ist ein qua Abstammung rassisch und kulturell definiertes „Deutschtum“. Es geht um die Konstruktion einer überzeitlichen und statischen Gemeinschaft, die nach innen homogenisiert und nach außen abgeschottet ist.

Die „Völkische Bewegung“ war historisch gesehen eine Sammelbewegung mit Netzwerkcharakter, die aus unzähligen, teils kurzlebigen Vereinigungen und Sekten bestand. Durch die Herausgabe zahlreicher Zeitschriften, Bücher und Broschüren verbreiteten sich völkische Vorstellungen in weiten Teilen der deutschen und österreichischen Gesellschaft. Der Mittelstand bildete die soziale Basis der „Völkischen“, wie der Historiker Stefan Breuer herausarbeitete. Die Anhänger*innen waren zum größten Teil Handwerker, Angestellte, Beamte und Bauern. Besonders unter den völkischen Ideologen befanden sich neben Lehrern, Geistlichen, Professoren auch viele Journalisten und Schriftsteller, die sich durch die kapitalistische Moderne bedroht sahen.

„Blut und Boden“

Maßgeblichen Einfluss auf die ideologische Ausrichtung und Herausbildung der Bewegung hatten Akteure aus dem organisierten Antisemitismus, der in Reaktion auf die rechtliche Gleichstellung von Juden*Jüdinnen nach der Reichsgründung 1871 entstanden war. Theodor Fritsch, der bereits in den 1880er Jahren als Herausgeber der Zeitschrift Antisemitische Correspondenz und Autor des 1887 erstmals erscheinenden „Antisemiten-Katechismus“ gewirkt hatte, gründete 1902 die Zeitschrift Hammer, eine der zentralen Publikationen der „Völkischen Bewegung“. In der völkischen Weltanschauung verbanden sich Antisemitismus, Rassismus, aggressiver Nationalismus und Anti-Moderne zur Blut- und Boden-Ideologie.

Die Vorstellung der Verwurzelung des „Volkes“ mit der „Scholle“ führten zu einer Idealisierung und Verherrlichung des Landlebens und eines vermeintlich althergebrachten Brauchtums. Der Bauer als mit der „Scholle“ verwurzelter Garant für die „Reinheit der Rasse“ wurde dem als dekadent, verweichlicht, liberal, kosmopolitisch und individualisiert dargestellten modernen Mensch in den Städten entgegengestellt. Industrialisierung, Massengesellschaft, Demokratie, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus, Pazifismus, Feminismus und Internationalismus galten als Sinnbild gesellschaftlichen Verfalls. In apokalyptischen Sprachbildern wurde der Untergang des „Deutschtums“ heraufbeschworen.

Germanentum, nordische Mythologie und Religion

Zur Rechtfertigung des antidemokratischen Konzeptes einer autoritären Ständegesellschaft bedienten sich Teile der „Völkischen“ der „Germanenideologie“. Bezüge auf das vermeintliche „Germanentum“, etwa Namen aus der nordischen Mythologie, der Gebrauch von Runen oder die Anrufung vermeintlich nordisch-germanischer Götter, finden sich in allen Bereichen der „Völkischen Bewegung“. So in der von 1899 bis 1901 erscheinenden Zeitschrift Odin oder der von 1896 bis 1925 von Adolf Reinecke herausgegebenen Publikation Heimdall. Dabei wurde das vermeintlich „Germanische“ mit dem „Deutschen“ gleichgesetzt und eine Abstammungslinie und Nationalgeschichte von den Wikingern über Hermann den Cherusker bis ins aktuelle Zeitgeschehen gespannt. Eng verbunden mit dem Germanen-Mythos ist die Suche nach einem „arteigenen Glauben“. In der heterogenen „Völkischen Bewegung“ entwickelten sich verschiedene religiöse Konzepte. Der Historiker Uwe Puschner beschreibt dabei die Spannbreite „von einem ‚arisierten‘, von seinen jüdischen Grundlagen gelösten und entchristlichten Deutschchristentum bis zur Erneuerung vorchristlichen, ‚germanischen‘ Glaubens in Gestalt verschiedener neuheidnischer Religionskonzepte“.

Verhältnis zum NS

Oft wird die „Völkische Bewegung“ als Ursprung oder Wegbereiter des Nationalsozialismus beschrieben, und ohne Zweifel übernahm der NS nicht nur den Begriff „völkisch“ sondern auch das Verständnis der „Volksgemeinschaft“ inklusive Antisemitismus, eignete sich Symbole und Riten der Bewegung an, wie beispielsweise das Hakenkreuz und den „Heil“-Gruß. Während sich die NSDAP als „Vorkämpferin und damit als Repräsentantin“ der völkischen Ideen verstand und inszenierte, bezeichnete Fritsch sie als „ein Glied der allgemeinen völkischen Bewegung“. Das Verhältnis der „Völkischen Bewegung“ zum NS war von Widersprüchen, Spannungen und Konkurrenz geprägt. Teile der Nationalso­zialist*innen verstanden sich als vorwärtsgewandt und suchten das Bündnis mit Kapital und Industrie. Diese konnten mit den Strukturen und Vordenkern der „Völkischen“ wenig anfangen. Trotz seiner eigenen politischen Sozialisation im Milieu der „Völkischen“ machte sich Adolf Hitler in „Mein Kampf“ über die Aktivisten der „Völkischen Bewegung“ lustig, bezeichnete sie als „deutschvölkische Wanderscholaren“ und „völkische[..] Methusalem[s]“, die „eine große Idee verkorkst und zum Verkalken [ge]bracht“ hätten. Gleichzeitig waren führende NS-Funktionäre wie Heinrich Himmler, „Reichsführer SS“ und Chef der Deutschen Polizei, Walther Darré, der von 1932 bis 1938 Leiter des „Rasse- und Siedlungshauptamtes“ der SS und „Reichsbauernführer“ war, sowie der NS-Ideologe Alfred Rosenberg fest in der „Völkischen Bewegung“ der Weimarer Republik verankert.

Nach der Machtübertragung wurden die als „Altvölkische“ bezeichneten Gründungsväter der Bewegung zwar als „Vorkämpfer“ gewürdigt, konnten aber keinen nennenswerten Einfluss auf die Gestaltung des NS-Regimes nehmen. Zentrale völkisch-religiöse Organisationen, wie die 1912 von dem völkischen Maler und Dichter Ludwig Fahrenkrog gegründete Germanische Glaubens-Gemeinschaft wurden nach 1933 zwar nicht verboten, ihre Hoffnungen, als offizielle Religion des neuen Reiches anerkannt zu werden, wurden jedoch enttäuscht. Andere Teile der „Völkischen Bewegung“ arrangierten sich mit dem neuen System. So schlossen sich etwa die völkischen Bünde der „Jugendbewegung“ freiwillig der Hitlerjugend an. Viele ihrer Funktionäre übernahmen teils wichtige Positionen in der Reichsleitung der HJ.

In völkischer Tradition

Nach 1945 knüpften einige Gruppen, teils in personeller Kontinuität, an die Ideologie und Struktur der „Völkischen Bewegung“ an. Kaum bekannte Gruppen, wie die Fahrenden Gesellen, die Deutsche Gildenschaft oder die Artamanen, reaktivierten ihre Strukturen. Im Bereich der Jugendorganisationen und Kindererziehung dominierte zwischen ihrer Gründung 1952 und dem Verbot 1994 zwar die NS-orientierte Wiking-Jugend, neben dieser existierten aber weitere Organisationen wie der Bund Heimattreuer Jugend, später umbenannt in Freibund, der heute eher in der Tradition der „Völkischen Bewegung“ steht.

Im germanisch-religiösen Bereich knüpften die inzwischen aufgelöste Deutschgläubige Gemeinschaft und die Artgemeinschaft (vgl. LOTTA #59 S. 33), an die Tradition an. Letztere ist von besonderem Interesse, handelt es sich bei dieser doch heute um eine Organisation, die ihre völkische Ideologie bewahrt hat, deren Mitglieder aber nahezu komplett im Neonazismus zu verorten sind. Auch die „Anastasia“-Szene, die erst Ende der 1990er Jahre in Russland entstand, verwendet viele ideologische Elemente der „Völkischen Bewegung“. Antisemitismus und Verschwörungsideologie werden mit antimodernen und agrarromantischen Siedlungskonzepten kombiniert. Bei fast allen genannten Organisationen führt die völkische Ideologie auch zu einem rückwärtsgewandten Erscheinungsbild. Das muss aber nicht so sein.

Bekenntnis zur Demokratiefeindlichkeit

Als Frauke Petry im September 2016 im Interview mit der Welt am Sonntag den Begriff „völkisch“ zum Adjektiv von „Volk“ erklärte, verzapfte sie nicht einfach sprachlichen Unsinn, ihr ging es um die Etablierung eines ausgrenzenden Begriffs in der Bevölkerung, der an die „Völkische Bewegung“ anknüpft. Die AfD nahm, vermutlich in Folge der negativen Medienberichterstattung, den Begriff „völkisch“ nicht in ihr Repertoire auf. Es ist jedoch festzustellen, dass relevante Teile der AfD ein über Sprache, Tradition und Brauchtum konstruiertes, ausgrenzendes Verständnis von „Volk“ eint. So knüpft die AfD mit ihrem Verständnis von der deutschen Sprache als „zentrales Element deutscher Identität“, die über „Jahrhunderte gewachsen“ sei und „auf vielfältigste Weise die Geistesgeschichte, das Selbstverständnis dieses Raumes in der Mitte Europas“ widerspiegele, an die Sprachpolitik der „Völkischen Bewegung“ an. Den Begriff der „Rasse“ verwendet die AfD nicht, ihr Verständnis davon, wer zum „deutschen Volk“ gehört, ist aber derart geschlossen, dass in der Forschung die AfD beziehungsweise Teile der AfD als „völkisch“ bezeichnet werden. Hier wird ein Begriff von „völkisch“ verwendet, der von der historischen Erscheinungsform der „Völkischen Bewegung“ gelöst ist und sich auf die Ideologie der AfD bezieht.

Alles völkisch oder was?

Bei der Verwendung des Begriffs „völkisch“ werden oftmals unterschiedliche Ebenen vermischt. Die „Völkische Bewegung“ ist durch eine Ideologie und eine damit einhergehende Erscheinung, dem Rückwärtsgewandten, Traditionellen und Antimodernen in Bekleidung und Auftreten gekennzeichnet. Zimmermannshosen oder Zöpfe zu tragen, reicht jedoch nicht aus, um „völkisch“ zu sein, auch wenn der Begriff heute häufig in dieser Form verwendet wird — sogar in antifaschistischen Kreisen. Von Teilen der AfD, die weder Zimmermannshosen noch Zöpfe tragen, wird eine Konstruktion des „Volks“ präsentiert, die ideologisch an die der „Völkischen Bewegung“ anknüpft. Es ist wichtig, den antidemokratischen Charakter der „Völkischen Bewegung“ herauszuarbeiten. Das macht es möglich, Anknüpfungspunkte und Versatzstücke völkischer Ideologie — die heute etwa bei Impfgegner*innen oder in Teilen der Umwelt- und Ökologiebewegung vorhanden sind — zu erkennen und diesen entgegentreten zu können. Auch kann somit die Fixierung auf den Neonazismus überwunden werden und die Gefahr der völkisch-nationalistischen Programmatik der AfD verdeutlicht werden. Es ist jedoch nicht hilfreich, „völkisch“ als Modebegriff für eindeutig neonazistische Strukturen zu verwenden, denn dies verwischt die unterschiedlichen Ausprägungen der extremen Rechten und die mit diesen einhergehenden Gefahren.

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