Heimat, Tradition, Identität

Die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt

Im September 2018 wurde die neue Altstadt in Frankfurt eröffnet. Die erste politische Initiative zur Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg zum Teil zerstörten Altstadt um den Frankfurter Römer ging von den rechten „Bürgern für Frankfurt“ aus.

Im September 2018 wurde die neue Altstadt in Frankfurt eröffnet. Die erste politische Initiative zur Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg zum Teil zerstörten Altstadt um den Frankfurter Römer ging von den rechten „Bürgern für Frankfurt“ aus.

Handwerklich toll gemacht seien die rekonstruierten Häuser der neuen Altstadt: „Ich hatte fast nirgendwo den Eindruck von Disneyland“, stellte der Stuttgarter Architekturprofessor Stephan Trüby (siehe auch Interview auf Seite 17 ff.) gegenüber dem Hessischen Rundfunk fest. Dennoch kritisierte er die Rekonstruktion der zerstörten Altstadt, weil Geschichte auf ein „eindimensionales Wunschkonzert“ reduziert würde, so als hätte es Nationalsozialismus und Krieg nie gegeben. Der Wiederaufbau der Altstadt ist der Versuch, einen Nationalstolz zu entwickeln, ohne Schulddebatten, die das heimelige, deutschtümelnde Gefühl beim Flanieren durch die neue Altstadt stören könnten. Rekonstruktionsarchitektur wird so zum Medium, um rechte Ideologie von Identität und Heimat in bürgerliche Kreise zu tragen.

Wessen Idee?

Die Idee der Rekonstruktion der Altstadt waberte Anfang der 2000er Jahre bereits längere Zeit durch Frankfurt. Anfang 2005 war die Junge Union Frankfurt-Süd Initiatorin einer Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren zum Wiederaufbau der Altstadt. Zunächst war die CDU nicht gerade begeistert vom Vorstoß ihres Jugendverbandes, wurde dann aber zusehends nervös, als relativ schnell über zehntausend Unterschriften zusammen kamen. Als am 20. August 2005 der damals einzige Stadtverordnete der rechten Bürger für Frankfurt (BfF), Wolfgang Hübner, im Römer einen Antrag zum Wiederaufbau stellte, schien die CDU ihm das Thema nicht überlassen zu wollen. Zwar lehnte sie, wie auch alle anderen Parteien, den Antrag der BfF ab. Doch als ein Monat später bei einem Ideenwettbewerb der Stadt zur Neubebauung des Areals des ehemaligen Technischen Rathauses ein Entwurf mit modernen Gebäuden siegte, machte die CDU Stimmung gegen den Entwurf. Der damalige Bürgermeister Uwe Becker kritisierte „betonmäßige Monumentalität“. Zudem wirkt der BfF-Antrag nahezu wie eine Blaupause für den Antrag, den die schwarz-grüne Stadtregierung 2006 erfolgreich einbrachte.

2018 bekräftigte der damalige CDU-Fraktionschef Michael zu Löwenstein, dass „die CDU […] die treibende Kraft bei der neuen Frankfurter Altstadt“ gewesen sei. Die frühere Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) versuchte parallel, den Streit um die Initiation aufzulösen, indem sie die Rekonstruktion der Altstadt als das Ergebnis „partizipativer Politik“ deklarierte, wo vor allem die „Frankfurter Bürger [..] Ideen entwickelt“ hätten. Für die BfF hingegen war längst der Mythos geboren, sie hätten die Verwirklichung der neuen Altstadt erst möglich gemacht.

Die BfF und Claus Wolfschlag

Dass der BfF ein Coup gelungen ist, der sie in Teilen der Stadt als jene stilisiert, die den Wiederaufbau der Altstadt erst möglich gemacht haben, steht in keinem Verhältnis zu ihrer Relevanz. Mehr als drei Sitze hatte die BfF im Römer, dem Frankfurter Rat, nie inne. Auch ist die Partei durchaus heterogen, durch exponierte Protagonisten wie Hübner oder auch Matthias Mund dominieren rechte und extrem rechte Positionen. Matthias Mund ist vor allem durch seine Frau Heidi Mund bekannt geworden, die zeitweise als FRAGIDA-Oganisatorin aufgetreten war. Hübners Politikkarriere war unterdessen holprig. Stadtverordneter der BfF, ein kurzes Gastspiel bei der AfD und zwischenzeitlich Mitorganisator des Frankfurter PEGIDA-Ablegers, sowie Autor der extrem rechten PI-News. Mittlerweile veröffentlicht er auf der Parteiseite regelmäßig Artikel unter dem Titel „Hübners Woche“. Eine politische Nähe der BfF lässt sich zur AfD attestieren und wird auch durch Personalien deutlich. So saß etwa Carl-Philip Solms-Wildenfels, obwohl BfF-Mitglied, zwischen 2016 und 2021 für die AfD als ehrenamtlicher Stadtrat im Magistrat.

Den BfF-Antrag zur Rekonstruktion der Altstadt formulierte Hübner 2005 mit Claus Wolfschlag. Der rechte Publizist schreibt u.a. für Junge Freiheit und Sezession. Wolfschlag wird in der extremen Rechten als Experte zum Thema Architektur wahrgenommen und konnte in der Vergangenheit immer wieder darüber publizieren. Zuletzt veröffentlichte er ein Buch über „Rekonstruktion in Architektur und Kunst seit 1990“. Bereits 2009 brachten die „Blätter der Deutschen Gildenschaft“ einen Beitrag von Wolfschlag über die „Strömung der Konservativen Revolution in der Architektur“.

„Pro Altstadt“ — „Altstadt 2.0“

Als 2018 die neue Altstadt eröffnet wurde, organisierte der BfF-nahe Verein Pro Altstadt die Tagung „Altstadt 2.0 — Städte brauchen Schönheit und Seele“. Vorsitzende des Vereins war zu dieser Zeit Cornelia Bensinger, die parallel Ortsbeirätin der BfF war. Auf der Tagung referierte unter anderem Claus Wolfschlag, den Hübner als „geistigen Architekten“ der neuen Altstadt bezeichnete. Wolfschlag gab im Redebeitrag an, dass es seine Motivation gewesen sei, wieder „Schönheit und Liebe in die Stadt bringen“. Dies beinhalte für ihn „Heimat“ und ein Ende des „Traumas“ und der „inneren Leere“, die der Zweite Weltkrieg den Deutschen beschert hätte. Durch die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, könne das „Volk“ wieder seine eigene Identität entwickeln.

Der luxemburgische Architekt und Städteplaner Léon Krier forderte bei der Tagung die Gründung alternativer Bildungseinrichtungen, an denen klassizistische Architektur nicht mehr nur als Geschichts- sondern als Entwurfsfach gelehrt werden solle. Eben dies, gab der Frankfurter Unternehmer Jürgen Aha an, versuche er bei der Schinkel’schen Bauakademie in Berlin, um jene zu einer Kaderschmiede für traditionalistische Architektur auszubauen.

Städte und Tradition

„Die Rechten und Rechtsextremen haben ihre neue Kampfzone gefunden: die Städte und ihre Tradition“, resümierte Adrian Schulz in der taz die Tagung. Folgerichtig brachten Hübner und Bensinger 2018 auch weitere wiederaufzubauende Wunschgebäude in die Diskussion, darunter das „alte“ Schauspielhaus. Dies wurde etwa zwei Jahre später von der Bürgerinitiative Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt aufgegriffen, die im Herbst 2020 knapp 20.000 Unterschriften für die Rekonstruktion des Gebäudes von 1902 sammelte. Ein Mitinitiator der Initiative war Jürgen Aha. Der Magistrat lehnte das Ansinnen des Bürgerbegehrens aber ab.

Bei Vorhaben dieser Art wird deutlich, dass der Rückgriff auf das Thema Rekonstruktionsarchitektur oft verbunden ist mit einer selektiven Geschichtsbetrachtung, die für eine rechte politische Agenda genutzt wird. Auch wird im Diskurs nicht zuletzt ein antimodernistisches Fragment rechter Ideologie deutlich, in dem moderne Bauten als kalt und anonym deklariert werden. Fachlich wird dieser Sichtweise allerdings wenig entgegengesetzt, vielmehr werden in populistischem Stil Begrifflichkeiten wie Heimat, Tradition, Identität mit dem Begriff und der Vorstellung von Schönheit verknüpft.