Gegen die „Bestie ohne Seele“

Die Rechtsregierungen in Polen und Ungarn

Mit ihrer ultrarechten Politik geraten sie immer wieder in Konflikt mit der EU: das von der Partei PiS regierte Polen und Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Beide huldigen einem massiven Nationalismus und einer rassistischen Flüchtlingsabwehr; beide forcieren eine reaktionäre Geschlechterpolitik und durchdringen Staat und Öffentlichkeit mit ihrer rechten Ideologie. Trotz unversöhnlicher Differenzen in der Außenpolitik sind sie bestrebt, gemeinsam die EU möglichst weit nach rechts zu verschieben — mit Verbündeten wie zum Beispiel Giorgia Melonis „Fratelli d’Italia“.

Mit ihrer ultrarechten Politik geraten sie immer wieder in Konflikt mit der EU: das von der Partei PiS regierte Polen und Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Beide huldigen einem massiven Nationalismus und einer rassistischen Flüchtlingsabwehr; beide forcieren eine reaktionäre Geschlechterpolitik und durchdringen Staat und Öffentlichkeit mit ihrer rechten Ideologie. Trotz unversöhnlicher Differenzen in der Außenpolitik sind sie bestrebt, gemeinsam die EU möglichst weit nach rechts zu verschieben — mit Verbündeten wie zum Beispiel Giorgia Melonis „Fratelli d’Italia“.

Die Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit), die erstmals von 2005 bis 2007 die polnische Regierung stellte und dies seit 2015 erneut tut, ist die dominante Kraft der polnischen Rechten. Sie zeichnet sich unter anderem durch einen harten Nationalismus aus und dadurch, dass sie im stark katholisch geprägten Polen für den Rechtskatholizismus steht, wie man ihn international von Karol Wojtyła kennt, dem polnischen Papst „Johannes Paul II“ (1978 bis 2005). Der Wille der PiS, ihre Positionen nicht nur in ihrer konkreten Politik zu realisieren, sondern nach Möglichkeit den gesamten Staatsapparat und die Öffentlichkeit mit ihrer Ideologie zu durchdringen, übersteigt das Maß dessen, was in Westeuropa zur Zeit üblich ist. Die PiS hat ihre Regierungskompetenzen genutzt, um die staatlichen Medien ganz auf ihre Linie festzulegen und zudem die Justiz in hohem Maß unter ihre Kontrolle zu bringen. An Letzterem hat sich ein heftiger Streit mit der EU entzündet, der Warschau lukrative EU-Zuschüsse kostet und bis heute anhält.

Schlagzeilen ruft auch international regelmäßig die ultrareaktionäre Geschlechterpolitik der PiS hervor. Im Oktober 2020 hat das von ihr kontrollierte Verfassungsgericht den Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen fast vollständig ausgehebelt; selbst dann, wenn sie noch zulässig wären — bei Gefahr für das Leben der Schwangeren –, werden sie kaum noch durchgeführt, weil Ärzte drakonische Strafen fürchten. Die PiS-Regierung übt mittlerweile sogar gezielt Druck auf Nachbarstaaten aus, Polinnen an Abbrüchen in dortigen Kliniken zu hindern. Der Aktivistin Justyna Wydrzyńska drohen in einem Prozess drei Jahre Haft, weil sie Abtreibungspillen weitergegeben hatte. Ins Visier genommen haben die PiS-Regierung und der polnische Präsident Andrzej Duda, der aus der PiS kommt, zu Beginn seiner Präsidentschaft aber der Form halber aus ihr ausgetreten ist, auch die LGBT-Community. Im Präsidentschaftswahlkampf 2020 stellte Duda eine „Familien-Charta“ vor, die alle Alternativen zur heterosexuellen Ehe verurteilt und sie als Ausfluss einer „fremden Ideologie“ diffamiert. Inspiriert von der PiS, haben sich Dutzende Kommunen und Landkreise seit 2019 zu „LGBT-ideologiefreien Zonen“ erklärt; „LGBT-frei“ käme der Absicht wohl näher.

Nähe zur extremen Rechten

Dazu passt, dass die PiS immer wieder eine gewisse Nähe zur extremen Rechten erkennen lässt. Offen zutage tritt die Nähe regelmäßig am 11. November, Polens Unabhängigkeitstag, an dem jährlich Zehntausende Rechte durch die Straßen Warschaus marschieren. Der Aufzug gilt als das größte extrem rechte Event seiner Art in Europa; an ihm nahmen im Jahr 2022 unter anderem die Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska) und das Nationalradikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny) teil, zwei einschlägig bekannte Organisationen der extremen Rechten in Polen. Auch die extreme Rechte jenseits Polens war präsent, so etwa Aktivisten des Der III. Weg oder Personen mit der Fahne des extrem rechten ukrainischen Bataillons Asow. Das hielt Polens Justizminister Zbigniew Ziobro nicht davon ab, sich in den Marsch einzureihen. Nun gehört Ziobro nicht der PiS, sondern der Partei Solidarna Polska an, die zwar in einem festen Bündnis mit der PiS operiert, aber rechts von ihr steht. Antoni Macierewicz allerdings, Ex-Verteidigungsminister, heute Alterspräsident der Parlamentskammer Sejm, ist ein einflussreiches PiS-Mitglied. Er marschierte am 11. November ebenfalls mit.

Auch wenn die PiS-Regierung immer wieder mit der EU in Konflikt gerät: Einen Austritt aus der Union strebt sie nicht an. Das wäre für sie schon wegen der Milliardensummen, die Polen aus dem Brüsseler Etat erhält, kontraproduktiv und zudem höchst unpopulär: Laut Umfragen sprechen sich regelmäßig zwei Drittel der Bevölkerung, zum Teil sogar noch mehr, für den Verbleib im europäischen Staatenkartell aus; für den Austritt plädieren zumeist nur rund zehn Prozent oder wenig mehr. Allerdings sucht die PiS-Regierung den Einfluss der EU zurückzudrängen — und dabei kann sie sich auf gut 44 Prozent der Bevölkerung stützen, die die Union als „übergriffig“ gegenüber Polen empfinden. Im Oktober 2021 urteilte das PiS-orientierte Verfassungsgericht, Teile der EU-Verträge seien mit der polnischen Verfassung nicht in Einklang zu bringen; letztere habe jedoch Vorrang. Aus Sicht der EU ist das ein gravierender, unzulässiger Urteilsspruch. Nun hat es bereits vergleichbare Urteile des deutschen Bundesverfassungsgerichts gegeben. Der polnische Fall hatte jedoch eine neue Qualität. Europaparlamentarier äußerten damals, Polen bewege sich mit dem Urteil auf einen „Polexit“ zu. Das geht, was die PiS anbelangt, wohl fehl: Sie will keinen Austritt, aber eine andere, weniger vergemeinschaftete EU.

„Traditionelle Familienwerte“

Auf der ungarischen Rechten dominiert die Partei Fidesz — Ungarischer Bürgerbund (Fidesz — Magyar Polgári Szövetség). Unter ihrem Mitgründer und Vorsitzenden Viktor Orbán, der zum ersten Mal von 1998 bis 2002 als Ministerpräsident amtierte und diesen Posten seit 2010 erneut innehat, stellt sie im ungarischen Parlament seit 2010 gemeinsam mit der eng verbündeten Christlich-Demokratischen Volkspartei (Kereszténydemokrata Néppárt, KDNP) stets die absolute Mehrheit. Bei der Parlamentswahl vom April 2022 kamen beide zusammen auf 54,1 Prozent. Der Fidesz zeichnet sich vor allem durch völkischen Nationalismus aus, der dem „Ungarntum“ Vorrang einräumt und die Zugehörigkeit zum „ungarischen Volk“ klar nach Abstammung definiert; Orbáns Ungarn vereinnahmt die ungarischsprachigen — und ihm zufolge ungarischstämmigen — Minderheiten in den Nachbarstaaten für sich und verleiht ihren Angehörigen auf Wunsch ungarische Pässe, während es solche eingewanderten Personen nach Möglichkeit verweigert. Ähnlich wie die PiS-Regierung hat auch Orbán den Einfluss des Fidesz auf die Medienlandschaft stark ausgeweitet; auch in Ungarn sucht die Regierung mit ihrer Ideologie alle Bereiche von Staat und Gesellschaft zu durchdringen. Und auch Budapest steht damit — wie Warschau — im Konflikt mit der EU.

Nicht zuletzt in Sachen Geschlechterpolitik geht Ungarn unter Orbán einen ähnlichen Weg wie Polen unter der PiS. Im Mittelpunkt stehen dabei „traditionelle Familienwerte“. Während die Fidesz-Regierung schon seit Jahren Frauen auf die Mutterrolle festzulegen sucht, hat sie im September 2022 begonnen, am Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu kratzen, das bisher noch bis zur zwölften, unter Umständen bis zur 24. Woche gilt: Zusätzlich zu den zwei obligatorischen Beratungen, in denen in jüngster Zeit wohl immer mehr Druck ausgeübt wird, müssen Frauen nun einen Termin wahrnehmen, bei dem ihnen der Herzschlag des Embryos akustisch vorgeführt wird. Das soll vor Abbrüchen abschrecken. Gegen LGBT geht die Orbán-Regierung unter anderem mit einem Gesetz vor, das im Juli 2021 in Kraft getreten ist und das eine positive Darstellung nicht-heterosexueller Beziehungen in der Werbung untersagt — und ganz allgemein in Publikationen, wenn diese Kindern zugänglich sind.

Horthy — ein „außerge­wöhnlicher Staatsmann“

Die inhaltliche Nähe des Fidesz zur extremen Rechten drückt sich nicht zuletzt in seinem Geschichtsrevisionismus aus, der NS-Kollaborateure aus der Zeit des Horthy-Regimes immer öfter positiv bewertet und ehrt. In zahlreichen ungarischen Städten sind in den vergangenen Jahren Büsten und Denkmäler aufgestellt worden, die den „Reichsverweser“ und NS-Kollaborateur Miklós Horthy zeigen. Im August 2022 platzierte die extrem rechte Partei Mi Hazánk (Unsere Heimat) eine Horthy-Büste im Budapester Parlament; Parlamentspräsident László Kövér (Fidesz) verteidigte den vor allem im Ausland heftig kritisierten Vorgang. Kein Wunder: Orbán persönlich hat Horthy als „außergewöhnlichen Staatsmann“ gelobt. Werke von NS-Kollaborateuren wie dem völkisch-antisemitischen Schritsteller Albert Wass zählen mittlerweile zur Pflichtlektüre an ungarischen Schulen. Antisemitismus gehört — oft in kodierter Form — zum Grundbestand der völkischen Fidesz-Ideologie; in der Öffentlichkeit bricht er sich etwa in Orbáns kampagnenhafter Agitation gegen den Milliardär George Soros Bahn, einen US-Amerikaner ungarisch-jüdischer Abstammung.

Wie die PiS setzt Orbáns Fidesz nicht auf einen Austritt aus der EU, sondern darauf, die nationalen Spielräume innerhalb der Union auszubauen. Auch Ungarn erhält hohe Summen aus Brüssel, die die Mitgliedschaft auf absehbare Zeit zu einem lukrativen Geschäft machen; auch die ungarische Bevölkerung spricht sich — nicht zuletzt deshalb — mit großer Mehrheit für den Verbleib in der Union aus. Eine Umfrage im Juni 2022 ergab eine überwältigende Zustimmung von fast 90 Prozent dafür; 83 Prozent aller Fidesz-Anhänger schlossen sich der Forderung an; sogar 70 Prozent der Anhänger:innen der extrem rechten Partei Mi Hazánk wollten die EU auf keinen Fall verlassen. Dies, obwohl nur 53 Prozent aller Ungar*innen laut einer Umfrage vom Oktober 2022 der Auffassung waren, die EU respektiere die „Werte“ ihres Landes, und 42 Prozent die Union in derselben Umfrage als „übergriffig“ einstuften. Orbáns Fidesz strebt — auch dies wie PiS — größere Kompetenzen für die Nationalstaaten in der EU an. Es gibt Hinweise, laut denen die Fidesz-Führung damit rechnet, dass die EU früher oder später zu bröckeln beginnt, dies womöglich zu einer Zeit, zu der Ungarn Nettozahler werden könnte; unter diesen Umständen würden die Karten womöglich neu gemischt. Aktuell aber sucht Orbán nicht den Bruch.

Gemeinsam gegen Flüchtlinge

Auf EU-Ebene verbinden wichtige Themen das von der PiS regierte Polen und Orbáns Ungarn. Da wäre zunächst die Abwehr der EU-Restriktionen, gegen die beide Regierungen bislang konsequent gemeinsam vorgehen. Weitgehend einig sind sie sich etwa auch in der Flüchtlingsabwehr. Diesbezüglich werden sie sogar von den Regierungen der beiden anderen Visegrád-Staaten, Tschechien und der Slowakei, unterstützt. Was den Bau hochgerüsteter Grenzanlagen zur Abschottung gegen Flüchtlinge anbelangt, hat sich Warschau Budapest mittlerweile angeschlossen: Es riegelt seine Grenze zu Belarus mit einem stacheldrahtbewehrten „Grenzzaun“ ab. Konsens besteht auch darin, Bestrebungen aus Brüssel zu blockieren, dem Beharren auf eine reaktionäre Geschlechterpolitik ein Ende zu setzen. Nicht zuletzt stärkt der Wunsch nach stärkerer nationalstaatlicher Eigenständigkeit in der EU die Bindung zwischen der PiS und dem Fidesz.

Unterschiede gibt es zwischen der PiS und dem Fidesz in der Frage, welche Bündnisse im Europaparlament anzustreben seien. Der Fidesz war bemüht, so lange wie nur irgend möglich in der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) rings um CDU und CSU zu bleiben, und trat erst im März 2021 aus. Die PiS wiederum hat sich in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) organisiert.

Unversöhnliche Differenzen

Unversöhnliche Brüche bestehen zwischen dem PiS-regierten Polen und Ungarn unter Orbán in der Außenpolitik. Die PiS legt Priorität auf eine enge Kooperation mit den USA. Dies verband sie schon lange vor dem Ukraine-Krieg mit einer scharfen, letztlich in der historischen Erfahrung mit deutsch-russischen Annexionen begründeten Abgrenzung gegenüber Russland. Besonders deutlich wurde diese etwa nach dem Absturz einer polnischen Tupolew-Maschine beim Landeanflug auf den Militärflughafen im russischen Smolensk am 10. April 2010, bei dem 96 Menschen ums Leben kamen, darunter der polnische Präsident Lech Kaczyński. Führende PiS-Politiker, etwa Macierewicz, verbreiteten Verschwörungstheorien, laut denen der Absturz in der einen oder anderen Form von Russland herbeigeführt worden sei.

Die seit je scharf antirussischen Positionen der PiS kontrastieren diametral mit der Haltung Ungarns unter Orbán. Im Bestreben, sich Kooperationspartner jenseits der EU zu suchen, um dieser nicht vollständig ausgeliefert zu sein, hat sich Orbán nicht an die Vereinigten Staaten, sondern an Russland gewandt, mit dem Ungarn etwa in der Energiepolitik zusammenarbeitet — bis heute. Mit der Ukraine wiederum, die von Polen mit aller Kraft unterstützt wird, hat Budapest bis heute in Sachen Minderheitenpolitik — in der Südwestukraine lebt eine ungarischsprachige Minderheit — heftig Streit. Eine echte Verständigung über außenpolitische Belange zwischen der PiS und dem Fidesz war noch nie möglich und ist es heute weniger denn je.

Seite an Seite

Dessen ungeachtet zeichnen sich in der europäischen Rechten mittlerweile Zusammenhänge ab, in deren Rahmen Warschau und Budapest trotz des erbitterten außenpolitischen Konflikts friedlich koexistieren. Das zeigt sich etwa an der beiderseitigen Sympathie für eine engere Kooperation mit den Fratelli d’Italia. Polens PiS-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki war einer der ersten, der Giorgia Meloni nach ihrem Wahlerfolg am 25. September via Twitter öffentlich gratulierte. Im Dezember bekräftigte er im Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa, die Regierungen Polens und Italiens seien sich in ihrer Ablehnung der „Diktate der europäischen Bürokratie“ einig; beide strebten ein „Europa der Vaterländer anstelle eines europäischen Superstaates“ an. Dies hätte so auch Morawieckis ungarischer Amtskollege Orbán formulieren können. Orbán twitterte im Oktober, als es Meloni gelungen war, ihre neue Regierung zu bilden: „Glückwunsch“ — „ein großer Tag für die europäische Rechte!“ Meloni bedankte sich mit der Ankündigung, sie sei „bereit zur Zusammenarbeit“, um „Lösungen für die Herausforderungen“ zu finden, denen Europa gegenüberstehe.

Geeint an die Öffentlichkeit traten Morawiecki und Orbán am 9. Oktober auf einer von Zehntausenden besuchten Kundgebung in Madrid. Zu der Veranstaltung aufgerufen hatte die extrem rechte spanische Partei Vox, die zwar in einer Krise steckt, aber alles daran setzt, wieder auf die Beine zu kommen. Vox konnte auf der Kundgebung Videoansprachen gleich mehrerer aktiver, künftiger und ehemaliger Staats- und Regierungschefs einspielen: Neben Ex-US-Präsident Donald Trump meldeten sich Meloni und Orbán zu Wort. Morawiecki selbst war vor Ort und hielt eine Rede. Die EU, behauptete er, sei dabei, sich zu einer „transnationalen Bestie ohne wirkliche traditionelle Werte, ohne eine Seele“ zu entwickeln; schon „seit Jahren“ werde in Europa ein heimlicher Krieg „gegen die Werte“ geführt, „auf denen unsere Zivilisation aufbaut“. Beim Versuch, diese Werte zu ersetzen, führten westliche Kräfte „seltsame ideologische Experimente“ durch. Dagegen müsse man sich zur Wehr setzen. Die PiS und Orbáns Fidesz arbeiten daran, trotz all ihrer Differenzen, Seite an Seite.