Der „Bündnis Deutschland“-Parteivorsitzende Steffen Große auf dem ersten Bundesparteitag am 18. März 2023 in Berlin.
Foto: „Bündnis für Deutschland“

Alternative zu „Alternative?“

Bremer „Wutbürger“ lassen „Bündnis Deutschland“ hoffen

Bei der Wahl in Bremen haben die „Bürger in Wut“ (BIW) stark zugelegt — auch weil die AfD aufgrund interner Streitigkeiten gar nicht antreten konnte. Gerade gewählt — und schon nicht mehr existent: Die BIW haben sich mit einer anderen Rechtsaußenpartei zusammengeschlossen, dem „Bündnis Deutschland“. Eine aussichtsreiche Alternative zur AfD?

Deutlich hat eine rechtspopulistische Inszenierung die BIW geprägt. Wahlplakate zeigten ein Bild von Spitzenkandidat Jan Timke mit dem Slogan „ER sagt, was WIR denken!“ Die einzige Stimme des zwar nicht ganzen Volkes, wohl aber gern dessen „biodeutschen“ Teils zu sein, beanspruchen alle rechtspopulistischen Parteien. Auch die Entstehung der BIW wies klare Bezüge zum Rechtspopulismus auf: 2004 entstanden sie aus dem Landesverband Bremen der Schill-Partei; die Inhalte überschnitten sich weitestgehend mit der Partei des früheren Hamburger Amtsrichters Ronald Barnabas Schill, den Medien damals als „Richter Gnadenlos“ inszenierten. Die BIW waren in der Folgezeit ein regionales Phänomen mit hauptsächlichem Wählerstamm in Bremerhaven, wo auch der früher bei der Polizei beschäftigte Timke lebt. Der desolate Zustand der AfD in Bremen weckte bei Timke und seinen „Wutbürgern“ den Wunsch nach Größerem: Ein Wahlerfolg nur in der Hansestadt durch Wegfall der AfD-Konkurrenz sollte nicht genügen, stattdessen sollte „ganz Deutschland“ Terrain des Wut-Wirkens werden. Um dazu die Kräfte zu vereinen und die Personalbasis zu verbreitern, war der Zusammenschluss der BIW mit dem Bündnis Deutschland vereinbart, einer im November 2022 gegründeten Partei mit konservativ-wirtschaftsliberaler Ausrichtung und inhaltlichen sowie personellen Schnittmengen insbesondere mit der „Union“, den Freien Wählern und der AfD. In getrennten Urabstimmungen haben mittlerweile jeweils rund 95 Prozent der Mitglieder beider Organisationen die Fusion abgesegnet. Die auf dem Ticket der Bremer „Wutbürger“ gewählten Abgeordneten firmieren in der Bürgerschaft seit dem ersten Tag als Bündnis Deutschland.

„Besser kann es nicht laufen“

Am Wahlabend konnte man beim „Bündnis“ jubeln. „Besser kann es nicht laufen“, freute sich Parteichef Steffen Große. Auf 9,4 Prozent kamen die BIW laut vorläufigem Endergebnis, sieben Prozent mehr als 2019. Erstmals zog das Bündnis Deutschland mehr oder weniger aus eigener Kraft in ein Parlament auf Landesebene ein. Zuvor hatten nur Überläufer, im EU-Parlament sowie in den Landtagen von Bayern, Sachsen und Hessen, seine Farben vertreten. Allesamt waren sie einst unter dem Label der AfD gewählt worden. Auch die Analysen der Bremer Wahl lassen ahnen, wie sehr das Bündnis Deutschland vom Desaster der dortigen AfD profitierte. Zwar mutmaßte Timke, seine Partei habe „ganz viele Konservative für sich gewinnen können“, die mit der CDU nicht mehr einverstanden gewesen seien. Doch die meisten BIW/Bündnis Deutschland-Wähler:innen hatten vier Jahre zuvor für die AfD gestimmt: 6.500 insgesamt. Nur rund 3.000 Stimmen kamen von der CDU. 54 Prozent der BIW-Wähler:innen erklärten, sie hätten für diese Partei gestimmt, „weil die AfD diesmal nicht gewählt werden kann“. Weitere demoskopische Befunde deuten auf die Nähe von BIW- und AfD-Klientel hin. Sicherheit und Ordnung spielten für 45 Prozent der BIW-Wähler:innen bei ihrer Entscheidung die wichtigste Rolle. An zweiter Stelle folgte das Thema Flüchtlinge. 92 Prozent derer, die für die „Wutbürger“ votierten, vertraten die Ansicht, ihre Partei sorge besser für Recht und Ordnung. Deutlich unzufriedener als die Wähler:innen der anderen Parteien war die BIW-Klientel mit der ökonomischen Situation. 26 Prozent sprachen von einer schlechten persönlichen wirtschaftlichen Situation. Und: Weit überdurchschnittlich fiel mit 17 Prozent das BIW-Ergebnis unter den Arbeiter:innen aus, zwölf Prozentpunkte mehr als 2019. Auch diese Zahlen dürften erklären, warum die BIW vor allem in der besonders krisengebeutelten Stadt Bremerhaven so kräftig zulegen konnten: Dort wurden sie mit 22,7 Prozent zweitstärkste Partei. Wahlplakate zeigten, wie die BIW besonders zu punkten hofften. „Jugendbanden sofort bestrafen!“ forderte eines, „Messerstecher konsequent ausweisen!“ ein anderes, das einen jungen Mann mit hinter dem Rücken verborgenem Messer zeigt — und einen Hinweis darauf liefert, wie im rechtspopulistischen Narrativ die Themen Kriminalität und Migration aufs Engste verknüpft werden. Speziell in Bremen gab’s ein Plädoyer für den Individualverkehr („Autofahrer wehrt Euch!“). Dazu säumten die Personenplakate der Spitzenkräfte Timke und Piet Leidreiter die Straßen. „Gegen Denk- und Sprachverbote“ stand neben Leidreiters Konterfei, rechtspopulistische Klagen gegen eine „Political Correctness“ aufnehmend. Derweil wirkten Timkes Plakate mit ihren „Sie bekämpfen IHN, weil er für EUCH kämpft!“-Sprüchen so, als seien sie von Ex-FPÖ-Vormann Jörg Haider abgekupfert. Timke war 2004 Mitbegründer der BIW. Leidreiter stieß erst viel später hinzu. Von 2013 bis 2015 gehörte er der AfD an, zuletzt als Bundesschatzmeister. Mit Bernd Lucke verließ er die Partei, war Gründungsmitglied von dessen Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA), ehe er im Sommer 2017 zu den Bürgern in Wut wechselte. Er steht mit seiner Biographie für eine der „Traditionslinien“ des „Bündnisses“.

Strippenzieher aus der AfD

Große und die anderen „Bündnis“-Oberen verleugnen zwar nicht das politische Vorleben mancher ihrer Parteifreunde in der AfD, spielen deren Bedeutung aber immer wieder herunter. In der Tat ist sein „Bündnis“ weder eine Nachfolgepartei noch lediglich eine Abspaltung von der AfD. Aber: Ohne die Ex-AfDler, die dort in internen Machtkämpfen den Kürzeren gezogen hatten, wäre die Gründung gar nicht denkbar gewesen. Allen voran der Bochumer Markus Scheer. Stets hatte er in der AfD hinter den Kulissen an den entsprechenden Strippen gezogen, um angeblich „Gemäßigte“ in Vorstandspositionen oder auf aussichtsreiche Listenplätze zu bugsieren. Nicht wenige NRW-Abgeordnete in ihrer Bundestagsfraktion und nicht wenige in der Landtagsfraktion in Düsseldorf haben ihre Mandate ihm zu verdanken. Im Bündnis Deutschland-Bundesvorstand bekleidet Scheer nun den Posten eines „Mitgliederbeauftragten“. In Scheers Gefolge zog es weitere Ex-AfDler:innen zum „Bündnis“, besonders in NRW. Mindestens vier der zehn Landesvorstandsmitglieder waren einst für die AfD aktiv: Vorsitzende ist Corina Bülow, die auf dem Ticket ihrer früheren Partei in den Mönchengladbacher Rat einzog und für den Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk arbeitete. Zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden wurde Markus Schröder gewählt, Ratsmitglied in Bochum und dort einst für die AfD tätig. Ebenfalls in der Bochumer Stadtvertretung arbeitet Markus Scheers Ehefrau Nicole Scheer mit. Früher gehörte sie dem AfD-Landesvorstand an, nun ist sie Landesschatzmeisterin von Bündnis Deutschland. Vierter im Bunde ist Norbert Beutel, AfD-Mitbegründer in Wuppertal, dort Mitglied des Kreisvorstands und nun Stellvertreter von Scheer in der Kassenführung. In keinem der bisher elf anderen Landesverbände ist die Präsenz ehemaliger AfDler so deutlich wie in NRW. Aber spürbar ist deren Einfluss auch andernorts. Zuweilen sogar — für das „Bündnis“ — schmerzhaft spürbar. Aus Bayern etwa drangen Nachrichten an die Öffentlichkeit, die die um Bürgerlichkeit bemühte Parteispitze sorgen mussten. Ellen Walther-Klaus, Vize-Chefin in Bund und Land, kündigte im Frühjahr ihren Rückzug an. Die Mathematikerin mit einem für das „Bündnis“ reputierlichen Lebenslauf in der CSU klagte, im „Bündnis“ würden manche „alle Regeln der Fairness“ missachten und fröhlich AfD-Propaganda verbreiten. Die Süddeutsche Zeitung wusste noch mehr zu berichten: Wer sich in der Partei umhöre, der erfahre, dass es gerade in Bayern Versuche der „Unterwanderung“ durch frühere AfDler gebe — und das durch Leute mit „strammer Gesinnung“. Von bis zu einem Zehntel der Mitglieder sei die Rede, denen eine „AfD 2.0“ vorschwebe. Auch Bremen blieb von ähnlichen Schlagzeilen nicht verschont. Erst setzten die BIW ihren Kandidaten Heiko Werner vor die Tür. Fotos hatten ihn als Teilnehmer von Neonazi-Demonstrationen gezeigt. Nach der Wahl wurde gar klar, dass der Bürgerschaftsfraktion voraussichtlich nicht zehn, sondern wohl nur neun Abgeordnete angehören sollen. Der Grund: Sven Lichtenfeld, in Bremerhaven mit den zweitmeisten Personenstimmen gewählt, habe „wissentlich Unterstützung von Personen aus dem rechtsextremen Milieu erhalten“, konstatierte Timke. Lichtenfeld habe „eine ihm bekannte rote Linie überschritten“ und solle sein Mandat nicht annehmen.

Auf dem Weg nach Walhalla?

Bislang sind sämtliche Parteigründungen, an denen AfD-Abtrünnige beteiligt waren, im politischen Walhalla geendet — warum sollte es gerade beim „Bündnis Deutschland“ anders sein? Es gibt Gründe, die gegen einen sicheren Untergang in naher Zukunft sprechen. Zum Beispiel vermeidet es das „Bündnis“, in den bei der AfD gebräuchlichen Duktus eines völkischen Nationalismus abzugleiten. Und sollte die AfD vom Inlandsgeheimdienst in naher Zukunft in Gänze als „rechtsextrem“ eingestuft werden, könnte das „Bündnis“ vor allem in den westlichen Bundesländern noch kräftiger an deren Potenzial knabbern — und sich womöglich Zugang ins etablierte rechtskonservative Spektrum verschaffen. Durchweg seriöser als das der AfD erscheint — drittens — das Personal von Bündnis Deutschland. Zudem könnte eine Strategie der Abgrenzung demokratischer Kräfte gegenüber der Partei noch schwerer fallen als dies im Umgang mit der AfD der Fall ist. Zwar war es bislang nur der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, der sich öffentlichkeitswirksam mit „Bündnis“-Spitzenkräften traf, doch ob es auch langfristig bei dem einen Fall bleibt, kann bezweifelt werden. Und schließlich scheint das erst vor wenigen Monaten gegründete Bündnis Deutschland — anders als die Parteien, für die Bernd Lucke, Frauke Petry, André Poggenburg oder Jörg Meuthen nach ihrem Abgang aus der AfD tätig wurden — über einen beachtlichen finanziellen Background zu verfügen. Im kleinen Bremen jedenfalls steuerte man schon einmal 300.000 Euro zum Wahlkampfbudget bei. Andererseits: Äußere Umstände schränken die Möglichkeiten der neuen Formation ein. Demoskopisch erlebt die AfD im Frühsommer 2023 einen Höhenflug. Und die behauptete Lücke zwischen „Union“ und AfD schrumpft zusehends. Dafür sorgen CDU und CSU, wenn sie kräftig nach rechts rücken, wenn ihr Fraktionsvize Jens Spahn Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen in Frage stellt, wenn sie die deutsche Flagge möglichst oft wehen lassen und die Hymne möglichst oft gesungen hören wollen oder in Bayern einen Anti-Wokeness-Wahlkampf führen. Nicht zuletzt wird die Zukunft der neuen Rechtspartei aber auch von der Frage abhängen, ob sich die rechte Wut nicht nur nach außen, sondern ebenfalls nach innen richtet: Personal für Hahnenkämpfe und Selbstzerfleischung ist jedenfalls zur Genüge vorhanden…

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