(Kein) Ruhiges Hinterland?!

Interview über Neonaziaktivitäten und Gegenwehr im Kreis Siegen-Wittgenstein

Seit einigen Jahren ist die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ in der Region um Siegen aktiv. Mit Marla vom „Antifa Info Café Siegen“ sprachen wir über aktuelle Entwicklungen und Bestrebungen der Neonazis, eine Immobilie in Hilchenbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) zu etablieren sowie über Herausforderungen von antifaschistischem Engagement im „Hinterland“.

Seit März 2022 hat sich „Der III. Weg“ in Hilchenbach niedergelassen. Zuvor hatten die Neonazis knapp ein Jahr ein „Parteibüro“ im Siegener Viertel Hammerhütte. Was hat sich seit dem Umzug in ihrem Auftreten verändert?

Da die treibende Kraft des örtlichen Stützpunktes Sauerland-Süd, Julian Bender, dieselbe geblieben ist, ist eine deutliche Kontinuität in Auftreten und Organisationsform zu erkennen. Der schriftliche Output über die Website der Partei und den lokalen Telegram-Kanal verblieb bei zunehmender Professionalisierung im selben Stil: elitär, selbstsicher, zielstrebig. Die Grundstruktur des „Bürgerbüros“ mit wöchentlicher „Sprechstunde“ und „Tiertafel“ blieb ebenfalls erhalten. Es lässt sich aber ein klarer Strategiewechsel im Hinblick auf die Durchführung von Veranstaltungen sowie der Adressierung von Zielgruppen und Lokalpolitik feststellen. Während in Siegen — und zuvor im Westerwald — noch häufiger Infostände in der Innenstadt angemeldet wurden, konzentriert man sich in Hilchenbach eher auf das langsame Ankommen in der Dorfgemeinschaft. Dies zeigt sich zum Beispiel auch durch zivile Präsenz auf Dorffesten.

Der Hauptschwerpunkt im öffentlichen Auftreten der Partei lag im vergangenen Jahr auf dem Konflikt mit dem Hilchenbacher Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis und den verschiedenen Rechtsstreitigkeiten rund um den Erwerb der Immobilie in der Dammstraße 5. Hier bemüht man sich, ein Narrativ der mangelnden Rechtsstaatlichkeit bis hin zum Amtsmissbrauch durch den Bürgermeister aufzubauen. Es wird versucht, sich in Abgrenzung zum lokalen politischen „Establishment“ als pragmatischer, vernünftiger und kommunal bemühter Gegenpol zu präsentieren. Mit der Verbreitung einer eigenen Zeitung, dem Wegweiser Hilchenbach, versuchte man, die eigene Sicht der Dinge im Ort zu verbreiten. Zudem können nun private Veranstaltungen im umzäunten Garten des Hauses unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Eine Möglichkeit, auf die seit Mai 2023 vermehrt zurückgegriffen wird. Was typisch ist und sich auch bei anderen Stützpunkten der Kleinstpartei zeigt: Jedes noch so kleine, meist interne Ereignis wird medial aufbereitet und veröffentlicht.

Wie ist der „Stützpunkt“ aktuell personell und strategisch aufgestellt? Welche Aktivitäten entfaltet er und wie groß ist sein Einzugsgebiet?

Neben Julian Bender ist uns zurzeit nur ein weiterer lokaler Kader vor Ort bekannt, dessen Aktivitätsdichte allerdings schwankt. Zudem bestehen weiterhin enge Kontakte in den angrenzenden Westerwald. Uns von dort bekannte Gesichter lassen sich auch weiterhin auf Veranstaltungen in Siegen sehen. Grundsätzlich lässt sich allerdings eine personelle Schwäche feststellen: Es fehlen ideologisch gefestigte Kader und Nachwuchs in der Partei. Bender pflegt teils enge Kontakte in das rechte Spektrum der Siegener Fußball-Fanszene, namentlich zu den Siegener Bären, einer rechten Hooligangruppe, die seit vielen Jahren existiert. Er besuchte sogar kürzlich gemeinsam mit der Gruppe ein Auswärtsspiel der Sportfreunde Siegen. Aus diesem Spektrum hat Der III. Weg unter anderem Niklas Seibt rekrutiert, der nun regelmäßig bei Veranstaltungen auftaucht. Seibt versuchte zwischenzeitlich, im Hilchenbacher Fußballverein Anschluss zu finden, ist dort aber schnell ausgeschlossen worden.

Parallel dazu bemüht sich die Partei — vereinzelt erfolgreich — um das unorganisierte, oft prekäre und rechtsoffene bis extrem rechte Milieu, das im Raum Hilchenbach und Umland schon seit Jahrzehnten gedeiht. Besonders „abgehängte“ und vulnerable Jugendliche, häufig aus der lokalen Drogenszene, sind Ziel von Rekrutierungsversuchen. Inwieweit diese jungen Männer, die auch im Parteibüro ein- und ausgehen, den Ansprüchen der Parteiführung genügen und sich dauerhaft in die Struktur einfügen lassen, bleibt offen. Auch eine „Massenwirkung“ lässt sich nicht erkennen. Um eine größere Anzahl an Teilnehmenden bei Veranstaltungen zu erreichen, ist der „Stützpunkt“ weiterhin auf eine überregionale Mobilisierung angewiesen.

Im Jahr 2022 wurden am Hilchenbacher Bahnhof — am Vorabend einer Veranstaltung des Hilchenbacher Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage — rechte „Graffiti“ in dunkelgrüner Schrift entdeckt, bei denen es naheliegt, die Urheberschaft bei einer Gruppe jüngerer Menschen aus dem oben genannten rechtsoffenen Milieu zu vermuten. Ähnliche Schriftzüge sind in den folgenden Monaten immer wieder und gehäuft vor Veranstaltungen aufgetreten. Die Stadt Hilchenbach führt seit längerem einen Rechtsstreit mit Julian Bender. Der von dir erwähnte Bürgermeister von Hilchenbach wird regelmäßig von den Neonazis angefeindet. Zugleich hält sich die Parteipolitik sehr zurück.

Wie bewertet ihr das Agieren von Verwaltung und Lokalpolitik in Hilchenbach?

So sehr wir uns über das Engagement des Bürgermeisters und der Zivilbevölkerung freuen, betrachten wir die Zurückhaltung der örtlichen Parteien und weiter Teile der Gemeinde mit Sorge. Obwohl sich Einzelpersonen der SPD, der Grünen und der Linkspartei privat engagieren, scheint es eine Absprache zwischen den Fraktionen zu geben, sich zurückhaltend zum Thema zu äußern. Das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage, das sich nach Einzug des Der III. Weg in Hilchenbach neu gründete, steht seit Beginn in engem Kontakt zum Bürgermeister und Teilen der Stadtverwaltung. Auch die Parteien waren zur Gründungssitzung eingeladen. Deren Vertreterinnen erschienen dort zwar, blieben anschließend aber trotz weiterer Einladungen fern. Dies liegt wohl auch an dem Verdacht, das Bündnis arbeite mit „linksextremen“ Akteuren zusammen. Zusätzlich schiebt man als Argument für diese Zurückhaltung den Rechtsstreit vor, den man mit anderen Aktionen nicht „unnötig gefährden“ wolle.

Seit einigen Jahren organisiert Der III. Weg mit dem sogenannten „Tag der Heimattreue“ in der Region eine regelmäßig stattfindende öffentliche Veranstaltung mit Reden, Ständen, Kampfsportvorführung und Musik. Auf der vom Bündnis 2022 organisierten Gegenveranstaltung unter dem Motto „Hilchenbach feiert Vielfalt“ sprachen sowohl der Bürgermeister als auch der örtliche CDU-Vorsitzende, der das Bündnis zuvor intern aus den oben genannten Gründen kritisiert hatte.

Besonders dann, wenn ein Bürgermeister von extrem Rechten regelmäßig bedroht, rassistisch beleidigt und verunglimpft wird, ist es essenziell, dass die demokratischen Parteien dazu Stellung beziehen. Auch das lange Schweigen der anderen Bürgermeister der Region wirft Fragen auf. Erst dieses Jahr erfolgte mit deutlicher Verzögerung eine städteübergreifende Solidarisierung. Trotz alledem hatten die Solidaritätsbekundungen und der große Rückhalt, den der Bürgermeister auf den Veranstaltungen durch die Zivilbevölkerung und Antifaschistinnen erfuhr, sicherlich einen nachhaltig positiven Effekt. Das Hilchenbacher Bündnis hat für seine Aktivitäten gegen den „Tag der Heimattreue“ einen Demokratiepreis der Bundeszentrale für politische Bildung gewonnen. Dazu möchten wir gratulieren. Zugleich hoffen wir, dass sich auch die Lokalpolitik in Zukunft deutlicher gegen die extreme Rechte positioniert und selbst vermehrt tätig wird.

„Es gibt kein ruhiges Hinterland“ ist ja eine sehr optimistische, aber gern genutzte antifaschistische Losung. Wie sah die antifaschistische Arbeit in Hilchenbach in den letzten Monaten aus? Wo liegen im ländlichen Raum aus eurer Sicht auch Fallstricke?

Wir haben diese wirklich sehr optimistische Parole tatsächlich in der Überschrift eines kleinen Infoblattes genutzt, um letzten Sommer überregional für eine Demonstration gegen den „Tag der Heimattreue“ zu werben. Glücklicherweise waren wir schon damals nicht grenzenlos optimistisch und haben von einer offenen Mobilisierung abgesehen. Die interne Bewerbung fiel dann eher mäßig aus. Die Dankbarkeit gegenüber allen Genossinnen, die den Weg auf sich genommen haben, ist dafür umso größer. Im ländlichen Raum, so auch im Siegener Umland, ergeben sich einfach ein paar Probleme für eine antifaschistische Mobilisierung: geringe eigene personelle Kapazitäten vor Ort sowie eine größere Hemmschwelle für Externe, anzureisen. Ein Grund hierfür ist bestimmt auch die schlechte ÖPNV-Anbindung. In einer größeren Stadt ist es zudem räumlich kein Problem, bürgerlichen und antifaschistischen Protest parallel laufen zu lassen — man kommt sich seltener in die Quere. In einem kleinen Ort wie Hilchenbach wäre das allerdings kaum möglich gewesen. Beteiligt man sich aber mit einem radikal linken Protest an der angemeldeten bürgerlichen Demo, kann das leicht zu Konflikten mit Anmelderinnen, Ordnerinnen sowie anderen Protestierenden führen und schließlich nachhaltige Schäden in linker Arbeit mit lokalen Bürgerlichen verursachen. Um größere Menschenmengen für Proteste zu organisieren, ist man oft auf die Zusammenarbeit mit Bürgerlichen angewiesen. Nicht zuletzt deshalb war es für die antifaschistische Arbeit vor Ort in den letzten Monaten wichtig, auch bürgerlich-demokratische Bündnisse zu stärken, Aufklärungsarbeit im Ort zu leisten und für Gefahren zu sensibilisieren. Wir sind der Meinung, dass eine solche Bündnisarbeit nicht gleich dazu führen muss, die „eigenen Werte“ zu verwischen, sondern betrachten das strategisch: Eine starke demokratische Zivilgesellschaft, die sich klar gegen rechts positioniert, ist einer Neonazi-Partei oft ein größerer Dorn im Auge als eine Farbbombe am Haus. Dem Narrativ von der gut vernetzten Partei, die sich gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft gegen Establishment und „Linksextreme“ stellt, wird so effektiv etwas entgegengesetzt.

Das zweite Standbein antifaschistischer Arbeit auf dem Land ist die Recherche. In diesem Bereich ist es möglich, auch mit geringen Kapazitäten gute Ergebnisse zu erzielen. Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Kombination beider Strategien ist der Verein Demos e.V., der seit seiner Gründung im Jahr 2017 mit wenigen Ressourcen im Westerwald sehr effektiv gearbeitet und es den lokalen rechten Strukturen schwer gemacht hat.

Abschließend bleibt zu sagen: Es gibt leider viel zu viel ruhiges Hinterland in Deutschland, es ist aber sehr wohl möglich, etwas daran zu ändern. Die effiziente Nutzung von lokalen Ressourcen und die Solidarität der Genossinnen in den Städten sind essenziell, um die „Hinterland“-Losung mehr sein zu lassen als eine leere Floskel.

Vielen Dank für das Interview!

Weiterlesen