Schürfplätze

„…Sind Sie vielleicht Jude? Die eigenen Leute, das macht einem ja immer etwas aus,“ entschuldigt sich Tadeusz S. bei Paweł Piotr Reszka. S. lebt in der Gegend um Bełżec, demjenigen Ort in Südostpolen, an dem sich das gleichnamige Vernichtungslager der Nationalsozialisten befand.

Reszka ist Journalist aus Warschau und befragt Menschen aus der Umgebung von Bełżec und Sobibór nach den „Hyänen“. Das sind diejenigen, die vom ersten möglichen Moment an die Überreste der in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhard“ ermordeten Jüdinnen:Juden durchwühlten, um an die übriggebliebenen „Reichtümer“ zu gelangen, die die Toten noch bei sich trugen. Ebenso wie die anderen Interviewpartner Reszkas spricht Tadeusz S. offen darüber, was er als Kind miterlebt und selbst getan hatte. Er entschuldigt sich nicht für die „Hyänen“ — er entschuldigt sich dafür, dass er Reszka zuvor erzählt hat, wie er als Kind mit dem Schädel einer ermordeten Jüdin im Wald Fußball gespielt haben will — die Geschichte, so fügt er hinzu, sei nicht wahr, Fußball gespielt hätten sie nicht, denn der Schädel habe ihnen Angst gemacht.

Reszkas eindrucksvolle Reportage setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von Interviews, die der Autor über Jahre hinweg mit ehemaligen „Hyänen“ und ihren Kindern geführt hat, aus sorgfältig zusammengetragenen Zeitungsartikeln aus den 1950er und 1960er Jahren und aus Prozessakten. Ungleich der Werke von Historiker:innen wie Jan Tomasz Gross, Barbara Engelking oder Jan Grabowski wurde „Schürfplätze“ (2019 in Polen erschienen) für drei der wichtigsten dortigen Literaturpreise nominiert. Zugänglich für deutschsprachige Leser:innen ohne Polnischkenntnisse gemacht hat das Buch das Bildungswerk Stanisław Hantz, übersetzt wurde es von Steffen Hänschen in gewohnt treffender Art mit sparsam, aber hervorragend platzierten Anmerkungen.

Paweł Piotr Reszka: Schürfplätze. Grabraub in Bełżec und Sobibór. Metropol Verlag, Berlin 2022, 234 Seiten, 19 Euro.\

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