Auf dem Bild ist eine Landschaft mit kleinen Hügeln zu sehen. Die Bäume tragen unrealistisch große Früchte. Am Himmel hängt ein Bild mit einer Fee in einem Bilderrahmen.

Zwischen Rechtsesoterik und völkischer Bewegung

Der Anastasia-Kult

Heilsversprechungen und ein Systemausstieg von rechts finden in Europa immer mehr Anklang. Die Bücher des russischen Unternehmers Wladimir Megre versprechen ein homogenes Paradies auf dem Land und begründeten den Anastasia-Kult. In der Bundesrepublik vermischt sich die Anastasia-Szene, die kaum als autoritär und wehrhaft wahrgenommen wird, mit bestehenden völkischen Lebenswelten.

„Sie sind sehr radikal“, betont Neonazi Nikolai Nerling und klebt das Kärtchen mit der Aufschrift „Völkische Siedler“ an die Tafel. Der als Der Volkslehrer bekannte Blogger referiert beim Lesertreffen der Deutschen Konservativen 2022 zum Thema „Nationale Bewegungen und Strömungen“. Jetzt ist er bei den Völkischen angelangt und es scheint, als wolle er seine Zuhörerschaft mit Nachdruck davon überzeugen, wie radikal diese Struktur aufgestellt sei. Der Vortrag ist bei YouTube online gestellt, ab Minute 32 wird deutlich, dass Nerling zu den Völkischen Siedlern nicht nur Teile der bündischen Jugend, sondern auch die aus Russland importierte Anastasia-Bewegung zählt. Explizit erwähnt er Weda Elysia aus Wienrode als Teil des europäischen Anastasia-Kultes, der sich um die 10-bändige Buchreihe des russischen Unternehmers Wladmir Megre bildete.

Megres Bücher um die „Klingenden Zedern Russlands“ und die fiktive weiße Prinzessin der Taiga, Anastasia, sollen nicht nur millionenfach verkauft worden sein, deutschsprachige Telegram-Kanäle kamen laut Wikipedia bis 2023 auf rund 250.000 Abonnenten. Als politische Strategie propagiert der Autor: Auf wenigen Hektar Land werden kleine Paradiese auf Erden erschaffen. Fernab von Krieg, Klimakatastrophe, Kapital lässt sich auf ländlichen Höfen mit Selbstversorgergärten, eigenen Läden, Kindergärten und Schulen gemeinschaftlich nach den Vorgaben der Prinzessin aus der Taiga bestens leben. Von verheißungsvollen „Zukunftsorten“, von deutschen „Kulturoasen“, von einer „neuen Zeit“ und völliger Entwicklungsfreiheit ist die Rede.

Selbstversorgung und Selbstbehauptung

Nerlings Kennzeichnung dieser Szene als „sehr radikal“ steht im Widerspruch zur öffentlichen Wahrnehmung. Lange galt die Familienlandsitz-Bewegung nach den Megre-Büchern als ökologisch, esoterisch und verschwurbelt. Die völkische Prägung der russlandfreundlichen SiedlerInnen wird oft zu spät erkannt. Der deutschen Neonazi-Szene aber schien der Arier- und Ahnenkult um Anastasia sehr willkommen. Diese Völkischen seien nicht organisiert, so Nikolai Nerling begeistert, „sie haben keinen gemeinsamen Namen bis auf einzelne wie Weda Elysia und sie treffen sich in verlassenen Ortschaften.“ Der ehemalige Berliner Grundschullehrer gerät ins Schwärmen und sagt: „Wenn das Schule macht, dass die Nationalen aufs Land ziehen, sich zerstreuen, dann sind sie ganz schwer angreifbar und nicht zu zerstören, die können sich selbst ernähren, trotzen den Krisen und vor allem sind sie durch den gemeinsamen Geist vereint“.

Heilsbringerin Anastasia gibt das Bild der Selbstversorgerhöfe von rechts vor: wehrhaft und weiß. Spätestens seit 2015 gab es in Deutschland Akteure aus dem Spektrum von „Freibund“ und dem antisemitischen Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) oder der rassistischen Artgemeinschaft — Germanische Glaubensgemeinschaft, die bei der Verbreitung halfen. Der Anastasia-Kult dehnt sich über eine ökologisch anmutende Landnahme bundesweit aus. Die Netzwerke reichen bis nach Polen, Ungarn, Rumänien, Portugal und vor allem bis in die Schweiz. Ähnlich den nach 1945 heimlich in ländlichen Regionen Westdeutschlands gegründeten „Inseln des Deutschtums“, auf denen Ewiggestrige innerhalb ihrer „Sippen“-Strukturen nationalistisches Brauch- und Volkstum über die Generationen weitertrugen. Der extrem rechte Aktivist Mario Müller schreibt in seinem Buch „Kontrakultur“: „Die Familie ist die engste Bande, die treueste Gang und das vertrauteste Widerstandsnest“. Nach außen ging die jahrelange Strategie der Akzeptanzgewinnung auf: Völkische SiedlerInnen verankerten sich in der Gesellschaft, obgleich sie nichts mehr herbeisehnen als den Zusammenbruch der Demokratie. Nikolai Nerling kennt diese Nester zwischen Neonazi-Ideologie, Gemüsegarten und „Germanischer Neuer Medizin“ und kennzeichnet sie als „radikal“ — wohl im wehrhaften Sinne.

Anschlussfähig

Der Anastasia-Kult ist auch in der Bundesrepublik nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten. Antisemitismus, sozialdarwinistische Naturbezogenheit, reaktionäre Geschlechterbilder, ethnische Überlegenheitsgefühle, Widerspruchsresistenz sowie der massive Aufbau von Feindbildern sollten aufhorchen lassen. Durch die massive Vernetzung rechtsesoterischer, völkischer, reichs- und verschwörungsideologischer Spektren erhält der Widerstand von rechts völlig neue Triebkraft. Ungeahnte Allianzen eröffnen sich für die klassische extrem rechte Szene. Nicht alle Familienlandsitze sind als rechtsextrem zu betrachten wie Weda Elysia oder das Goldene Grabow in Brandenburg, doch eine Rechtsoffenheit kennzeichnet sie. Beispiele für den einen oder anderen Fall sind u. a. Traumland Lychen, Steinreich in Brandenburg, Lebensraum und Schloss Ober-Neundorf in Sachsen, Talmühle in Thüringen, der Mutterhof in Bayern, Wedenland in Niedersachsen oder Rawaule (siehe S. 12) in Nordrhein-Westfalen.

Anknüpfungspunkte zwischen rechtsesoterischer und nationalistischer Szene gibt es viele: Antisemitismus, Antiglobalisierung, Sehnsucht nach Autoritäten und der einen Heilslehre. Während die völkischen Siedlungsnetzwerke nach 1945 aufgrund ihrer fundamentalistischen Lebensweise nur schleppend politisch expandierten, bedient der russische Anastasia-Kult die moderne Sehnsucht nach einem nicht-einsamen Aussteigerleben. Beide Szenen greifen ineinander. Die Hektarzahlen der Familienlandsitze wachsen. Tausende folgen der von Wladimir Megre geprägten Version vom altmodischen Abschied aus einer industriellen, leistungsorientierten Gesellschaft.

Mehr als zögerlich warnen die bundesdeutschen Behörden vor dem esoterisch-völkischen Netzwerk, in dem pro-russische Drahtzieher längst unauffällig die Fäden ziehen. Aus Sicht des brandenburgischen Verfassungsschutzes handelt es sich bei der Anastasia-Bewegung um eine Bestrebung gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Die zehn Bände umfassende Schrift von Megre lege den ideologischen Grundstein, dessen sich die Anastasia-AnhängerInnen verpflichtet sehen. Teile der Bücher seien indes nicht mit dem Demokratie- und Menschenwürde-Prinzip des Grundgesetzes vereinbar, heißt es.

Großhändler wie Amazon haben Merges Bücher, die auf eine sanft anmutende, autoritäre Umwälzungsbewegung hinarbeiten, weiterhin im Sortiment. „In den Büchern werden antidemokratische Ressentiments verbreitet, Wladimir Putin als starker Herrscher verehrt und die westlichen Gesellschaften als verkommen und krank skizziert“, warnt die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle in Potsdam in der Handreichung „Demokratiefeindliche Fabelwelten“. Nach dem Erscheinen des ersten Bandes 1996 der „Klingenden Zedern Russlands“-Reihe gründeten sich in Russland, Weißrussland und der Ukraine zunächst Lesekreise. Megre begann über die nachfolgenden Bände einen interaktiven Austausch mit seinen Lesekreisen und band sie damit enger an sich. Anscheinend um allzu regen Diskussionen und Sichtweisen vorzubeugen, entwickelten sich die Inhalte der Bücher autoritärer. Megre versuchte, die alleinige Deutungshoheit zu verteidigen, „zuverlässige Interpretationen“ stammten jetzt von ihm selbst. Megre baute bereits bestehende Legenden um das vermeintlich arische Volk der „Wedrussen“ aus und traf damit einen Nerv. Im Juli 2006 startete der umtriebige Unternehmer einen Aufruf mit der Aufforderung, nun die russische Regierungspartei Einheitliches Russland zu unterstützen. Die Mitglieder der Bewegung sollten Filialen der Putinschen Partei in ihren jeweiligen Städten besuchen, ihre Solidarität äußern und an örtlichen Projekten der Partei teilnehmen. Wladimir Megre sagte, dass gerade diese Partei den Geboten Anastasias genau folge, so beschreibt es Publizist Vladimir Martinovich in einem Artikel für religio.de. Martinovich zufolge gab es 2011 bereits ungefähr 7.000 Familienlandsitze im russischen Raum. Eine Zahl, die sich schwerlich prüfen lässt.

Slawisch, arisch, weiß

Der Anastasia-Kult wird vom Bayerischen Rundfunk als die größte neu-religiöse Bewegung Russlands bezeichnet. „Diese Bewegung stützt sich zweifellos auf antiwestliche Gefühle, die ebenso wie konservative Familienwerte, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Russland viel stärker zum Mainstream gehören als in Deutschland“, sagte Julia Andrejewa, Petersburger Anthropologin, im März 2022 gegenüber der Moskauer Deutschen Zeitung. „Für die Esoteriker ist Russland eine Metapher für Weisheit und erdverbundene Spiritualität. Maßgeblich dazu beigetragen haben die Anastasia-Bücher des russischen Autors Wladimir Megre“, schreibt Christian Kreil im März 2022 in einem Gastbeitrag der österreichischen Zeitung Der Standard. Kreil erklärt es sich so: „Für die Rechten ist Russland die vermeintlich letzte Bastion eines ,weißen Europas‘. Paris, London und Berlin, diese Metropolen sind — glaubt man dem rechten Narrativ — längst verloren an ‚Globohomo‘ und Multikulti.“ Russland und das dort von allerlei nationalistischen Agitatoren, allen voran Alexander Dugin, propagierte „Eurasien“ ist für die neuen und alten Rechten attraktiv. Putin ist das Role-Model des auch für den hiesigen Schmalspurfaschisten attraktiven „starken Mannes“, der sich nicht zu sehr um Demokratie und Minderheitenrechte kümmern muss.

„Viele Slawen und Arier auf der ganzen Welt wünschen sich in Harmonie mit sich und der Natur zu leben. Dank den Büchern über die Anastasia ist der Traum für viele Menschen Weltweit schon in Erfüllung gegangen“, heißt es 2019 auf einer Homepage, die Walter Seewald alias Wjatscheslaw Seewald zugeordnet wird. Unternehmer Seewald, 1985 in Sibirien geboren, kam 1997 nach Deutschland und lebt im Allgäu. Politisch orientiert sich der umtriebige Netzwerker an der AfD. Auf Telegram, wo ihm knapp 9.500 Personen folgen, zeigt er sich als Fan von Anastasia und Alice Weidel. Das antifaschistische Portal Allgäu rechtsaußen berichtete über den alternativen Medienallrounder Seewald und dessen Bemühungen, ein „slawisch-arisches“ Bündnis gegen eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung zur Vernichtung der „weißen Rasse“ aufzubauen. Es heißt bei Allgäu rechtsaußen, im Kern gehe es in Seewalds „Lektionen“ immer um das gleiche: Die „weiße Rasse“ solle versklavt werden und müsse sich wehren. Der Weg dazu sei ein slawisch-arisches Bündnis von Deutschland und Russland. Seewald nennt es „Gerussia“. Laut Allgäu rechtsaußen nutzte Seewald eine Fahrt zur Querdenken 711-Demonstration 2020 nach Berlin, um vor der Russischen Botschaft zur Revolution aufzurufen. Das misslang.

„Das Kernstück der Anastasia-Vision sei es, eine „echte Heimat“ zu schaffen“, schreibt einer der frühen Anastasia-Fans, Felix Krauß, genannt „Felix der Glückliche“, in einem selbstverlegten Büchlein mit dem Titel: „Die Geburt des neuen Zeitalters“. Wladimir Megre habe die Prinzessin der Taiga gefragt, so Krauß, „was sollen wir tun, damit gesichert ist, dass uns kein Krieg befällt, alle Kriminalität verschwindet und glückliche und gesunde Kinder geboren werden? Sie sagte: Wir müssen jedem sagen: Leute, holt euch eure Heimat zurück!“ Der Begriff Heimat (Rodina) drücke eine „tiefe Anbindung an die Vorfahren, Fürsorge für die Nachfahren und eine treue Bindung mit dem Land, auf dem die Sippe lebt“ aus. Felix Krauß, der sich im Ostharz niedergelassen hat und Weda Elysia in Wienrode eine Zeitlang mit aufbaute, schreibt: „Die deutschen Ökodörfer leiden unter dem Schulzwang, dem Finanzamt, der umliegenden industriellen Landwirtschaft, dem Abwasser-Anschluss-Zwang, der Zensur […] und auch einigen anderen gesellschaftlichen Mustern, welche ihr Aufblühen erschweren“. Für ihn ist klar: Russland ist Ausgangspunkt eines neuen Zeitalters, „der wieder erstarkte russische Staat […] ist das Schutzschild gegen die alte globale Machtelite“.

Völkische Verbindungen

Gemeinsame Feindbilder verbinden. So dockt die russische Landsitzbewegung auch bei Organisationen wie der jüngst vom Bundesinnenministerium verbotenen rassistisch-antisemitischen Artgemeinschaft — Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Daseinsgestaltung (AGG) an, in der viele „Völkische Siedler“ aktiv sind. Die AGG verstand sich als „Glaubensbund“. Sie diente als Auffangbecken für UnterstützerInnen von verfassungsfeindlichen, verbotenen Gruppierungen wie der Heimattreuen Deutschen Jugend oder Blood & Honour. An einem „Frühlingstreffen“ in der Wanderherberge Hufhaus/Harzhöhe in Harztor, einem Ortsteil der thüringischen Kleinstadt Ilfeld, nahmen auch Mitglieder des Anastasia-Vereins Weda Elysia teil. Während die politisch gefestigte rechtsextreme Anhängerschaft der Artgemeinschaft mehrere Hundert Köpfe zählt, folgen der deutschen Anastasia-Bewegung in zahlreichen Telegram-Gruppen Tausende. Die AGG propagiert ganz öffentlich ein „Sittengesetz“, nach dem eine „gleichgeartete Gattenwahl“ als „Gewähr für gleich-geartete Kinder“ gilt. Aruna Palitzsch-Schulz (Anja Maria Schulz) von Weda Elysia schrieb in der Anastasia-Zeitung Garten Weden: „Für uns bedeutet das Wiederbeleben unseres heimatlichen Brauchtums die Anbindung an das Eigene, Wesensgemäße. Wir spüren, wie dadurch das Ahnen(ge)wissen in uns erwacht. Kulturpflege und Heimatliebe bieten zudem einen guten und natürlichen Schutz gegen eine Eine-Welt-Kollektivierung“.

Zum „Volksfest“ im August 2023 begrüßten Aruna und Maik Schulz dann auch Akteure der Gruppe Harzrevolte, Anhänger der Neonazi-Partei Die Rechte und einen Lokalpolitiker der AfD, Mitglied des Kreistags Harz. Laut Versammlungsbehörde beteiligten sich rund 120 Personen, darunter auch Kinder, an dem Fest auf dem Gelände des Haus Lindenquell, einem Treffpunkt von Weda Elysia mitten in Wienrode. Das 2009 gegründete Siedlungsprojekt von Aruna und Maik Schulz sowie weiteren VereinsmitstreiterInnen wird inzwischen vom Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Dennoch solidarisieren sich im kleinen Wienrode, einem Ortsteil von Blankenburg, immer mehr BewohnerInnen mit den völkisch-gesinnten Brauchtumsliebhabern. Vormals Engagierte trauen sich inzwischen kaum noch etwas zu unternehmen, zu stark scheinen die Einschüchterungen vor Ort zu sein (Siehe S. 20 ff.). Die amtierende ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin hatte kürzlich ihr Amt „aus persönlichen Gründen“ niedergelegt, wie Die Volksstimme berichtet. Maik Schulz von Weda Elysia könnte sich als Kandidat aufstellen lassen. Für die Wahl des Ortschaftsrates in dem kleinen Ort, die am 12. November stattfindet, kandidieren neben Aruna Schulz noch drei weitere Mitglieder und Freunde von Weda Elysia unter dem Label Wählergruppe Schönes Wienrode. Dieser „Familienlandsitz“ nach Anastasia kann die politischen Absichten ohnehin nicht länger verhehlen.

Weiterlesen