Überzeugter denn je

Der Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“

„Nichts für uns, alles für ein freies, nationales und sozialistisches Deutschland“, so enden standardmäßig die Redebeiträge Sven Skodas. Nach 22 Monaten Untersuchungshaft tritt er seit Januar wieder regelmäßig bei Aufmärschen ans Mikro. Er wird seitens der Szene als „Held“ inszeniert und pflegt diese Inszenierung. Der Prozess gegen ihn und weitere 19 Angeklagte vor dem Landgericht Koblenz dauert an, ein Ende ist nicht abzusehen.

„Nichts für uns, alles für ein freies, nationales und sozialistisches Deutschland“, so enden standardmäßig die Redebeiträge Sven Skodas. Nach 22 Monaten Untersuchungshaft tritt er seit Januar wieder regelmäßig bei Aufmärschen ans Mikro. Er wird seitens der Szene als „Held“ inszeniert und pflegt diese Inszenierung. Der Prozess gegen ihn und weitere 19 Angeklagte vor dem Landgericht Koblenz dauert an, ein Ende ist nicht abzusehen.

Seit August 2012 läuft die Verhandlung wegen Bildung beziehungsweise Unterstützung der kriminellen Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein (ABM). Vier Verfahren wurden abgetrennt und im Januar abgeurteilt (siehe LOTTA #54, S.47), die Verfahren gegen Marc M. und Marcel S. wurden im Februar eingestellt. Mittlerweile sind etwa 140 Verhandlungstage vergangen. Etliche anberaumte Termine fielen aus.

Die verbliebenen Angeklagten und ihre Anwält_innen haben es sich derweil im Gerichtssaal beinahe häuslich eingerichtet. Auf einigen Bänken stehen schwarz-rot-goldene Wimpel, die Atmosphäre ist fast familiär zu nennen. Man scherzt miteinander, unterhält sich, tauscht Zeitschriften aus. Außen vor sind lediglich Axel Reitz, wegen seiner Aussagen aus der Szene „ausgeschieden“, und David Herrmann, der sich im Zeugenschutzprogramm befindet. Zwischendurch geht es auch immer wieder fröhlich zu. So sollen beispielsweise kurz vor Weihnachten zwei Verteidiger den Antrag gestellt haben, dass ihre Mandanten über die Feiertage aus der Haft zu entlassen werden. Sie boten an, sich für diese Zeit als Bürgen in die JVAen zu begeben. Ein weiterer Anwalt soll daraufhin bekundet haben, er wolle sich „nicht selbst zur Verfügung stellen, sondern meine Schwiegermutter“, was für große Erheiterung gesorgt habe.

Die ersten Monate vergingen mit den Aus­sagen einzelner Angeklagter, danach begann die Beweisaufnahme. Erscheinen Zeug_innen nicht oder muss aus sonstigen Gründen Zeit gefüllt werden, werden Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung als Beweise eingeführt.

Die Angeklagten präsentieren sich im Gerichtssaal äußerst selbstbewusst, stellen durch ihre Kleidung ihre neonazistische Ideologie zur Schau. Im Gegensatz zu den ersten Monaten äußern sie sich selbst und nehmen ihr Recht wahr, selbst Zeug_innen zu befragen. Diese fühlen sich eingeschüchtert, wenn sie sich der Masse an Beschuldigten und ihren Anwält_innen gegenübersehen. Oft sind auch im Zuschauerbereich Neonazis anwesend, die ihre „Solidarität“ mit den Angeklagten ausdrücken wollen.

Aus Tätern werden Opfer

Seit April 2014 existiert ein Blog, auf dem Berichte und Kommentare zum Prozessverlauf veröffentlicht werden. Unter der Überschrift „Wir klagen an“ wird in klassischer Täter-Opfer-Umkehr geklagt: „Niemand bekommt mit, wie unhaltbar die Vorwürfe sind. Niemand bekommt mit, welche Kosten der Prozess verursacht. Niemand bekommt mit, dass hier Existenzen vernichtet werden.“ Zuvor waren Prozessberichte auf anderen Portalen veröffentlicht worden. Die Seite verweist darauf, dass die Texte auch auf der Facebook-Seite „Justizskandal Koblenz“ veröffentlicht werden. Dort findet sich auch eine Petition mit dem Titel „Schluss mit der Steuergeldverschwendung“. Die Petition fordert „die zuständigen Behörden auf, den steuerschluckenden Prozess [...] zu verkürzen oder zu beenden“. 25.000 bis 35.000 Euro fielen pro Prozesstag allein an Kosten für die Verteidigung an, die „der Steuerzahler“ zahle. Diese Argumentation versucht an gängige Empörung gegen angebliche „Steuerverschwendung“ anzuknüpfen, bedient sich allerdings noch eines weiteren Kniffs: Sollten die Angeklagten verurteilt werden, müssen sie die Verfahrenskosten tragen. Nur wenn der Prozess eingestellt wird oder mit Freispruch endet, geht der Prozess auf Kosten der Staatskasse. Mit dieser Argumentation wird also das Urteil vorweggenommen. Gleichzeitig wird mit der Forderung nach Ende des Prozesses eine Revision des Verfahrens in Kauf genommen. Dies würde wohl eher höhere Kosten verursachen.

Die Facebook-Seite hat zur Zeit knapp 500 „Fans“. Neben aktiven Neonazis sind hier auch den Angeklagten nahestehende Personen vertreten. Zwischenzeitlich mit dabei: Franz-Peter Dahl, CDU-Bürgermeister der Ortsgemeinde Asbach im Landkreis Neuwied, aus der der Angeklagte Michael D. stammt.

Szene-Star Skoda

Zentrales Thema der Berichte war lange Zeit die Beschwerde, dass es an Verhandlungstagen keine warme Mahlzeit für die Angeklagten gab, die sich noch in Untersuchungshaft befanden. Seit Anfang Januar ist die Sache jedoch erledigt, die letzten sieben Angeklagten sind aus der Haft entlassen. Nur ein paar Tage nach ihrer Entlassung reisten Sven Skoda und Christian Häger zum „Trauermarsch“ nach Magdeburg. Ihr Ansehen innerhalb der Szene dürfte sich durch die Haft deutlich gesteigert haben. Dies gilt insbesondere für Skoda, der bereits vor seiner Verhaftung überregional als Redner auftrat und eine Führungsfigur der Neonaziszene im Rheinland darstellte. Durch die U-Haft hat er eine Art Kultstatus in der Szene erlangt. Bereits beim Aufmarsch in Koblenz 2012 zierte ein ihm zugeschriebenes Zitat das Fronttransparent. Schnell wurde sein „Konterfei“ zusammen mit Horst Mahler und Gottfried Küssel – beide verurteilte Holocaustleugner – auf Plakate gedruckt. Dieses Plakat nutzte die Partei Die Rechte (DR) in NRW während des Bundestagswahlkampfs 2013. Für die Europawahl 2014 war Skoda als Spitzenkandidat vorgesehen, die DR schaffte es aber nicht, die zur Wahlzulassung nötigen Unterstützungsunterschriften zu sammeln.

Doch nicht nur die DR nutzt Skodas „Prominenz“ für sich, auch die Jungen Nationaldemokraten (JN) umgarnen ihn. In der Ausgabe 02/13 der JN-Postille Der Aktivist erschien ein Interview mit ihm aus der U-Haft. „Das AB Mittelrhein vor Gericht“ war „Leitthema“ der Ausgabe, die neben dem Interview einen Text des JN-Bundesvorsitzenden Andy Knape, einen Bericht über die „Solidaritätskampagne“ sowie zwei Berichte von Angeklagten enthielt.

„Die Halben hat der Teufel geholt“

Die meisten Angeklagten tauchten kurz nach ihrer jeweiligen Haftentlassung wieder auf Aufmärschen auf – in Remagen 2013 sogar in Begleitung des Verteidigers Björn Clemens aus Düsseldorf. Einige von ihnen treten sogar deutlich häufiger in Erscheinung als vor dem Verfahren. Auch zu einigen Szene-Veranstaltungen werden sie eingeladen, um über ihr Verfahren zu sprechen. Im Februar beispielsweise war der Verteidiger Dirk Waldschmidt zusammen mit Angeklagten beim „Stützpunkt Westerwald“ der Kleinstpartei Der Dritte Weg als Redner geladen.

Im Gegensatz zu den Fünfen, die sich aus­sagebereit zeigten und ihre Distanzierung deutlich machten, scheinen Haft und Prozess hier szenefestigend gewirkt zu ha­ben. So formuliert es auch einer der Angeklagten in einem Bericht im Aktivist: „Zumindest in der Region hat der Prozess siebende Wirkung. Die Halben hat der Teufel geholt, was übrig bleibt ist der Samen der Erneuerung und ein vom Unrecht geschmiedetes Band um die Betroffenen, die hier zu einer wahrhaften Schick­salsgemeinschaft geformt wurden.“

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„Bruderschaft Hessen“ mit Solishirts bei einem Aufmarsch in Bad Nenndorf.

„Freiheit für Philip“

Hessische Unterstützung für „Reichstrunkenbold“ und Waffentransporteur

Philip Tschentscher wurde letzten Sommer im Zusammenhang mit dem österreichischen Neonazi-Kulturverein „Objekt 21“ festgenommen und im Januar zu drei Jahren Haft verurteilt. Das „Objekt 21“ ist Teil eines deutsch-österreichischen Netzwerkes, Tschentscher war in diesem Netzwerk ein nicht unwesentlicher Protagonist. Dem „fliegenden Händler“, Liedermacher und „Reichstrunkenbold“ wurden NS-Wiederbetätigung und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Aufgeflogen war er, als er eine Pistole über die deutsch-österreichische Grenze schmuggeln wollte. Hessische Neonazis haben zwischenzeitlich eine Solidaritätskampagne für ihn organisiert.