Lotta

Vom Volksempfänger zum Smartphone

Rechte Propaganda, Mobilisierung und Organisierung im Internet

Das Internet, insbesondere die Social Media- und Content-Plattformen, hat für die Verbreitung extrem rechter Propaganda mittlerweile zentrale Bedeutung. Dies liegt nicht nur an der Befähigung extrem rechter AkteurInnen zur Nutzung dieses Kommunikationsmittels, sondern vor allem an sozio-technischen Entwicklungen, die ihnen in die Hände spielen.

Das Internet, insbesondere die Social Media- und Content-Plattformen, hat für die Verbreitung extrem rechter Propaganda mittlerweile zentrale Bedeutung. Dies liegt nicht nur an der Befähigung extrem rechter AkteurInnen zur Nutzung dieses Kommunikationsmittels, sondern vor allem an sozio-technischen Entwicklungen, die ihnen in die Hände spielen.

Ausgerechnet „Ewiggestrige“ am Puls der Zeit? Was auf den ersten Blick wie ein Paradoxon erscheint, ist eine bereits seit mehr als 20 Jahren fortdauernde Entwicklung: Die extreme Rechte hat das Potenzial, welches das Internet bietet, früh erkannt. Begonnen mit eher klandestin — und mit tatkräftiger Hilfe des Verfassungsschutzes — aufgebauten BTX- und Mailbox-Netzwerken wie dem Thule-Netz Anfang der 1990er Jahre, gefolgt von der exzessiven Nutzung individueller Websites und Blogs über Foren wie Thiazi und den Aufbau eigener Medienprojekte wie Altermedia und PI-News hin zur Nutzung der großen Social-Media-Plattformen: Die extreme Rechte hat ihre Strategien zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung für Events, zur Organisation und nicht zuletzt auch zum Kampf gegen politische Gegner_innen an den jeweiligen Zustand des Netzes und der Technik angepasst. Die Möglichkeiten, mit vergleichsweise einfachen Mitteln ein breites Spektrum an Menschen anzusprechen und gesellschaftliche Debatten zu beeinflussen, waren noch nie so vielfältig wie heute.

Die Utopie eines freien Netzes

Um zu verstehen, warum die extreme Rechte derzeit online so erfolgreich ist, bedarf es eines Rückblicks auf die Entwicklung „des Netzes“. Das Internet war — bedingt auch durch die militärischen Überlegungen zu seinem Aufbau — als weitgehend dezentrale und krisensichere Kommunikationsstruktur ausgelegt. Am Anfang der öffentlichen Nutzung standen utopische Erwartungen an das demokratische Potential des Internets: Mit dem Zugang zum Netz sollte jede_r die Gelegenheit bekommen, sich und andere unzensiert zu informieren. Viele Aktivist_innen der ersten Stunde glaubten an die emanzipatorische Kraft des „Cyberspace“ und schrieben die unbedingte Notwendigkeit eines freien Informationsflusses in die technischen Protokolle und Standards, die noch immer das Rückgrat dessen bilden, was wir heute als „Internet“ kennen.

Diesen historischen Auftrag zur Verhinderung bzw. Umgehung staatlicher Zensur erfüllt das Internet weiterhin: Anonymisierungsnetzwerke wie TOR ermöglichen Menschen weltweit, sich dem Zugriff autoritärer Regime zu entziehen und Informationen auszutauschen. Eine Möglichkeit, die auch die extreme Rechte nutzt: Die vom US-Neonazi Andrew Anglin seit 2013 betriebene Website „The Daily Stormer“ ist seit dem Sommer 2017 auch über einen sogenannten „Onion Service“, eine Funktionalität des TOR-Netzwerkes, die Server und Nutzer_innen anonymisiert, verfügbar. Das TOR-Projekt positioniert sich zwar deutlich gegen Rassismus, stellte aber auch klar, dass das Netzwerk keinerlei Kontrollmöglichkeiten biete und niemals bieten dürfe. So paradox die Nutzung ihres im Sinne von Freiheit und Diversität konzipierten Dienstes durch die extreme Rechte auch sei, sie sei nicht zu verhindern und der Kampf gegen die extreme Rechte eine gesellschaftliche, keine technische Aufgabe, so die Macher_innen.

Extrem rechte Online-Medien

Die Publikation von Inhalten im Netz erlaubt es, unabhängig vom Zugang zu den Kommunikationskanälen der Massenmedien und weitgehend unbehelligt von staatlicher Kontrolle, Informationen und Meinungen zu publizieren. Wirksame Barrieren gegen die Verbreitung von Falschmeldungen und Lügen existieren nicht mehr. Die extreme Rechte fährt aktuell eine Doppelstrategie: Zum einen werden etablierte Massenmedien permanent als unfreie Organe der herrschenden Politik diskreditiert. Zum anderen wird über eigene Formate und Kanäle eine Gegenöffentlichkeit konstruiert, die auf die Erwartungen der eigenen Klientel und die strategischen Ziele zugeschnitten ist. So lassen sich Unwahrheiten verbreiten und Themen setzen, die aufgrund mangelnder Relevanz in den Massenmedien bestenfalls eine Randnotiz darstellen.

Der Blog PI-News ist eines der erfolgreichsten Beispiele extrem rechter Online-Medien. (vgl. LOTTA #45, S.16—18) 2004 von einem kleinen Team um Stefan Herre aus Bergisch Gladbach gegründet, gelang es dem Blog mit einem Mix aus Nachrichten, Kommentaren und Aktivismus schnell, eine größere Gemeinschaft von LeserInnen zu gewinnen. Die verbindende Klammer bildeten dabei ein als „Islamkritik“ gelabelter antimuslimischer Rassismus und der sich selbst zugeschriebene „Mut zur politischen Inkorrektheit“ als Legitimation für Hetze gegen gesellschaftliche Minderheiten und Andersdenkende. Die LeserInnen werden durch in der Regel alarmistische, teils pathetische und stets polarisierende Beiträge, eine offene Kommentarpolitik und regelmäßige Aktionsaufrufe, z.B. zu Mails und Anrufen bei Journalist_innen oder Politiker_innen, bei Laune gehalten. Trotz des Bedeutungszuwachses der sozialen Netzwerke erfüllt der Blog als Plattform für eigene Inhalte, dauerhaft auffindbar, unter eigener Kontrolle und auf anderen Plattformen teilbar, weiterhin eine wichtige Funktion für die extrem rechte Propagandastrategie.

Zuletzt sind weitere Seiten entstanden, die das aktuelle politische Geschehen kommentieren, beispielsweise David Bergers Philosophia Perennis oder der AfD-nahe Deutschland Kurier. Aber auch klassische Medien bleiben wichtig, weil sie den „Rohstoff“ liefern, auf dem die Beiträge der extrem rechten PropagandistInnen basieren, und als Referenz dienen. Besonders häufig wird von der deutschen extremen Rechten auf konservative Medien wie Die Welt und Focus, die russischen Staatssender RT Deutsch und Sputnik News sowie die ursprünglich von Anhänger_innen der chinesischen Sekte Falung Gong gegründete Epoch Times verwiesen. Hier existieren die größten politischen Übereinstimmungen, insbesondere beim Thema Migration.

Echokammern und Filterblasen

Die wichtigsten Kanäle zur Verbreitung extrem rechter Inhalte sind mittlerweile aber soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube. Auch die vielfach zitierten „Echokammern“ und „Filterblasen“ sind Ausdruck selbst geschaffener Gegenöffentlichkeiten. Sie entstehen im Wesentlichen durch die Möglichkeit, selbst Inhalte zu veröffentlichen und diese massenhaft vornehmlich unter Gleichgesinnten zu teilen und zu diskutieren. Dadurch entsteht eine Dynamik, die mangels Gegenrede, Kritik und Reflexion maßgeblich auf der Bestätigung des eigenen Standpunktes und dessen Zuspitzung basiert.

Bereits lange vor dem Aufkommen der sozialen Netzwerke existierte mit dem thiazi-Forum eine solche Echokammer für die extreme Rechte, in der zeitweilig bis zu 30.000 aktive NutzerInnen diskutierten sowie Musik und Medien austauschten. 2012 wurde das Forum nach Ermittlungen des BKA vom Netz genommen. Einige ModeratorInnen wurden 2018 wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. (vgl. LOTTA #48, S. 31—34)

Solche Foren haben an Bedeutung verloren. Der Austausch illegaler Inhalte wird meist über Dienste in Anonymisierungsnetzwerken, das sogenannte „Darknet“, abgewickelt, während Diskussionen vor allem bei Facebook und Co. stattfinden. Das Forum der „wütenden weißen alten Männer“ ist heute nicht mehr primär die Stammkneipe, sondern das globale Netz. Dabei spielen die Filter und Algorithmen der großen Social-Media-Plattformen eine entscheidende Rolle für den Erfolg extrem rechter Propaganda. Diese sind dazu designt, den Nutzer_innen die passenden Inhalte zu präsentieren, um sie möglichst lange auf der eigenen Plattform zu halten.

Das funktioniert vor allem über Beiträge, die starke emotionale Reaktionen bei den Betrachtenden auslösen und diese damit zu einer Reaktion, z.B. Weiterleiten oder Kommentieren, veranlassen und so weitere Interaktionen im Netzwerk auslösen. Deshalb tendieren diese Verteilungsmechanismen dazu, Inhalte zu bevorzugen, die den Interessen und Erwartungen der Nutzer_innen entsprechen und sie auf einer emotionalen Ebene ansprechen. Somit entstehen auf vorgeblich neutralen und offenen Plattformen Echokammern aus Gleichgesinnten, die sich in stark emotionalisierten Debatten gegenseitig die eigene Weltsicht bestätigen und von „lernenden“ Algorithmen mit immer neuem Material versorgt werden.

Deshalb entwickelt sich der Facebook-Newsfeed von Personen, die öfter auf extrem rechte Beiträge reagiert haben, schnell zu einer Art extrem rechter Onlinezeitung. Bei YouTube ist es nicht anders. In dieser Umgebung funktionieren klassische Propagandastrategien der extremen Rechten, die mit der Konstruktion von Bedrohungsszenarien und Identitäten sowie bewussten Tabubrüchen arbeiten, außerordentlich gut. Sie profitieren von den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie überproportional.

Auf diese Weise erhält extrem rechte Propaganda eine viel größere Reichweite, weil die sozialen Netzwerke ihre Inhalte — genügend Aufmerksamkeit im eigenen Lager vorausgesetzt — auch über die Grenzen der eigenen Echokammern hinaus verbreiten und so bis in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs tragen können, wie z.B. die Kampagne gegen den UN-Migrationspakt zeigte.

Mobilisierung mittels Internet

Die sozialen Netzwerke erleichtern — über alle politischen Lager hinweg — die Bewerbung von Protestaktionen. Nicht nur weil Interessierte schnell erreicht werden, sondern auch weil diese sich über das Teilen von Inhalten leicht an der Mobilisierung beteiligen und unter Umständen auch in die Vorbereitung mit einbezogen werden können. Nicht länger ist es für die Organisator_innen notwendig, umfangreiche Email- und Postverteiler zu verwalten oder Plakate zu kleben. Und auch die ehemals starke Abhängigkeit von als Multiplikatoren dienenden klassischen Medien besteht nicht mehr. Auch wenn keine statistisch validen Daten über das gesamte Protestgeschehen in Deutschland vorliegen, drängt sich der Eindruck auf, dass in den vergangenen Jahren sowohl die Zahl von Protestereignissen als auch die Anzahl der insgesamt Beteiligten stark zugenommen haben.

Mobilisierungen wie jene von PEGIDA wären ohne die sozialen Netzwerke nicht möglich gewesen. Sie bildeten die Basis für kleine Gruppen von OrganisatorInnen, um Kontakte zu knüpfen, Inhalte zu verbreiten, erfolgreich zu den eigenen Aktionen zu mobilisieren und diese im Nachgang zu dokumentieren. Dadurch ist allerdings auch eine neue Abhängigkeit entstanden, die AkteurInnen angreifbar macht.

Die häufiger gewordenen Sperrungen extrem rechter Accounts zeigen Wirkung, weil auf einen Schlag sämtliche, womöglich über Jahre angesammelten Kontakte nicht mehr erreichbar sind und spontane Mobilisierungen schwierig werden. Auch deshalb ist seit einiger Zeit ein Ausweichen auf kleinere Dienste wie das russische VK oder die Nutzung von Messenger-Apps wie Telegram und WhatsApp zu beobachten. In den USA sind mittlerweile erste auf Open-Source-Technologie basierende Dienste wie gab, eine Art Twitter, entstanden, deren Betreibende sich selbst der „Alt-Tech-Bewegung“ zurechnen und deren NutzerInnen vornehmlich der politischen Rechten entstammen.

Doch alleine mit technischen Faktoren lässt sich Erfolg oder Misserfolg einer Mobilisierung nicht erklären, wie sich jüngst beim gescheiterten Versuch zeigte, die in Frankreich für Schlagzeilen sorgenden „Gelbwesten“-Proteste nach Deutschland zu importieren. Obwohl eine Facebook-Seite mit 18.000 Followern entstand, bundesweit Dutzende offene Telegram-Gruppen zur Koordinierung von Aktionen gebildet wurden und eine interaktive Karte Treffpunkte für Aktionen markierte, blieben die Proteste vielerorts aus oder es beteiligten sich nur eine Handvoll Personen.

Dass kurzfristige Mobilisierungen erfolgreich sein können, zeigte sich hingegen nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. im August 2018 in Chemnitz. Eine Kombination mehrerer Faktoren war entscheidend: Der Tod von Daniel H. war ein hochemotionales Thema, das entsprechend Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken bekam. Zusätzlich verstärkt wurde dies durch die Behauptung, H. sei getötet worden, als er Frauen vor sexualisierter Gewalt habe schützen wollen. Eine Falschmeldung, die bewusst eines der erfolgreichsten Narrative der extremen Rechten der letzten Jahre aufgriff. Das Ereignis reihte sich zudem in eine monatelange Kampagne zu „Ausländergewalt“ und „Messereinwanderung“ ein. Und es ereignete sich in einer Stadt mit einer starken extrem rechten Szene, die angefangen bei der AfD über die lokale Gruppierung Pro Chemnitz und die UltraGruppe Kaotic Chemnitz bis zu den Strukturen der klassischen Neonazi-Szene gemeinsam für den Aufmarsch warb und die Strukturen vor Ort stellte.

Organisierung im Netz

Nach den Aufmärschen in Chemnitz, bei denen die Polizei Gewalt und Ausschreitungen nicht verhinderte, gerieten die Sicherheitsbehörden in Erklärungsnot. Die Innenminister von CSU und CDU erklärten den „Smart-Mob“, gemeint war die Mobilisierung und Koordinierung via Smartphones, zum ausschlaggebenden Faktor. Auf dieses neue Phänomen sei man nicht vorbereitet gewesen. Tatsächlich haben solche Tools einen positiven Effekt auf die Mobilisierungs- und Aktionsfähigkeit, aber die Ausschreitungen von Chemnitz sind damit nicht erklärbar. Entscheidend war vielmehr der Organisationsgrad der Teilnehmenden sowie das Vorgehen der Polizei vor Ort.

Facebook-Gruppen und Messengerdienste werden von der extremen Rechten auch verstärkt zur dauerhaften Organisierung genutzt. Über Chatgruppen und -kanäle werden Neuigkeiten verbreitet, Inhalte geteilt und auch Abstimmungen vorgenommen. Die Tools sind leicht zu bedienen, gelten als sicher und erreichen die Empfänger_innen unmittelbar. Durch das Agieren in einem (vermeintlich) geschützten Raum werden Beziehungen aufgebaut und gestärkt. Damit kann auch ohne Zutun der Belohnungsmechanismen sozialer Netzwerke oder regelmäßige persönliche Treffen eine Tendenz zur Radikalisierung der Beteiligten einhergehen. Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel der 2015 von der Polizei zerschlagenen Gruppe Old School Society und dem kürzlich durch taz-Recherchen aufgedeckten Netzwerk extrem rechter „Prepper“ um den Verein Uniter in der Bundeswehr nachvollziehen.

„We don’t need that fascist groove thang!“

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Erfolg der Aufmerksamkeitsökonomie im Internet und die damit verbundenen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen vor allem der extremen Rechten nutzen. Sie schafft es dabei zunehmend, die Mechanismen für ihre Zwecke zu nutzen und so ihre eigenen Inhalte dauerhaft zu platzieren. Auf diese Weise kann die extreme Rechte ihre Reichweite deutlich steigern und auch in Spektren mobilisieren, die ihr bislang eher verschlossen waren.

Durch den Aufbau eigener Online-Medienangebote werden auf die eigene Klientel zugeschnittene Gegenöffentlichkeiten geschaffen, die sich zunehmend gegenüber Kritik und Diskurs immunisieren. Mobilisierungen innerhalb dieser Echokammern können — sofern sie auf entsprechende organisatorische Strukturen und inhaltliche Vorarbeit stoßen — sehr erfolgreich sein und so Momente der Selbstermächtigung kreieren, die langfristig Wirkung entfalten. Die Inhalte der extremen Rechten bleiben in diesem Zusammenhang weitgehend unverändert, es ist der Umgang mit den neuen Möglichkeiten des Netzes, der sich weiterentwickelt hat.

Es ist auch an der radikalen Linken, diese Mechanismen zu erkennen, zu analysieren und wirksame Gegenstrategien zu entwickeln, ohne dabei die berechtigte Kritik und Zurückhaltung gegenüber sozialen Netzwerken und der Aufmerksamkeitsökonomie abzulegen.