„Unheilige Allianz

Interview mit der „Mean Streets Antifa“ aus Dortmund

Angriffe auf ein Bochumer Wohn- und Nachbarschaftsprojekt, Bedrohungen in einem bürgerlich-alternativen Wohnviertel, Neonazis auf „TikTok“… Wohin steuert die Dortmunder Neonaziszene? Darüber sprach LOTTA Anfang April 2023 mit Leila Reichert von der „Mean Streets Antifa“ aus Dortmund.

Angriffe auf ein Bochumer Wohn- und Nachbarschaftsprojekt, Bedrohungen in einem bürgerlich-alternativen Wohnviertel, Neonazis auf „TikTok“… Wohin steuert die Dortmunder Neonaziszene? Darüber sprach LOTTA Anfang April 2023 mit Leila Reichert von der „Mean Streets Antifa“ aus Dortmund.

Es ist wieder häufiger von massiven rechten Angriffen im Raum Dortmund zu hören. Was bzw. wer steckt rdahinter?

Nachdem Dortmund in den letzten Jahren von rechter Gewalt weitgehend verschont geblieben war, häufen sich aktuell wieder Angriffe auf Linke in der Stadt. Es ging los mit Angriffen auf Personen, die offenbar links aussahen und auf dem Heimweg aus linken oder subkulturellen Kneipen waren. Die Angreifer prahlen mit ihren Taten in den sozialen Medien. Ein Video auf Instagram zeigt, wie eine Person bis zu ihrer Haustüre verfolgt wurde. Ein anderes Mal war ein martialisches Foto mit Blut auf dem Boden zu sehen, angeblich hatten hier Rechte zuvor jemanden dabei beobachtet, wie er linke Sticker verklebte. In mehreren Stadtteilen häuften sich „Anti-Antifa“-Graffiti und Tags wie „Thomas Schulz 2.0“ und „Sven Kahlin King“, die den neonazistischen Mord an einem Punk feiern. Das Ganze gipfelte im März dann in zwei Angriffen auf das linke Wohn- und Nachbarschaftsprojekt Haldi47 in Bochum. Beim ersten Mal wurden Parolen gerufen und Steine durch die Fenster geworfen. Beim zweiten Mal hielt einer der Angreifer einer Person eine Schusswaffe an den Kopf und attackierte sie mit Pfefferspray. Ein Augenzeugenbericht beschreibt eindrücklich, wie sich die Betroffenen auf dem Dachboden verschanzten und hörten, wie die Angreifer versuchten, ins Gebäude einzudringen. Diese Angriffe und die Hetze gegen Antifas gehen nicht auf das Konto einer klassischen Neonazi-Kameradschaft. Drahtzieher ist Serkan B., der bisher noch nie auf rechten Demos oder bei Neonaziparteien wie Die Rechte oder NPD gesichtet wurde. Um ihn und wenige weitere Personen, darunter auch die beiden organisierten Dortmunder Neonazis Steven F. und Pascal O., schart sich eine Gruppe männlicher Jugendlicher und junger Männer, die die rechte Propaganda annehmen und anschließend selbst verbreiten. Die meisten sind noch im Schulalter. In ihrer Freizeit verkleben sie rechte Sticker, haben aber ideologisch mit Nationalsozialismus oder deutschem Nationalismus nichts zu tun. Offenbar haben sie in Serkan B. eine Art Idol für Aktivismus und Männlichkeit gefunden. Antifas sind ihr Feindbild, weil sie damit LGBTQI-Rechte und eine angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern verbinden. Sie brechen das herunter auf den Slogan „Antifa Pädophiel“ [sic], der aktuell an vielen Hauswänden zu lesen ist. Mit ihrem Treiben konfrontiert, betonen sie, keine Neonazis sein zu können, da unter ihnen auch türkische, marokkanische und Schwarze Personen seien. Das mag sein, hindert sie aber ganz offensichtlich nicht daran, rechte Gewalttaten zu begehen.

In welchem Verhältnis stehen diese Personen zu den Überbleibseln des ehemaligen „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO), der jetzt unter dem Dach der NPD als „Heimat Dortmund“ auftritt? Welche Rolle spielen hierbei Steven F. und Pascal O.?

Fangen wir mit der zweiten Frage an: Steven F. und Pascal O., die der ehemaligen NWDO/Die Rechte-Struktur mit Schwerpunkt auf Dortmund-Dorstfeld angehören, sind neben Serkan B. die Rädelsführer der rechten Schlägerbande und waren auch an Angriffen, wie zum Beispiel denen auf die Haldi47, beteiligt. Inwiefern die beiden sich mit den Dorstfeldern absprechen, wissen wir nicht. Diese freuen sich jedenfalls über die neue Welle an „Anti-Antifa“-Gewalt. Sie machen sich darüber lustig, dass jetzt sogar Linke der „Umvolkung“ zum Opfer fallen würden. Aber mit einer Gruppe, die jemand mit dem Namen Serkan anführt und die bei Angriffen unter anderem „Allahu akbar“ ruft, gibt es wenig Gemeinsamkeiten. Trotzdem fällt auf, dass Personen aus Serkan B.s Umfeld bereits an einem „Heldengedenken“ der Neonazis teilnahmen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander entwickelt. Wir rechnen damit, dass die Heimat Dortmund Serkans Gruppe fallen lässt wie eine heiße Kartoffel, sobald sie nicht mehr von ihr profitiert. Dass diese unheilige Allianz überhaupt zustande kam, dürfte darin begründet sein, dass die Dortmunder Neonazi-Szene durch personelle Umbrüche und gescheiterte Strategien seit 2019/2020 immer weniger handlungsfähig und die alternden Kader immer weniger anschlussfähig und attraktiv für („deutsche“) jugendliche Rechte sind.

Neuerdings versuchen sich Dortmunder Neonazis auch als Influencer auf TikTok und YouTube. Wie schätzt ihr ihre Reichweite und Wirkungsmächtigkeit ein?

Das Ganze begann damit, dass „Beast Kitchen“, ein YouTuber mit über 300.000 Follower*innen Steven F. interviewte. Das Video mit dem Titel „MIGRANT trifft auf NEO-N*ZI“ hat Hunderttausende Zugriffe. Das Muster ist einfach und für die Neonazis sehr dankbar: Ein schlecht vorbereiteter Interviewer stellt Fragen und lässt einen Neonazi frei darauf antworten. Dieser verbreitet neonazistische Propaganda, ein Widerspruch durch den YouTuber bleibt aus. Steven F. kann sich als sympathischer Macker von nebenan verkaufen und betont, auch mit „Ausländern“ befreundet zu sein. Dass er derart offen auftritt, bringt den Neonazis ebenso wie dem YouTuber Reichweite. Andere Kanäle sprangen auf den Zug auf. Sie machen sich zum Steigbügelhalter für die Neonazis, da diese nun ein viel größeres und diverseres Publikum ansprechen können, als sie es mit Blogposts und Telegram je könnten.

Wie ließe sich dem begegnen?

Es braucht mehr denn je linke, öffentliche Aufklärung. Steven F. ist ein mehrmals verurteilter rassistischer und antisemitischer Gewalttäter, auch wenn er sich in den Videos gerne anders darstellt. Um die Filterblasen über ihn zu informieren, die seine Auftritte auf YouTube und TikTok gesehen haben, braucht es aber mehr als klassische Antifa-Kanäle. Uns ist da zum Beispiel ein Disstrack des Rappers Jaysus auf YouTube aufgefallen, der Mitte März in seinem Song klarmacht, dass die oft migrantischen YouTuber und ihr Publikum kein Interesse daran haben können, dem Rassisten Steven F. und seinen Kameraden eine Propagandaplattform zu schenken.

Wollt ihr sonst noch etwas loswerden?

So schrecklich die Angriffe und Bedrohungen durch die Gruppe um Serkan B. sind, sie bringen auch positive Entwicklungen in der lokalen linken Szene mit sich. Die Solidarität ist groß, es fanden bereits mehrere Antifa-Demonstrationen statt. Die Nachbarschaft in den besonders betroffenen Vierteln vernetzt und organisiert sich. Es hagelt Outings und Aufklärungstexte, und wir sehen, dass die Rechten von dem Gegenwind überrascht und teils überfordert sind. Sie bekommen aufgezeigt, dass sie kein Dortmunder Viertel für sich beanspruchen können. Es gibt internen Streit, die ersten aus der Gruppe und ihrem Umfeld distanzieren sich schon von den Taten. Daran gilt es anzuknüpfen.

Vielen Dank für das Interview!

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