Eine Zeitreise in die 1990er

Die „Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld“

In NRW haben zuletzt vor allem „Autonome Nationalisten“ von sich reden gemacht. Aus dem Blick geraten ist dadurch ein Spektrum, das bis heute das öffentliche Bild des Neonazis nachhaltig geprägt hat: rechte Skinheads. Wie das Beispiel der „Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld“ (SFD) zeigt, zeichnen diese Gruppen zwar nicht unbedingt für öffentlichkeitswirksame Aktionen verantwortlich, sie sind jedoch häufig extrem gewalttätig.

In NRW haben zuletzt vor allem „Autonome Nationalisten“ von sich reden gemacht. Aus dem Blick geraten ist dadurch ein Spektrum, das bis heute das öffentliche Bild des Neonazis nachhaltig geprägt hat: rechte Skinheads. Wie das Beispiel der „Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld“ (SFD) zeigt, zeichnen diese Gruppen zwar nicht unbedingt für öffentlichkeitswirksame Aktionen verantwortlich, sie sind jedoch häufig extrem gewalttätig.

Am 22. Januar 2013 endete vor dem Dort­munder Landgericht ein Prozess gegen vier Mitglieder der SFD. Gleich wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte waren der wegen Tot­schlags vorbestrafte Dortmunder Neonazi Sven Kahlin, sein jüngerer Bruder Jan Kahlin und deren Mittäter Dennis Becwar und Tim Gehrmann angeklagt und verurteilt worden. Sie hatten zwei türkischstämmige Jugendliche auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt niederge­schla­gen, einen Mann in Oberhausen als „Drecks­ausländer“ beschimpft und zusammengetreten sowie bei einem Naziaufmarsch in Wuppertal einen Gegendemonstranten zu Boden getreten. Wie bereits im Verfahren wegen der Tötung des Punks Thomas Schulz negierte das Gericht den politischen Hintergrund des Angriffs auf dem Weihnachtsmarkt. Da sich Kahlin, von dem die Attacke ausging, kurz davor mit seiner (Noch-)Ehefrau Sandra Kahlin gestritten hätte, wäre er dem Richter zufolge eventuell auch auf Personen losgegangen, die nicht seinem Feindbild „Ausländer“ entsprochen hätten. Wie bei zahlreichen anderen Verfahren wurde hier die Gruppenzugehörigkeit – alle sind Teil der SFD – der Angeklagten ignoriert.

Entstehung

Gegründet wurde die sich als „Freie Kameradschaft“ verstehende SFD 2004. Zwischenzeitlich zählten etwa 15 Personen zum engeren Kern der Gruppe, darunter auch eine Reihe von Frauen wie Charlotte Klinkenberg und Nadine Kraus. Regelmäßig ist die SFD auf Rechts­Rock-Konzerten und auf neonazistischen Demon­stra­tionen zugegen, auch in den na­hen Niederlanden, wohin gute Kontakte bestehen. Während die „Autonomen Nationalisten“ des Nationalen Widerstands Dortmund(NWDO) in en­gem Kontakt zum NPD-Kreisverband Unna/Hamm standen, kandidierten mit Patrick Brdonkalla, Michael Wrobel, Tobias Schierbaum, David Kiel, Daniel Spilker und Sven Panke gleich mehrere Vertreter der SFD im Jahr 2009 bei der Kommunalwahl für die Dortmunder DVU. Brdonkalla saß 2004 bis 2009 sogar für die Partei in der Bezirksvertretung Innenstadt-West.

Der Kontakt zwischen SFD und NWDO ist mittlerweile relativ freund­schaftlich, wenngleich der star­ke Alkoholkonsum der Skinheads teils für Konflikte sorgte. Insbesondere Simon Schmiemann bewegt sich zwischen den Szenen: Sub­kul­turell den Oberdorstfelder Skins zugehörig, nimmt er aber auch regelmäßig an den wöchentlichen Treffen der AN teil.

Sven Kahlins Gewaltkarriere

Die Skinhead-Front ist vor allem durch gewalttätige Übergriffe bekannt geworden. In Dortmund ge­hen viele der rechten Gewalttaten auf ihr Konto. Nach dem Mord an Thomas Schulz 2005 erklärte die SFD stolz, dass der Täter Sven Kahlin zu ihrer Gruppe gehört. Kurz nachdem Kahlin im September 2010 aus der Haft entlassen wurde, ließ er sich bei einem Aufmarsch in Hamm als Redner feiern und präsentierte stolz ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Was sollten wir bereuen?“. Keine drei Wo­chen nach seiner Entlassung schlug er einen Wirt nieder, der kei­ne Nazis in seiner Kneipe dulden wo­llte. Kurz darauf – im Dezember 2010 – war er dann mit zwölf weiteren Neonazis an dem bisher brutalsten Überfall auf die Gaststätte Hirsch­-Q beteiligt: Mehrere Verlet­zte, darunter auch Personen mit Stich­wunden, waren die Folge. Zehn mutmaßliche Täter und Täterinnen wurden aufgrund der Benutzung von Hieb- und Stichwaffen wegen ei­nes besonders schweren Falls von Landfriedensbruch angeklagt. Zu ih­nen gehören unter anderen die Kahlin-Brüder, Gehrmann, Brdonkalla, Schierbaum, Schmiemann, Klinkenberg, Matthias Hille und Joscha Cuypers sowie die Lünerin Danie­la Salvadori. Das Hauptverfahren wurde je­doch noch nicht eröffnet. Das zu­stän­dige Landgericht gibt an, überlastet zu sein.

Gewaltaffines Milieu

Immer wieder begehen die Mitglieder der Skinhead-Front brutale Über­grif­fe auf Linke und MigrantInnen. Diese sind meist spontan und resultieren aus einer gefährlichen Mischung von hoher Gewaltbereitschaft, Alkohol und mangelndem Be­wusstsein für strafrechtliche Kon­sequenzen. Im Juni 2011 beleidigte und bedrängte eine zehnköpfige Grup­pe der Naziskins zwei dunkelhäutige Frau­en in einer U-Bahn in Dorstfeld, im September 2011 beleidigten in Dorstfeld zwei Glatzen ei­nen Afrikaner zunächst rassistisch und versuchten ihn dann mit Messer und Pfeffersprayanzugreifen. Zum Glück gelang ihm die Flucht. Zu­letzt griffen im August 2012 Brdonkalla und seine Freundin Klinkenberg zusammen mit Santana Ja­cob eine schwarze Frau in der McDonald’s-Filiale am Dortmunder Hauptbahnhof an. Eine Überwachungskamera soll den Übergriff aufgezeichnet haben, demnächst dürfte es also einen weiteren Prozess gegen Mit­glie­der der Skinhead-Front geben.

Verbote zwecklos

Im Spätsommer 2012 verbot das nordrhein-westfälische Innenministerium mit dem NWDO, der Kam­erad­schaft Hamm und der Kameradschaft Aachener Land drei der wich­tigs­ten neonazistischen Gruppen in NRW. Die eng mit dem NWDO ver­bun­dene SFD war von der Verbotsverfügung nicht betroffen – lediglich eine Handvoll Naziskins wurde dem NWDO zugerechnet.

Die Behörden taten sich lange schwer damit, die juristisch kaum zu fassenden Kameradschaften zu verbieten. Vereinigungen wie die SFD könnten noch schwieriger zu greifen sein. Zwar treten ihre Aktivisten und Aktivistinnen in der Öffentlichkeit in der Regel in der Gruppe auf und nutzen kontinuierlich ein eigenes Logo, aber eine feste Struktur mit regelmäßigen Treffen, politischen Veranstaltungen, einer Grup­pen­kasse etc. ist nicht vorhanden. Auch sind die Naziskins nicht publizistisch tätig. Sie veröffentlichen kei­ne Positionspapiere, mit denen man ihre neonazistische Gesinnung ein­deutig nachweisen könnte. Gera­de aber solche Texte haben maßgeblich zur Begründung der „Vereins­ver­bote“ beigetragen.

Fazit

Die Skinhead-Front scheint sich mittlerweile eher als Freundeskreis oder Clique zu verstehen, die ihre eigene (Gewalt)-Historie zum Kult erklärt hat. Gefängnisstrafen und staatliche Repression bremsen sie allenfalls für die Haftzeit. Danach führen sie ihre Aktivitäten und Gewalttaten nahtlos fort, wie der Fall Sven Kahlin deutlich zeigt.

Das Beispiel der Skinhead-Front verdeutlicht zudem, dass nicht nur schwer­punkt­mäßig politisch-öffentlichkeitswirksam arbeitende, sondern auch stärker in rechter Jugend- und Subkultur verankerte Gruppen über viele Jahre hin­weg kontinuierlich aktiv sein können. Durch ihre hohe Gewaltbereitschaft stellen sie eine nicht zu vernachlässigende Gefahr dar. Nicht nur deshalb sollte ihnen die nötige antifaschistische Aufmerksamkeit zukommen.

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