Alle Jahre wieder

Ein Rückblick auf fünf Jahre „Rheinwiesenlagerkampagne“

Am 23. November marschierten zum fünften Mal in Folge Neonazis durch das rheinland-pfälzische Remagen. Mit rund 230 Teilnehmenden gelang es den Neonazis, zum fünfjährigen Bestehen der „Rheinwiesenlagerkampagne“ deutlich mehr Neonazis nach Remagen zu mobilisieren als noch im Vorjahr. Anlass genug, um Bilanz zu ziehen und die Hintergründe und Entwicklungen der Aktivitäten rund um den alljährlichen „Trauermarsch“ in Remagen zu beleuchten.

Am 23. November marschierten zum fünften Mal in Folge Neonazis durch das rheinland-pfälzische Remagen. Mit rund 230 Teilnehmenden gelang es den Neonazis, zum fünfjährigen Bestehen der „Rheinwiesenlagerkampagne“ deutlich mehr Neonazis nach Remagen zu mobilisieren als noch im Vorjahr. Anlass genug, um Bilanz zu ziehen und die Hintergründe und Entwicklungen der Aktivitäten rund um den alljährlichen „Trauermarsch“ in Remagen zu beleuchten. 

Die „Rheinwiesenlager“

Anlass der Kampagne stellen die sogenannten „Rheinwiesenlager“ dar, Gefangenenlager der Alliierten, die ab März 1945 errichtet wurden. Rund 20 Lager bestanden entlang des Rheins, um die große Anzahl an deutschen Kriegsgefangenen nach der gescheiterten Ardennenoffensive, der Zerschlagung des Ruhrkessels und schließlich der Kapitulation Deutschlands unterzubringen. Um den Gefangenen die Flucht „zurück ins Reich“ zu erschweren und zu verhindern, dass sich diese noch existenten deutschen Truppen anschließen konnten, wurden die Lager gezielt westlich des Rheins angesiedelt. Die meisten der Lager existierten nur ein knappes halbes Jahr. Bis September 1945 waren sämtliche Lager aufgelöst. Viele der Insassen verließen die „Rheinwiesenlager“ schon nach wenigen Wochen. 

Vor allem aufgrund der eiligen Errichtung waren die Lebensbedingungen in den Lagern besonders in den ersten Wochen teilweise sehr schlecht. Über die Todeszahlen in den „Rheinwiesenlagern“ gibt es vielfältige Angaben. Bis heute ranken sich darum einige Mythen, die überwiegend auf den kanadischen Publizisten James Bacque zurückgehen. Mehrere seriöse Schätzungen gehen von 5.000 bis 10.000 gestorbenen deutschen Kriegsgefangenen aus (vgl. LOTTA #41, S. 32 f.). 

Innerszenische Bedeutung

Für Neonazis eignen sich die „Rheinwiesenlager“ sehr gut, um die Geschichte nach ihren Denkmustern umzudeuten und NS-verharmlosende Opfertheorien aufzustellen. Mit der Bezeichnung „US-KZ“ als Synonym für die „Rheinwiesenlager“ wird das Morden in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern der Nazis verharmlost. Deutsche Soldaten, die das NS-Regime stützten und unterstützten, werden zu Opfern „alliierter Kriegsverbrechen“ stilisiert.  Somit können die Neonazis gezielt Bezug auf den historischen Nationalsozialismus nehmen. 

Geschichtliche Themen sind für die Neonaziszene von hoher Bedeutung. Sie stellen einen Bezug zum wichtigsten Inhalt der Szene her: dem historischen Nationalsozialismus. Dieser Bezug eint Neonazis jedweder Couleur – gleich welcher Organisationsstruktur. So wundert es nicht, dass die für die Szene bedeutendsten Veranstaltungen – wie beispielsweise die Aufmärsche in Dresden, Magdeburg und Bad Nenndorf – ebenfalls „Trauerveranstaltungen“ mit direkten Bezügen zum Nationalsozialismus sind.

Aufmarschkontinuität

Die Etablierung des Aufmarsches in Remagen muss im Zusammenhang der extrem rechten Aufmarschpolitik im nördlichen Rheinland-Pfalz der letzten Jahre betrachtet werden. Bereits seit 2001 gab es Versuche, einen jährlichen Aufmarsch durchzuführen. Von Bedeutung waren insbesondere die von 2003 bis 2007 durchgeführten Aufmärsche für den Erhalt bzw. Wiederaufbau eines Ehrenmals der Waffen-SS im kleinen Örtchen Marienfels (Rhein-Lahn-Kreis). Es waren in erster Linie die erfahrenen Kader der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene um Christian Malcoci, Sven Skoda und Ralph Tegethoff, die in führender Position bei den Aktionen für das „Ehrenmal“ in Marienfels in Erscheinung traten. In diesem Zeitraum fand auch schon ein Aufmarsch in Remagen statt. Am 8. Mai 2005 kamen dort knapp 200 Neonazis zu einem „Gedenkmarsch für die in den alliierten Rheinwiesenlagern ermordeten Soldaten, Frauen und Kinder“ zusammen. Genau zu dieser Zeit trat auch das Aktionsbüro Mittelrhein (ABM) zunehmend in den Vordergrund und übernahm eine zentrale Funktion bei den Aufmärschen in der Region. Nachdem die Kampagne für den Wiederaufbau des SS-Gedenksteins in Marienfels an Attraktivität für die Naziszene verloren hatte – es wurde von Unbekannten zerstört und später auf dem Gelände von Thorsten Heise in Fretterode (Thüringen) wieder aufgebaut –, knüpften die Neonazi-Strukturen an den Aufmarsch von 2005 in Remagen an und initiierten eine Kampagne zum „Rheinwiesenlager“. 

Die „Rheinwiesenlagerkampagne“

Im Jahr 2009 startete die „Rheinwiesenlagerkampagne“, die seither unter dem Motto „Eine Million Tote rufen zur Tat“ steht. Als Abschluss und Höhepunkt dieser Kampagne findet jedes Jahr im November ein „Trauermarsch“ in Remagen statt. Bis zur seiner Zerschlagung im März 2011 standen Neonazis aus dem Umfeld des ABM hinter den Aktionen.

Dem ABM gelang es bis zum Jahr 2012, die Kampagne in der Naziszene so zu gestalten, dass sich der „Trauermarsch“ in Remagen schnell zum größten Neonazi-Aufmarsch in Rheinland-Pfalz entwickelte. Es nahmen bis zu 270 Neonazis an den Aufmärschen teil, unter ihnen diverse Angehörige mittlerweile verbotener Kameradschaften aus Nordrhein-Westfalen, „Freie Kräfte“ aus Rheinland-Pfalz, AnhängerInnen der rheinland-pfälzischen NPD sowie überregional angereiste Neonazis aus Berlin, Norddeutschland, dem Saarland, Hessen, Baden-Württemberg sowie aus den Niederlanden.

Vielseitig versuchte man im Vorfeld, auf den bevorstehenden Aufmarsch aufmerksam zu machen. Neben Sprüh- und Flyeraktionen sowie „Zeitzeugenlesungen“ fanden auch Informationsveranstaltungen außerhalb des Großraums Bad Neuenahr-Ahrweiler statt. Man produzierte Werbevideos, die Rechtsrock-Band Blutbanner widmete der Kampagne sogar ein eigenes Lied. Auch an der „Schwarzen Madonna“, einer aus Lehm geformten Skulptur des umstrittenen Nazikünstlers Adolf Wamper (vgl. LOTTA #53, S. 55 f.), der in dem Remagener „Rheinwiesenlager“ interniert gewesen war, fand man sich ein, um Trauerkränze niederzulegen.

Für die währenddessen inhaftierten Neonazis des ABM sprangen im Jahr 2012 Aktivisten aus dem Umfeld der an Pfingsten 2012 gegründeten Partei Die Rechte (DR) ein. Diese stellten nicht nur die nötige Infrastruktur für den Aufmarsch, sondern konnten darüber hinaus den größten Anteil der teilnehmenden Neonazis mobilisieren. Aufgrund von Differenzen zwischen der NPD und der DR beteiligte sich die rheinland-pfälzische NPD im Jahr 2012 nicht mehr an der Versammlung. Neonazis aus dem Umfeld des Aktionsbüro Rhein-Neckar, das schwerpunktmäßig im Raum Ludwigshafen aktiv ist und zu dieser Zeit mit dem dortigen NPD-Kreisverband Deutsche Weinstraße eng verflochten war, organisierten einige Tage vor dem Aufmarsch in Remagen eine eigene Veranstaltung im Raum Ludwigshafen. An diesem weiteren „Trauermarsch“ nahmen rund 80 Neonazis teil.

Beteiligten sich im Jahr 2012 nur um die 160 Neonazis an dem Aufmarsch in Remagen, stieg die Zahl 2013 auf zirka 230. Zum Großteil kamen diese aus Nordrhein-Westfalen, einige aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Hessen und aus Baden-Württemberg. Auch eine Gruppe Neonazis des Freien Netz Süd (FNS) und einige niederländische Neonazis unterstützten die Veranstaltung.

Der Anstieg der Teilnehmerzahlen im Vergleich zum Vorjahr dürfte verschiedene Ursachen haben. Zum einen hat Klaus Armstroff, Vorsitzender der neuen Kleinstpartei Der III. Weg, viel Energie in die Mobilisierung gesteckt. Daher auch die Beteiligung des FNS (siehe S. 32 f.). Außerdem ist die Aufmerksamkeit der Szene für den ABM-Prozess gestiegen. Weiterhin scheinen sich einige Angeklagte, die mittlerweile aus der Haft entlassen worden sind, unter dem Label JN Ahrtal neu zu organisieren. Damit dürften im Vergleich zum Vorjahr Neonazis aus dem Raum Remagen in die Planung eingebunden gewesen sein. Am diesjährigen Aufmarsch nahmen auch mehrere Angeklagte des ABM-Prozesses teil. Mit Paul Breuer aus Köln trat einer der Angeschuldigten sogar als Redner auf.

Blickpunkt „Trauermarsch“

Angemeldet wird der „Trauermarsch“ von Christian Malcoci. Der 50-Jährige ist schon lange in der deutschen und niederländischen Neonazi-Szene aktiv. Als Mitglied diverser Neonazi-Organisationen konnte er seinen Einfluss in der Szene über viele Jahre hinweg festigen (vgl. LOTTA #25, S. 34 ff.). Heute tritt er vor allem als Leiter und Anmelder von Veranstaltungen in Erscheinung.

Während des Aufmarsches legen die Veranstaltenden großen Wert auf einen disziplinierten Ablauf. In NS-Manier formieren sich die TeilnehmerInnen in Dreierreihen zu einzelnen Blöcken. Zwischen diesen gibt es Fahnen- und Kranzträger, bei einigen Aufmärschen fanden sich zudem Trommlergruppen ein. Der Ablauf des Aufmarsches ist jedes Jahr nahezu identisch. Schweigend ziehen die Neonazis von der Rückseite des Bahnhofs zum Standort des ehemaligen „Rheinwiesenlagers“, wo eine Zwischenkundgebung stattfindet. Dort werden Gedichte vorgetragen, „Zeitzeugen“ kommen zu Wort, gemeinsam singt man militärische Lieder. Bevor es zurück zum Bahnhof geht, findet die „Heldenehrung“ statt, bei der in militärischer Manier die gefallenen Soldaten der einzelnen Waffengattungen der Wehrmacht „gerufen“ werden: vom „Heer“ bis zum „Volkssturm“, erwartungsgemäß einschließlich der „Waffen-SS“. NS-Verherrlichung in reinster Form als Höhepunkt der Veranstaltung. In den letzten Jahren oblag Ralph Tegethoff die „Heldenehrung“. Der in Bad Honnef südlich von Bonn lebende Tegethoff ist in der Neonazi-Szene eine bedeutende Persönlichkeit. Er gilt als Bindeglied zwischen den „Freien Kameradschaften“ und der NPD. Symbolisch trat er im Jahr 2004 zusammen mit Thorsten Heise und Thomas „Steiner“ Wulff, beide führende Vertreter der „Freien Kameradschaften“, der NPD bei.

Und weiter?

Dass in diesem Jahr mehr als 200 Neonazis den Weg nach Remagen fanden, unterstreicht die innerszenische Bedeutung von derartigen „Trauerveranstaltungen“. Mehr noch: Die Organisatoren haben es geschafft, die TeilnehmerInnenzahl im Vergleich zum Vorjahr deutlich zu steigern. Dies zeigt, dass es der Szene gelingt, die „Rheinwiesenlagerkampagne“ trotz der „Zerschlagung“ des Aktionsbüros Mittelrhein fortzuführen und am Leben zu erhalten. Der lang andauernde Prozess gegen das ABM dürfte dabei ein Grund für steigende TeilnehmerInnenzahlen sein: Die Solidarität in der Szene scheint gestärkt und die innerszenische Bedeutung des Aufmarsches somit gestiegen zu sein.

Obwohl die Veranstalter um den Anmelder Christian Malcoci für die nächsten Jahre keine weiteren Aufmärsche im Voraus angemeldet haben, ist davon auszugehen, dass der „Trauermarsch“ in Remagen auch künftig ein fester Termin für die westdeutsche Neonazi-Szene bleiben wird. Insbesondere wenn im Laufe des nächsten Jahres weitere Urteile gegen Angeklagte im ABM-Prozess gesprochen werden, kann damit gerechnet werden, dass die „Rheinwiesenlagerkampagne“ mehr und mehr an Bedeutung in der Neonazi-Szene gewinnt.

Nicht zu unterschätzen dürfte ein weiterer Aspekt sein: In Remagen müssen die Neonazis nicht mit einem ernsthaften Verbot oder einer Blockade rechnen – dies unterscheidet die Situation von der in Städten wie Dresden, Wunsiedel, Halbe, Bad Nenndorf und auch – im Jahr 2009 – in Mainz.

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