Unter Freunden?

Fünf Jahre in Duisburg

2013 wurde das Haus „In den Peschen 3-5“ im Duisburger Stadtteil Rheinhausen-Bergheim zum traurigen Symbol des grassierenden Antiziganismus in Duisburg. Die Ereignisse sind der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die 2008 begann. Die allgemein antiziganistisch aufgeladene Stimmung wird von verschiedenen Seiten mit unterschiedlichem Interesse befeuert. Zu trennen sind die Motive kaum, aber es lassen sich einige Linien aufzeigen.

2013 wurde das Haus „In den Peschen 3-5“ im Duisburger Stadtteil Rheinhausen-Bergheim zum traurigen Symbol des grassierenden Antiziganismus in Duisburg. Die Ereignisse sind der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die 2008 begann. Die allgemein antiziganistisch aufgeladene Stimmung wird von verschiedenen Seiten mit unterschiedlichem Interesse befeuert. Zu trennen sind die Motive kaum, aber es lassen sich einige Linien aufzeigen. Die einen wollen die Stadt „aufwerten“, die anderen „Sicherheit und Ordnung“ – oder das, was sie dafür halten – herstellen, wieder andere versuchen, auf dem Rücken der Roma ihrem eigenen Leben einen Sinn zu geben oder dem eigenen Weltbild zum Durchbruch in die Realität zu verhelfen.

2008 – „Bruckhausen atmet auf“

Im April 2008 ziehen die ersten Roma aus Bulgarien und Rumänien in den Duisburger Stadtteil Bruckhausen. Binnen fünf Monaten vertreibt die Stadt ihre NeubürgerInnen wieder aus dem Viertel. Polizei und Ordnungsamt überziehen die Neuzugezogenen mit Kontrollen und Bußgeldern. Die Entwicklungsgesellschaft Duisburg (EG DU), eine städtische GmbH mit der Aufgabe der „Verbesserung der Wirtschafts-, Sozial- und Wohnstrukturen“ in besonders problematischen Duisburger Stadtteilen, „klärt“ Vermieter über ihre neuen MieterInnen „auf“. Die WAZ begleitet die Maßnahmen mit einer ausgiebigen Berichterstattung über menschliche Exkremente in öffentlichen Grünanlagen und jubelt im August: „Bruckhausen atmet auf“. Dieser Rolle ist sie seither treu geblieben. Die Roma weichen in andere Stadtteile aus.

Repression

Polizei und Ordnungsamt bleiben ihren Ansätzen aus 2008 ebenfalls über die Jahre treu. Sie schüren die Ängste der Bevölkerung über die Presse und nutzen jede Gelegenheit, die Roma nach dem Bruckhausener Vorbild zu schikanieren. An den Absichten der Polizei lässt der Duisburger Polizeisprecher Ramon van der Maart keine Zweifel. „Die müssen weg“, sagt er im August 2013 gegenüber der taz.

2011 – „Notruf aus Hochfeld“

Im Sommer 2011 rückt Hochfeld in den Fokus, nachdem ein Verein von HauseigentümerInnen einen mit „Notruf aus Hochfeld“ überschriebenen offenen Brief an den zuständigen Dezernenten der Stadt, Karl Janssen, verschickt hatte. Was sich 2008 nur im Verhalten der EG DU angedeutet hatte, wird jetzt offensichtlich: die enge Verbindung zwischen Gentrifizierungsinteressen und dem Anheizen der Stimmung gegen die Roma.

Gentrifizierung über alles

Hinter dem „Notruf“ steht der Verein Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Zukunftsstadtteil e.V.. Erster Vorsitzender ist zu diesem Zeitpunkt der Soziologe Dr. Michael Willhardt, der in Hochfeld eine Kommunikationsagentur mit dem Schwerpunkt „Öffentlichkeitsarbeit“ betreibt. In den Medien beteiligt er sich als Sozialwissenschaftler und besorgter Bürger gern an der Debatte. Zweite Vorsitzende ist die Architektin Eva-Christine Albrecht. Sie und ihr Mann Jochen Rex-Albrecht sind zudem Mitglieder des zweiten Hochfelder Pro-Gentrifizierungsvereins, des Klüngelklubs. Die beiden ArchitektInnen haben einen ausgefeilten Plan für die Umstrukturierung des gesamten Viertels zu einer wahren Idylle. Aber nicht für alle: „Insbesondere gegen den Zuzug von Bulgaren“ protestiert die „Gruppierung gebildeter Bewohner eines problematischen Stadtteils“ und die „damit einhergehende Verwahrlosung der Zivilgesellschaft“. Schatzmeister der ESG ist der Hochfelder Pfarrer Heiner Augustin. Er wechselt später in eine Gemeinde in Rheinhausen-Bergheim unweit des Hauses „In den Peschen“ und ruft den „Runden Tisch offenes Rheinhausen“ ins Leben, der sich rege an der Diskussion rund um das Haus beteiligt.

Die Interessen der ESG decken sich mit denen der Stadt. „Duisburg 2027“ heißt das Projekt, das vorsieht, unter anderem ein Drittel des ehemaligen Arbeiterviertels Bruckhausen zu Gunsten eines Grüngürtels abzureißen. Mit dieser Agenda verfolgt die Stadt Duisburg das Ziel, ihre klamme Finanzlage durch den Zuzug Besserverdienender aufzubessern. Weniger Privilegierte müssen dafür weichen.

2012 – „Schutz der Grünanlagen und der Tiere sind wohl vorrangig“

2012 beziehen Roma das Haus „In den Peschen“, das seither im Mittelpunkt des Duisburger Konflikts steht. Missstände in und um das Haus nehmen AnwohnerInnen zum Anlass, gegen dessen BewohnerInnen zu hetzen. Das Ehepaar Halle initiiert eine Unterschriftensammlung. 330 AnwohnerInnen fordern die „Umsiedlung“ der Roma und einen „Zuzugsstopp“. Sträucher und nistende Vögel erscheinen ihnen schützenswerter.

2013 – „Menschenmüll“

Die Lage rund um das Haus spitzt sich im Verlauf dieses Jahres immer weiter zu. Aus den Klagen über „wilde Müllkippen“, die allesamt den Roma angelastet werden, wird nun auf Facebook Hetze gegen „Menschenmüll“. Die extrem rechte Partei pro Deutschland nutzt das Haus als Kulisse für Wahlkampfveranstaltungen. Im Sommer überschlagen sich die Ereignisse, nachdem Anfang August ebenfalls auf Facebook öffentlich zum Mord an den BewohnerInnen aufgerufen wurde.

Nachtwache

In der Nacht auf den 16. August nimmt die diffuse Bedrohung zum ersten Mal konkrete Formen an. Eine größere Gruppe Menschen zieht vor das Haus „In den Peschen“. AugenzeugInnen berichten von mitgeführten Knüppeln, Messern und sogar Brandsätzen. Vor dem Haus kommt es zu verbalen Attacken, schließlich lässt die Gruppe jedoch vom Haus und den Menschen ab. Lokale Initiativen organisieren daraufhin gemeinsam mit AntifaschistInnen aus NRW und BewohnerInnen des Hauses eine Nachtwache. Die Zusammenarbeit scheitert jedoch. Nach einer Diskussionsveranstaltung des Vereins Bürger für Bürger, deren Sinn ihrem Organisator Rolf Karling zufolge darin bestand, dass die „Leute mal ordentlich Dampf ablassen können“ sollten, kommt es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Polizei und AnwohnerInnen machen die AntifaschistInnen dafür verantwortlich. „Vermummte Linksautonome“ sollen die TeilnehmerInnen der Veranstaltung mit „Stangen und Reizgas“ angegriffen haben. Der genaue Hergang des Vorfalls ist ungeklärt, fest steht jedoch, dass an der Diskussionsveranstaltung AkteurInnen der extremen Rechten teilnahmen, die jeden Versuch, die rassistische Stimmungsmache vor Ort zu durchbrechen, zu ersticken versuchten. Die Duisburger Polizei nimmt den Vorfall zum Anlass, das Haus „In den Peschen“ zu stürmen. Als „Tatverdächtige“ macht sie offenbar Menschen aus, die sie zwar nicht mit der Tat, aber mit Engagement gegen Rechts in Verbindung bringen kann. Diesbezügliche Durchsuchungsbeschlüsse sind mittlerweile vom Landgericht Duisburg für rechtswidrig erklärt worden. Die Spaltungstaktik geht jedoch auf. OB Sören Link erklärt nach dem Vorfall, „Krawalltouristen“ instrumentalisierten die Lage in Duisburg, vor Ort tätige Vereine distanzieren sich ebenfalls.

„Bürger für Bürger“

So auch der Verein, der besagte Diskussionsveranstaltung ausrichtete. Hauptaktivist dieses Vereins ist Rolf Karling. Er engagiert sich seit längerem rund um das Haus „In den Peschen“. Unter anderem sorgte er für die Entrümpelung der Keller und weitere Brandschutzmaßnahmen. Seit er als TV-Kameramann 1995 Zeuge des Massakers von Srebrenica wurde, versucht er sich selbst zu helfen, indem er anderen hilft. Aufgrund seiner sehr speziellen Vorstellungen hiervon eckt er immer wieder an. Sein Umgang mit den Roma kann mindestens als zweifelhaft beschrieben werden. Wenn er mit ihnen zu tun hat, trägt er immer Kleidung in militärischen Tarnfarben, denn „vor Uniformen“ hätten sie „Respekt“.

„Stimme der Migranten“

Als Stimme der Migranten versteht sich Vasilka Bettzieche, selbst bulgarische Roma, die seit langem in Deutschland lebt. Mit ihrem Verein will sie die „Integration in Deutschland nach vorne bringen“. Roma nutzten ihre linke Hirnhälfte, zuständig für logisches Denken, so gut wie nicht, erklärte sie unlängst. Zucht und Ordnung sind ihr oberstes Ziel, das Haus soll kein „Schandfleck“ mehr sein. Den BewohnerInnen „bringt sie das Putzen bei“ und möchte sie mit „Gottes Wort auf den rechten Weg bringen“. Nachdem der Vermieter ihr bereits einmal Hausverbot erteilt hatte, nutzt ihr Verein nun die angeblich „letzte Chance“ für das Projekt „Problemhaus“, wie es auf der Website des Vereins genannt wird.

„Zukunftsorientierte Förderung e.V.“ (ZOF)

ZOF erhält als einziger der drei Vereine von der Stadt Fördergelder – begründet dadurch, dass er der einzige ist, der qualifiziertes Personal vorweisen können. Sowohl Bettzieche als auch Karling liegen mit ZOF im Clinch. Dabei geht es insbesondere um ein Haus in der Beguinenstraße in Bergheim, in dem vor allem Bildungsangebote organisiert werden sollen, die sich nicht nur, aber in erster Linie an die Roma richten. ZOF verärgerte vor allem dadurch, dass sie hier Schlösser austauschen ließen. Der Verein zahlt für das Haus Miete an Branko Baresic, dem auch „In den Peschen 3-5“ gehört. Dieser beschreibt seinen Beruf als „Vermieter hotelähnlicher Immobilien im Rotlichtmilieu“ und hat die Räume Karling nach eigenem Bekunden mietfrei zur Verfügung gestellt. Das Geld, das er von ZOF erhält, spendet er angeblich an Karling.

„Pro NRW“

2013 hielten Parteien der extremen Rechten mehrere Kundgebungen vor dem Haus „In den Peschen“ ab. Die Zahl ihrer GegnerInnen lag zwar jedes Mal weit über der der TeilnehmerInnen, doch es zeichnen sich Veränderungen ab. Am 5. Oktober erhielt pro NRW zum ersten Mal offenen Zuspruch von AnwohnerInnen, die zuvor noch ungeachtet der inhaltlichen Überschneidungen Distanz gehalten hatten. Die Partei hat zwischenzeitlich angekündigt, bei den Kommunalwahlen im Mai 2014 in Duisburg flächendeckend anzutreten, mit Mario Malonn, kürzlich zurückgetretenes Parteivorstandsmitglied von pro Deutschland, wurde pünktlich zum 5. Oktober ein „erfahrener Wahlkämpfer“ aus Berlin eingeflogen, der kürzlich auch als pro NRW-Spitzenkandidat in Duisburg aufgestellt wurde.

NPD

Auch die – deutlich weniger präsente und personell schwächere – NPD profitiert von der Stimmung in der Stadt. Ihren Bundestagswahlkampf hatte sie unter anderem mit dem Slogan „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ bestritten. Ein Slogan, der offenbar ankam, die NPD erreichte im Duisburger Stadtgebiet 4,2 Prozent der Erst- und 2,8 Prozent der Zweitstimmen. Im Wahlkreis Duisburg II, zu dem auch Hochfeld gehört, waren es sogar 4,5 bzw. 3,4 Prozent.

Attacken, Brandanschläge und Radikalisierung

Während der befürchtete Brandanschlag auf das Haus „In den Peschen“ bislang ausblieb, brannte es in anderen Gebäuden in Duisburg. In der Nacht auf den 9. Oktober brannte ein hauptsächlich von Roma bewohntes Haus in Hochheide, 17 Menschen wurden verletzt. Die Polizei bestätigt zwar, dass es sich um Brandstiftung handelt, einen „fremdenfeindlichen Hintergrund“ erkennt sie aber nicht. Wie es zu dem Brand kam, ist bislang ungeklärt. Am 25. Oktober wurde ein Wohnheim für Geflüchtete in Wanheim zum Ziel einer Attacke. Am 14. November brannte ein leerstehendes Haus in Walsum, das als Unterkunft für Geflüchtete aus Syrien vorgesehen war. Auch die Stimmung im Stadtteil Neumühl radikalisiert sich zunehmend. Hier soll eine weitere Unterkunft für Geflüchtete entstehen, gegen die nicht nur pro NRW erfolgreich Stimmung macht.