Explosive Mischung

Die Fanszene von Alemannia Aachen dominieren Neonazis und rechte Hools

Auch nach dem Verbot der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) reißt die rechte Gewalt in Aachen nicht ab. Am 6. Januar warf eine Gruppe Rechter Flaschen, Steine, massive Straßenpoller und Baustellengegenstände in den Eingangsbereich des Autonomen Zentrums (AZ). Bereits im November war in der Innenstadt eine linke Demonstration attackiert worden. Bei den TäterInnen handelte es sich in beiden Fällen nicht ausschließlich um Neonazi-AktivistInnen, sondern ebenso um Hooligans von Alemannia Aachen. In Aachen hat sich eine gewalttätige „Mischszene“ etabliert.

Auch nach dem Verbot der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) reißt die rechte Gewalt in Aachen nicht ab. Am 6. Januar warf eine Gruppe Rechter Flaschen, Steine, massive Straßenpoller und Baustellengegenstände in den Eingangsbereich des Autonomen Zentrums (AZ). Bereits im November war in der Innenstadt eine linke Demonstration attackiert worden. Bei den TäterInnen handelte es sich in beiden Fällen nicht ausschließlich um Neonazi-AktivistInnen, sondern ebenso um Hooligans von Alemannia Aachen. In Aachen hat sich eine gewalttätige „Mischszene“ etabliert.

Vor allem die Übergriffe auf Mitglieder der antirassistischen Aachen Ultras (ACU) waren wiederholt Thema in den Medien. Eine Allianz aus den sich teil­weise in der Mitgliedschaft über­schnei­denden Karlsbande Ultras (KBU), den Hooligan-Gruppen Westwall und Sup­porters Aachen sowie beken­nen­den Neonazis prügelten die ACU regelrecht aus dem Stadion. Vereinsverantwortliche, Fanprojekt, Lokal­politik und andere Fanclubs baga­tel­lisierten viel zu lange diese Angriffe, schauten zu und blieben tatenlos. Als Konsequenz verkündeten die ACU im Januar 2013 ihren Rückzug aus dem Stadion. (vgl. LOTTA #51, S. 27-29) Beruhigt hat sich die Situation durch den Rückzug nicht. Nicht nur, dass Mit­glieder der ACU weiterhin im privaten Bereich Übergriffen ausgesetzt sind, insgesamt agiert die rechte Szene inner- wie außerhalb des Stadions selbst­bewusst und gewalttätig.

Neue Orientierungen nach dem KAL-Verbot

Mit der KAL existierte bis zu ihrem Verbot im August 2012 eine personen­starke mili­tante Neonazi-Organisation. Als Ersatz­organisationen bildeten sich im Februar 2013 in Aachen und Heins­berg Kreis­verbände der Partei Die Rechte, denen die ehemaligen KAL-Aktivisten André Plum (Aachen) und Gerwin Jahny (Heins­berg) vorstehen. Ein Teil der ehemaligen KAL-Mitgliedschaft sah je­doch offenbar keine Perspektive in der Gründung eines Parteiprojekts und wandte sich stärker der lokalen Fuß­ball-Fanszene zu. Dabei konnte er auf be­stehende Kontakte aufbauen. Schon vor dem KAL-Verbot waren Neonazis Teil von Fan- bzw. Hooligan-Gruppen im Umfeld des Viertligisten. Sie nutzen den Fußball als Betätigungs- und Rekru­tierungsfeld. Nach dem Verbot war eine Verlagerung der Aktivitäten in einen bekannten Bereich, in dem eine neo­nazistische Gesinnung zumindest still­schweigend toleriert, wenn nicht gar geteilt wird, naheliegend. Viele Per­sonen aus dieser „Mischszene“ sind gemeinsam aufgewachsen. Außerhalb des Stadions traf man sich auch bei Konzerten. Besonders bei den von dem NPDler Sascha Wagner und Westwall Aachen organisierten Auftritten der Rechts­rock-Band Kategorie C feierten Neonazis, Hooligans und rechtsoffene Fußballfans einträchtig miteinander. Man kennt sich, man hat gemeinsame Interessen. Letztere umfassen nicht nur die Alemannia, sondern auch die Ab­leh­nung als links verstandener Fan­gruppen und deren politischer Po­sitio­nen. Es entstand so ein schlagkräftiges „Bünd­nis“, das ein martialisches Auf­treten möglich machte und zu vermehrten Übergriffen innerhalb der Fanszene führte.

Dieses „Bündnis“ war auch für die Attacken auf eine linke Demo am 2. No­vem­­ber 2013 in Aachen verant­wortlich. In der Nähe des Auftaktortes pro­vo­zierten vor allem bayrische Neonazis mit einem Solidaritäts-Transparent für die Goldene Morgenröte. Handgreiflichkeiten folgten. Die aus­wärtigen Neonazis waren mit dem ehemaligen Aachener Daniel Thön­nissen angereist, besuchten vor dem Angriff ein Heimspiel der Alemannia und feierten abends den Geburtstag des Die Rechte-Kreisvorsitzenden Plum. Wenige hundert Meter entfernt wurde die Demo abermals angegriffen, diesmal von Aachener Hooligans, die sich in einer Szenekneipe aufhielten. Unter den AngreiferInnen befand sich auch der Gol­dene Morgenröte-Sympathisant Dimitrios Tekidis aus Aachen, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied von Westfront Aachen war.

Westfront: zwischen Hooligan-Gang...

Mitglieder der Westfront waren auch maßgeblich am Angriff auf das AZ Aachen im Januar beteiligt. Die Gruppe ent­stand im September 2012 als Zusam­menschluss der Hoolgruppen Westwall Aachen und Frontline Mönchengladbach. In den vergangenen Jahren versuchten Aachener Hooligans und fußballaffine Neonazis, ein gemeinsames Label zu finden. 2012 posierten erstmals Ver­treter dieses gemeinsamen Inte­res­sen­spektrums in T-Shirts mit dem Aufdruck „Bambule Aachen“. Wenig später wurde dieses Label durch Westfront Aachen abgelöst. Die Gruppe wuchs rasant an und umfasst mittlerweile weit über 50 Personen. Mindestens zehn davon sind einschlägig bekannte Neonazis. Jens Bähr zum Beispiel hat im Aachener Stadion einen Großteil seiner Jugend verbracht und fiel spätestens 2008 durch Besuche von Naziaufmärschen auf. Er galt als Teil der KAL und von West­wall. Noch 2011 lief er beim Stol­berger Aufmarsch mit. Auch Personen wie beispielsweise Patrick Hoschatt, Kevin Beeck oder Marcel Bauwens sind ehemalige KAL-Aktivisten und Fußball­fans, die nun bei Westfront aktiv sind. Mit Thomas Hamblock befindet sich auch ein ehemaliges Mitglied der Ka­me­rad­schaft Alsdorf-Eupen in ihren Reihen. Bei einigen anderen Westfront-Mitgliedern liegt die Neonazi-Vergan­genheit länger zurück, manche haben keinen offensichtlichen Bezug zur Sze­ne, sondern entstammen dem Aachener Hooligan-Milieu oder der Karlsbande. Das Tragen einschlägiger Szenemarken wie Thor Steinar oder Ansgar Aryan ist aber bei vielen üblich.

Im Gegensatz zu diesen Neonazi-Ver­bin­dungen steht die Selbstdar­stellung, in der behauptet wird, dass Politik ebenso wenig eine Rolle spiele „wie die Art des Fortbewegungsmittels, die Hautfarbe oder das Alter.“ Man sei nur eine „Grup­pe von Männern verschiedenster Natio­na­litäten, die (...) gemeinsam ver­schie­de­nen sportlichen Aktivitäten nach­gehen.“ Westfront inszeniert sich als unpolitischer, gleichwohl militanter Män­nerbund. Neben martialisch an­mutenden Fotos eines großen Mobs mit Sturmhauben vermummter und in ein­heitlichen T-Shirts gekleideter Personen wurden im Internet Bilder von Aus­flügen und Feiern veröffentlicht. Diese Aktivitäten sollen nicht nur den Grup­pen­­zusammenhalt stärken, sondern sind auch eine nach außen gerichtete Macht­demonstration.

Die Akzeptanz in Aachener Fankreisen scheint relativ hoch zu sein, so nahmen bei einem von der Karlsbande orga­ni­sier­tem Fußballturnier im März 2014 neben der Westfront Aachen auch nahezu sämt­li­che Aachener Fangruppen teil, obwohl die Interessengemeinschaft der Alemannia-Fans (IG) von einer Teilnahme abriet. Zwar könne der Gruppe „kein Gewalt- oder sonstwie strafbarer Hintergrund“ unterstellt werden, aber dennoch sei das „Auftreten der Westfront (…) nicht mit dem Selbstverständnis der IG vereinbar“.

…und Rockerclub

Im September 2013 feierte Westfront ihr einjähriges Bestehen in der Kohl­scheider Kneipe Lämmi’s, die dem ehe­maligen Alemannia-Profi Stephan Läm­mermann gehört. Zeitgleich wurden „Jugend“-Untergruppen und die Legion Westfront gegründet, welche sich als Anwärter-Gruppe, wie sie bei Rocker­clubs üblich sind, verstehen lässt. Das Auftreten und die Inszenierung von Westfront erinnern stark an eine Rocker­bande. Auch Kontakte und Über­schneidungen zu Rockern sind belegt. So war Sozialen Netzwerken zu ent­nehmen, dass die Westfront im Dürener Fitnessstudio Fit4all bei dem Kampf­sporttrainer Bernd T. trainiert. Bernd T., der beim Training seine großflächige Hells Angels-Tätowierung präsentierte, trat auch selbst in Westfront-Klamotten auf. Gleichzeitig verfügt er über Kontakte zu den Bandidos.

Im Sommer 2013 kam es unweit der Räumlichkeiten der Karlsbande nahe der Aachener Innenstadt zu einer Schieße­rei. Hierbei wurde laut Lokalpresse aus einem vorbeifahrenden Auto auf eine Gruppe von 15 Personen geschossen, zwei von ihnen wurden leicht verletzt. Bei den Schützen soll es sich um Hells Angels und bei den Angeschossenen um Bandidos- und Westfront-Mitglieder gehandelt haben. Im Oktober 2013 tauchte im Kontext von regionalen Machtdemonstrationen zwischen Hells Angels und Bandidos eine rund 40 Mann starke Truppe der Westfront in der Bonner Innenstadt auf. Zeitgleich wurde ein Westfront-Chapter in Bonn ge­grün­det, das vor allem aus Personen mit Mi­gra­tionsbiografie besteht. Das Mön­chen­gladbacher Chapter wird seit Ende 2013 nicht mehr als Teil der Westfront auf­geführt. Ob dies im Zusammenhang mit Drogenrazzien steht, bei denen Groß­mengen Rauschgift sichergestellt wur­den, ist unklar. In internen Gesprächen wird das Chapter weiterhin als Teil des „großen Ganzen“ gesehen. Ähnlich ver­lief es mit Dimitrios Tekidis in Aachen. Dieser wurde nach den Angriffen auf die Demonstration im November offiziell aus der Gruppe ausgeschlossen, war jedoch bei folgenden nicht-öffentlichen Aktivitäten wieder mit dabei. Ver­mut­lich sollten diese Ausschlüsse dazu dienen, sich polizeilichen Repres­salien zu entziehen. Intern hingegen scheint es keine personellen Änderungen zu geben. Weitere Tätigkeitsbereiche von Westfront lassen sich momentan nur erahnen. Zahlreiche Mitglieder sind allerdings in Köln, Aachen und der Region als Türsteher für Diskotheken tätig.

Die Westfront ist also weniger eine Hooli­gan­truppe im üblichen Sinne, die aus­schließlich an Schlägereien mit anderen Hools interessiert ist. Im Stadion tritt die Gruppe als solche nicht auf, zumal ohnehin viele Mitglieder Stadionverbot haben. Klar erkennbar ist eine Orientierung auf das „Business“ der Halb- und Unterwelt, in der man ein Machtfaktor werden will, um mit­zuverdienen. Trotz Verbindungen zu den Bandidos handelt es sich bei der West­front aber nicht um einen Sup­por­ter­club der Rocker, sondern um eine eigenständige Truppe, der augen­scheinlich eine Co-Existenz ermöglicht wird.

Explosive Mischung

Westfront ist nicht einfach eine weitere Neonazi-Kameradschaft, dafür ist ihre Mitgliedschaft zu heterogen und sind politische Inhalte nachrangig. Gleich­wohl sammeln sich in der Gruppe Neo­nazis aus Aachen und Umland in er­heb­li­chem Umfang. Sie finden hier das, was ihnen durch das Verbot der KAL ge­nom­men wurde: eine militant auftretende Schlägertruppe, deren Grup­pen­in­sig­nien nicht nur iden­ti­tätsstiftend sind, sondern ebenso respekteinflößend. Sie finden sich mit Männern zusammen, die ihnen schon über den Fußball bekannt sind. Ihre Neonazi-Gesinnung stört hier nicht. Mit einer Organisierung jenseits der politischen Szene könnte die Hoffnung verbunden sein, dem Ermittlungs­in­te­resse des Staatsschutzes zu entgehen. Die Westfront bietet zudem Möglich­keiten, in kriminellen Halbwelt­ge-schäften mitzuwirken.

Auch wenn viele Aussagen zu dieser Gruppe noch vage bleiben müssen, klar ist, dass eine explosive und im höchsten Grad gewalttätige Mischung entstanden ist. Dass sich diese schlagkräftige Trup­pe gegen Linke und andere „Feinde“ wendet, ist keine bloß potenzielle Gefahr, wie die Beispiele der ver­gan­genen Monate zeigen. Es ist ebenso kein Zufall, dass ein solcher Zusam­men­schluss von Neonazis und rechten Hools ausgerechnet in Aachen entstanden ist, wo in der Alemannia-Fanszene eine rechte Dominanz besteht.