Gegeneinander für Aufklärung?

Erste Zeug_innen-Vernehmungen im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss

Geradezu eindringlich appellierten Petra Pau (Die Linke), Clemens Binninger (CDU) und Eva Högl (SPD) an die Mitglieder des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses, keine parteipolitischen Konflikte über den Untersuchungsgegenstand auszutragen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) des Bundestages habe nur deshalb so effektiv arbeiten können, weil man gemeinsam vorgegangen sei und Auftrag und Beweisbeschlüsse im Konsens gefasst habe. So deutlich die drei es bei ihrer Sachverständigen-Anhörung im hessischen Landtag auch formulierten – genutzt hat es nichts.

In NRW dümpelt der Untersuchungsausschuss aufgrund fehlender „Geheimschutzstelle“ vor sich hin, in Thüringen und Sachsen hat sich im April der jeweils zweite PUA zum Thema konstituiert, in Baden-Württemberg haben bereits knapp 20 öffentliche Sitzungen stattgefunden und sogar in Hamburg zeichnet sich die Einsetzung eines PUA ab. Die Einsetzung und die Arbeit im Ausschuss verlaufen natürlich nirgends konfliktfrei. Das wäre auch eher ein Hinweis darauf, dass der Ausschuss seine Arbeit nicht ordentlich macht. In Hessen jedoch bleibt eigentlich nichts als Kopfschütteln angesichts des „Aufklärungswillens“ der schwarz-grünen Koalition.

Die Atmosphäre während der Ausschuss-Sitzungen in Wiesbaden ist angespannt, die Wortmeldungen voller Seitenhiebe auf das „gegnerische Lager“. Würde der nächste hessische Landtag nicht erst 2018 gewählt, könnte man sich glatt in der heißen Wahlkampfphase wähnen. Von der von Petra Pau, Clemens Binninger und Eva Högl beschworenen Kooperation keine Spur. Dabei ging es nicht mal um inhaltlich Brisantes an diesem 15. Juni. Ermittler und ein Staatsanwalt waren geladen, doch sie durften nur bis zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel befragt werden. So sah es der Beweisbeschluss vor. Und das sorgte für Zoff zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Die Sitzung musste zur Klärung sogar nichtöffentlich weitergeführt werden, die restriktive Auslegung wurde durchgesetzt.

Aufklärungswille à la Schwarz-Grün

Kurzzeitig schien sich an der Haltung der Regierungsfraktionen etwas zu ändern: Nachdem die Welt am Sonntag im Februar Zitate aus abgehörten Telefonaten von Andreas Temme veröffentlicht hatte (siehe # 58) – unter anderem mit der Aussage des Geheimschutzbeauftragten Gerald-Hasso Hess „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so was passiert, bitte nicht vorbeifahren“ – bekundeten die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition in einer gemeinsamen Pressemitteilung, „eine vollständige und zügige Aufklärung dieser unfassbaren Verbrechen“ erreichen zu wollen. Sie gestanden sogar ein, dass es gut sei, „diesen neu aufgetauchten Passagen auch mit den Mitteln eines Untersuchungsausschusses nachgehen zu können“. Bei der Beschlussfassung zur Einsetzung hatten CDU und Grüne sich enthalten. Ein PUA sei nicht das geeignete Mittel der Aufklärung, hieß es von grüner Seite, die Aufarbeitung sei „durch den Bundestag bereits erfolgt“, wusste CDU-Innenminister Peter Beuth damals.

Scherzhaft – ironisch – auflockernd

In der öffentlichen Aufregung um die Spekulationen, der VS habe möglicherweise bereits vor dem Mord von entsprechenden Plänen gewusst, beschloss der PUA dann schnell, die Beweisaufnahme mit eben diesem Telefongespräch zu beginnen. Nach sieben Expert_innen-Anhörungen fand am 11. Mai die erste Zeug_innenvernehmung statt. Geladen waren die Polizeibeamtin, die das aufgezeichnete Gespräch schriftlich zusammenfasste, der damalige Geheimschutzbeauftragte und Gesprächspartner Temmes, Gerald-Hasso Hess, sowie Temme selbst. Zu ihren Aufgaben – so die Polizeibeamtin – habe es lediglich gehört, ihr relevant erscheinende Stellen aus den Telefonaten zu verschriftlichen. Den für Aufruhr sorgenden Satz habe sie nicht notiert, da sie ihn als scherzhaften Gesprächseinstieg bewertet habe. Auch Hess bezeichnete die Stelle später als ironische Einleitung. Hess wie auch Temme blieben dabei, im Vorfeld nichts von Mordplänen gewusst zu haben. Sonderlich auskunftsfreudig zeigte sich Hess ohnehin nicht, er wich aus, konnte sich nicht erinnern, antwortete kurz angebunden.

Wirkliche Klarheit haben die Vernehmungen nicht gebracht. Der Tonfall des Telefongesprächs war jedoch mindestens unpassend. Erstaunlich ist auch, dass es bei dem Gespräch nie um die Tat ging oder darum, ob Temme am Tatort war. Sein „Bauchgefühl“ habe ihm gesagt, dass Temme nichts mit dem Mord zu tun gehabt habe, so die Begründung Hess’. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Temme vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen muss, wenigstens darin scheinen die Fraktionen sich einig.

Die abgehörten Telefonate waren im Juni auch Thema im Münchner NSU-Prozess. Zur Vernehmung Hess’ am 24. Juni resümierte der Blog Nebenklage NSU-Prozess, es sei erneut deutlich geworden, „dass das Landesamt seinerzeit die Ermittlungsarbeit der Polizei hintertrieb und dass die ‘Mauer des Schweigens’ bis heute aufrecht erhalten wird.“ In der folgenden Woche musste dann erstmalig Temmes Ehefrau Eva Schmidt-Temme in München erscheinen. Im Mittelpunkt ihrer Befragung stand ein Telefonat zwischen ihr und ihrer Schwester, in dem sie erzählte, was sie ihrem Ehemann an den Kopf geworfen habe, nachdem dieser ihr von dem Mordverdacht berichtet hatte: „Du hast unsere Zeit verdaddelt, in so einem Internetcafé in der Holländischen Straße bei so’ nem Dreckstürken“. Diese Aussage war ihr im Gericht sichtlich unangenehm, erschrocken habe sie sich sogar, als sie sie gehört habe.

Danach musste auch ihr Ehemann – zum nunmehr 6. Mal – aussagen. Er wirkte gut vorbereitet. Glaubwürdiger wurde er dadurch allerdings nicht. „Dieser Mann, Herr Temme, lügt. Wir wissen alle, dass er lügt. Wieso wollen wir die Wahrheit nicht sehen?“, so bezog Ismail Yozgat, der Vater von Halit Yozgat, nach der Befragung zu den Aussagen Temmes Stellung.

Verfahrensfragen

Zurück zum hessischen Untersuchungsausschuss: Auch wenn die Beweisbeschlüsse, die leider nicht öffentlich zugänglich sind, tatsächlich bisher einstimmig gefällt wurden, ist man sich in ihrer Umsetzung mehr als uneins. Dies zeigte sich erneut in der Vernehmung am 6. Juli. Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst aus München berichtete von einer Dienstbesprechung im November 2006, in der aufgrund einer „Operativen Fallanalyse“ die Hypothese eines „rechtsextremen“ Motivs diskutiert worden war. Hierzu durfte er jedoch nicht befragt werden, da der Beweisbeschluss eben nur die Zeit bis April 2006 umfasst. Am 20. Juli folgen nun Peter Stark, Abteilungsdirektor a.D. beim Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, und Generalbundesanwalt Herbert Diemer. Anschließend ist Sommerpause.

Die Enthaltung bei der Einsetzung des PUA sei „nie Ausdruck von mangelnden Aufklärungswillen“ gewesen, heißt es in der schwarz-grünen Pressemitteilung. „Leider ist hier bei einigen ein falscher Eindruck entstanden.“ Doch eben dieser Eindruck bestätigt sich bislang mit Blick auf das Agieren im Ausschuss.

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