Kölonialer Karneval

Warum es keine neutralen Traditionen gibt

In den Namensgebungen einiger Kölner Karnevalsgesellschaften sowie der rassistischen Verkleidungspraxis lebt koloniales Begehren fort. Sie sind Ausdruck der gewaltvollen Ignoranz gegenüber den Stimmen von People of Color in Deutschland.

In den Namensgebungen einiger Kölner Karnevalsgesellschaften sowie der rassistischen Verkleidungspraxis lebt koloniales Begehren fort. Sie sind Ausdruck der gewaltvollen Ignoranz gegenüber den Stimmen von People of Color in Deutschland.

Hinweis zum Inhalt: Die Beispiele in diesem Text können bei Leser_innen, die sich als People of Color und/oder als Schwarze Menschen positionieren, Verletzungen hervorrufen. Um eine Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen, möchte ich hier die Praxis kultureller Aneignung im Kölner Karneval anhand von Beispielen illustrieren. Weil die rassistische Verkleidungspraxis im Kölner Karneval meinem Empfinden nach jedoch über das hinaus geht, was uns als Alltagsrassismus - meist zwar nicht überrascht, aber trotzdem kalt erwischt - muss ich und müsst ihr davon ausgehen, dass der Text Verletzungspotenzial hat.

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1884 nahm Otto von Bismarck die Kolonien Deutsch-Südwest-Afrika, Kamerun und Togo in deutschen Besitz. Inspiriert von diesen kulturell-politischen Entwicklungen wurde für den Rosenmontagszug des Kölner Karnevals im Folgejahr 1885 das Motto "Held Carneval als Colonisator" gewählt. Hier fuhren "Moderne Culturträger", die in Holzhütten unter Palmen gesetzt wurden, "Australn..." (der Name stammt von einer Menschenschau 1885 in Berlin, bei der eine Gruppe Aborigines zur Schau gestellt wurde) und "Aechte Menschenfresser" auf Wägen durch die Stadt. Dem Motto entsprechend, malten die Kölner Karnevalist_innen in diesem Jahr ihre Haut mit schwarzer Farbe an, trugen Baströckchen, goldene Ohrringe und hielten Knochen in der Hand.

Im Sommer 2015 richtete das AntiDiskriminierungsBüro (ADB Köln) von Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. ein Schreiben an die Kölner Karnevalsgesellschaft "Mühlheimer N... vun 1961". Hierin forderte das ADB Köln im Namen einer Schwarzen Mülheimer Beschwerdeführerin die Karnevalsgesellschaft dazu auf, das N-Wort als herabsetzende Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen aus ihrem Vereinsnamen zu entfernen. Infolgedessen gab sich die Gesellschaft im September 2015 einen neuen Namen: "Karnevalsgesellschaft Müllemer Klütte". "Klütte" ist ein in Köln gebräuchliches Wort, das übersetzt "Brikett" bedeutet und eine umgangssprachliche, ebenfalls herabsetzende Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen ist. Die Vereinsgeschichte, so der Vorsitzende der Mülheimer Karnevalsgesellschaft im Kölner Stadt-Anzeiger, sei eng verbunden mit einer Vereinstracht im Stil des Karnevalsmottos von 1885. Entsprechend "zerknirscht" sei die Gesellschaft über die Namensänderung, nachdem die Verkleidungstradition bereits aufgrund von Protesten aufgegeben werden musste.

Rassistische Traditionen

Andere Kölner Karnevalsgesellschaften mit ähnlich rassistischer Vereinstradition halten jenen Protesten jedoch bis heute stand. So finden sich unter den "Poller Böschräubern vun 1976", den "Höhenberger Dschungeln... 1967", der "Karnevalsgesellschaft Frechener N..köpp vun 1978" oder den "Original N...köpp vun 1929" nach wie vor bereitwillige Mitglieder, die entsprechend ihrer rassistischen Vereinsgeschichte stolz und in voller Montur über den Karnevalszug schreiten. Gleiches gilt für die "Ihrefelder Zi... vun 1965", die gern musizieren und ebenfalls nichts Verletzendes an ihrem Vereinsnamen finden. Die Frauen tragen Tücher im Haar, lange Röcke und große Ohrringe. Die Karnevalsfreunde Ihrefelder Chinese 1971 malen sich gelb an und versuchen über Verkleidung und Schminktechnik ihrer Phantasie von "den Chinesen" möglichst nahe zu kommen. Und die "1. Kölner Mongolenhorde vun 1984" versucht laut Vereinshomepage seit 1997 "noch mongolischer" zu werden. Die Kostüme jener Vereine stehen dem Rosenmontagszug von 1885 in nichts nach. Mit Hingabe entwerfen die Vereinsmitglieder Kostüme von "exotischen Fremden", die sie im Kölner Karneval stolz zur Schau tragen.

Der Kölner Karneval ist seit 2014 immaterielles UNESCO-Kulturerbe. In seiner Begründung stellte die Vergabekommission auf die übergeordnete Bedeutung der Traditionen rund um den Karneval für das Leben im Rheinland ab. Das Prestige des Kölner Karnevals dient den Karnevalsgesellschaften als Schutzmantel, unter dem auch die einseitige journalistische Aufarbeitung der Debatte Unterschlupf findet. "Beim Karneval hört der Spaß auf!", begann hämisch ein Artikel über die Aktion "Losst uns fiere - nit diskriminiere!" vom Verband Binationaler Familien und Partnerschaften NRW e.V. (iaf) zum Rosenmontagszug 2012. "Wenn Karnevalist/innen sich schwarz bemalen, Baströckchen anziehen und Knochen ins Haar stecken beschwören sie unkritisch Bilder der Kolonialzeit herauf", hatte der Verband damals in Bezug auf die Verkleidungen der N...-Vereine konstatiert.

Für die Kölner Medien lässt sich darüber jedoch keine Verbindung zum Rassismus herstellen. Im Gegenteil: dass die Kostüme heute vom Stil her so ähnlich sind wie damals, stärkt das Argument, dass Karneval bloß eine Tradition sei, die weder rassistisch noch kolonial sein möchte, sondern Brauchtümer der Vergangenheit in der Gegenwart aufleben lässt. Diese Begründung wurde auch im Nachgang zur Umbenennung der "Müllemer N..." vorgebracht. Dabei schlugen sich die Journalist_innen auf die Seite der rassistischen  Karnevalsgesellschaften, indem vier weißen Männern aufgrund ihres Status als "Musiker und Brauchtumsexperten" die Bewertung der Namensänderung überlassen wurde. "Heute muss halt alles immer gleich politisch korrekt sein. Die Diffamierungsbeauftragten haben ja heute alle ein Großraumbüro", wird einer der "Experten" im Kölner Stadt-Anzeiger zitiert. Interessenvertretungen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD) kamen in der Kölner Presse nicht zu Wort.

(Post)Kolonialismus, Rassismus und der weiße Blick

Um das Rassistische an den Karnevalstraditionen zu analysieren, ist die postkoloniale Spurensuche notwendig. Die Entstehung des Rassismus ist eng mit dem Kolonialismus und der Idee der europäischen Moderne verwoben. In "Black Skin, White Masks" (1952) zeigt Frantz Fanon, wie über die Kolonialisierten der Mythos europäischer Fortschrittlichkeit geschrieben wurde: die kolonialisierten "Anderen" werden als naturverbunden, emotional und nieder charakterisiert. In direkter Abgrenzung dazu erkennt sich das kolonialisierende "Selbst" als naturbeherrschend, rational und erhaben. Resultierend aus diesem Verhältnis kultivierte die europäische Moderne den weißen Blick, der "das Fremde" erforscht und bewertet. Dabei tritt "das Eigene" als Norm und "das Fremde" als Abweichung in Erscheinung. Die Lust am Betrachten ist so groß, weil sich erst über "das Fremde" die weiße Überlegenheit offenbart.

Maßgeblich für den weißen Blick und charakteristische Merkmale des Kolonialismus sind die Elemente der Rassifizierung und der kulturellen Aneignung. Rassifizierung meint die abwertende Einteilung von PoC in voneinander abgrenzbare Rassen auf Grundlage von phänotypischen Merkmalen wie Hautfarbe, Haarstruktur, Schädelumfang usw.. Die kulturelle Aneignung bezieht sich auf die Erforschung der "Kultur" von PoCs, die ungeachtet ihres inhaltlichen Bezugsrahmens einseitig interpretiert und über Reiseberichte, Körperschauen und ethnographische Abhandlungen vom weißen Europa einverleibt wurde. In Form von Liedern, Märchen und Spielen erhielt das rassistisch-koloniale Wissen Einzug in den Alltag der breiten europäischen Bevölkerung. Bis heute spielt diese Abwertung eine Rolle für die Identität von deutschen PoCs: An der "eigenen Geschichte" und am "eigenen Körper" klebt das rassistisch-koloniale Wissen des weißen Europas.

Postkoloniale Spuren im Kölner Karneval

Tradition und Rassismus sind kein Widerspruch: Sowohl der Kölner Rosenmontagszug von 1885, als auch die rassistischen Kölner Karnevalsvereine der Gegenwart sind Ausdruck des weißen Blickes. In beiden Fällen ist die große die Lust am "Fremden" maßgeblich für die Wahl des Kostüms. Damals wie heute betonen die Karnevalist_innen analog zur Rassentheorie Hautfarben, indem sie ihre eigene Haut schwarz oder gelb anmalen. Sie inszenieren die Lebenswelt von PoC als exotisch und/oder rückständig und reproduzieren damit Mythen weißer Überlegenheit. Darüber hinaus zeigt die gewaltvolle Ignoranz gegenüber den Stimmen von PoCs, dass offen ausgelebte weiße Überlegenheit keineswegs nur als Fauxpas einzelner Karnevalsgesellschaften gelten kann. Die Abwehr einer rassismuskritischen Auseinandersetzung mit Karnevalstradition verdeutlicht die fortwährende gesellschaftliche Verankerung des weißen Blickes. Am Beispiel des Kölner Karnevals können wir ablesen, wie notwendig die postkoloniale Spurensuche für weiße Gesellschaften ist. Denn solange derart offensichtliche Mittel weißer Selbsterhebung wie rassistische Verkleidungen hinter dem Deckmantel der Tradition verschwinden können, solange müssen PoCs weiterhin mit subtileren Formen von strukturellem, institutionellem und Alltagsrassismus rechnen.

Die genannte Beschwerdeführerin hatte genug davon, ihre Karnevalsplanung um die "Müllemer N..." herum zu strukturieren. Sie wollte nicht länger, dass ihre Kinder das N-Wort auf dem Schild des Wagens der Karnevalsgesellschaft lesen müssen. Sie ist in ihrer Freizeit losgezogen, um in Mülheim Unterschriften zu sammeln und Protest zu mobilisieren. Dank ihrer Beharrlichkeit wurde der Rassismus im Karneval öffentlich thematisiert und stellt so hoffentlich einen weiteren Schritt zur rassismuskritischen Reflexion von Kölner Karnevalstraditionen dar.

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Zu den verwendeten Begriffen

People of Color (PoC) ist eine Widerstandsbezeichnung von und für Menschen, die von einer Gesellschaft, in der weiß die Norm ist, als nicht-weiß gelesen werden und infolgedessen von rassistischer Diskriminierung betroffen sind. Das Wort "Color" in der Bezeichnung verweist nicht auf die Hautfarben der Zugehörigen dieser Gruppe, sondern auf die sozialen Folgen, die mit ihrer Rassifizierung einhergeht. Schwarz ist eine Widerstandsbezeichnung von und für Schwarze Menschen. Die Schreibweise mit dem Großbuchstaben am Anfang soll darauf aufmerksam machen, dass es sich bei der Namensgebung um einen Akt der Selbstermächtigung handelt und nicht um eine Beschreibung von Hautfarbe. Im Folgenden wird die Abkürzung PoC als Platzhalter für die Bezeichnungen People of Color und Schwarze Menschen verwendet.  Die Bezeichnung "weiß" dient nicht zur Beschreibung von Hautfarben, sondern zur Markierung einer privilegierten Position. Die kursive Schreibweise markiert die Privilegierung dieser Gruppe und steht gleichzeitig für die Möglichkeit, der eigenen Privilegierung Gewahr zu werden. Da es sich hierbei nicht um eine Bezeichnung politischer Selbstermächtigung handelt, wird der Begriff kleingeschrieben.

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