Desolate Ausgangslage

Die AfD vor der Landtagswahl in NRW

Vor der für die rechtspopulistische Partei wichtigen Landtagswahl in NRW steigt in der AfD die Anspannung: Anhaltender Streit in der Führungsspitze und sinkende Wählerzustimmung könnten den Erfolgshoffnungen in ihrem mitgliederstärksten Landesverband einen empfindlichen Dämpfer versetzen.

Vor der für die rechtspopulistische Partei wichtigen Landtagswahl in NRW steigt in der AfD die Anspannung: Anhaltender Streit in der Führungsspitze und sinkende Wählerzustimmung könnten den Erfolgshoffnungen in ihrem mitgliederstärksten Landesverband einen empfindlichen Dämpfer versetzen.

Die Ausgangslage für die AfD in NRW sieht alles andere als gut aus: Zwar schaffte die AfD Ende März trotz erheblicher Einbußen in den Wahlumfragen mit 6,2 Prozent den Einzug in den saarländischen Landtag. Doch parteiinterne Skandale, misslungene Auflösungsforderungen des Bundesvorstandes gegenüber dem saarländischen Landesverband und irrlichternde Spitzenkandidaten wie der NS-Devotionalienhändler Rudolf Müller dezimierten erheblich die ursprünglich anvisierten Mandatsaussichten. Auch die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein stehen für die AfD unter keinem guten Stern: Bislang erzielte die rechtspopulistische Partei dort vergleichsweise schlechte Wahlergebnisse. Ihr frenetischer Jubel über den Wahlsieg von Donald Trump in den USA bekam der AfD ebenfalls nicht gut, weil dessen Politik sogar Teile der AfD-Sympathisanten verunsichert. Auch das vergleichsweise schwache Wahlergebnis des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders lieferte bei Weitem nicht den Rückenwind, den sich die in der ENF-Fraktion miteinander verbundene radikale Rechte im Europaparlament erhofft hatte.

Nervosität in der AfD NRW

Im Februar machten zwei, die einander nicht ausstehen können, in Essen gute Miene zum bösen Spiel. Die beiden in herzlicher Abneigung verbundenen AfD-Landesssprecher Marcus Pretzell und Martin Renner stehen in der Essener Messe vor dem Saal „Europa“ und geben gemeinsam eine improvisierte Pressekonferenz. Sie müssen Eintracht mimen, denn gerade hat eine sehr knappe Mehrheit der Delegierten Renner zu ihrem Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl im September gewählt. Da kann sich Pretzell dem Auftritt vor den Medien nicht verweigern, ohne für ewig den Ruf des egomanen Spalters wegzuhaben. Und Renner ist klug genug, in der Stunde des Triumphs nicht allzu vorlaut aufzutreten.
Rückblende: Einen Monat vor jenem Tag in Essen hat Pretzell in Oberhausen versucht, Renner als Landessprecher abwählen zu lassen. Ein Wahlkampf mit Renner als Landessprecher sei nicht möglich, hatte Pretzell gesagt. Der Versuch, seinen Kontrahenten aus dem Amt zu kegeln, ging jedoch schief, auch wenn mit gleich 17 Abwahlanträgen ein großes Scherbengericht vorbereitet war, samt Generalabrechnung hinter verschlossenen Türen. Am Ende votierten zwar 54 Prozent gegen Renner — die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit wurde aber deutlich verfehlt.

Wer wissen wollte, wie eine gespaltene Partei aussieht, war an diesem Sonntagnachmittag in der Luise-Albertz-Halle in Oberhausen richtig. Geradezu augenfällig wurde dort die innere Lage der nordrhein-westfälischen AfD. Zur angekündigten Pressekonferenz mit beiden Streithähnen kommt es nicht. In einer Nische des Foyers steht der eine der beiden Landesvorsitzenden im Scheinwerferlicht und beantwortet Journalistenfragen. Zwei Ecken und 30 Meter entfernt steht der andere und schildert seine ganz andere Sicht der Dinge.

Ein Ex-Parteifreund richtete unlängst via Facebook aufmunternde Worte an Renner: Er habe doch schon Ex-Bundes-chef Bernd Lucke und den ehemaligen Landesvorsitzenden Alexander Dilger überlebt, schrieb er und sprach ihm Mut zu: „Jetzt werden Sie auch noch die Ära Marcus Pretzell überleben.“ Renner antwortete: „Ja, das ist mein Bestreben.“ Womit alles gesagt ist über das Nicht-Verhältnis der beiden. Es ist ein Aufeinandertreffen völlig unterschiedlicher und unverträglicher Charaktere. Es ist aber auch weit mehr als der Zusammenprall zweier Platzhirsche, die um die Vorherrschaft im rechtspopulistischen Revier wettröhren.

Was ab und an als Richtungsentscheidung zwischen „gemäßigt“ und „radikal“ fehlinterpretiert wird, ist eine Auseinandersetzung über unterschiedliche Strategien der Radikalisierung. Auf der einen Seite das Konzept von Frauke Petry und Pretzell, die AfD zu einer rechtspopulistischen Partei nach französischem oder österreichischem Vorbild zu formen, mittelfristig mit der Aussicht auf Regierungsbeteiligung. Auf der anderen Seite Leute wie Björn Höcke oder Alexander Gauland mit ihren völkisch-nationalistischen, ans 19. und frühe 20. Jahrhundert erinnernden Tönen und dem Gestus des Fundamentaloppositionellen.

Rechter Klartext

Im Januar erst organisierte Pretzell in Koblenz für seine EU-Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ eine Veranstaltung mit anderen rechtspopulistischen Parteien. In einem Boot mit Marine Le Pens Front National, Geert Wilders Partij voor de Vrijheid, Heinz-Christian Straches FPÖ, der italienischen Lega Nord oder Flanderns Vlaams Belang zu sitzen, schadet nicht mehr. Eher ist es logisch. Pretzells Anhänger bevorzugen rechten Klartext — aber nicht in der ewiggestrigen, nach 20er und 30er Jahren klingenden Version wie bei Höcke, sondern  in einer modernisierten Variante à la FN oder FPÖ. Seiner Partei empfiehlt Pretzell, sie solle den „Weg der Vernunft und des Realismus, den Parteien wie die FPÖ, der FN und die PVV gegangen sind, ebenfalls gehen“. Von den europäischen Partnern könne man eines lernen: „Alle hatten Vertreter in ihren Reihen, die daran glaubten, dass Debatten über die Vergangenheit helfen, die Zukunft zu gestalten. Alle haben diesen Irrweg nicht eingeschlagen und schmerzhafte Trennungen vollzogen, die den Weg zur Volkspartei erst geebnet haben.“

Petry und Pretzell nehmen Höcke nicht nur seine viel zitierten Aussagen zur „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, zur „dämlichen Bewältigungpolitik“ und zum Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ übel, mit denen er das Publikum verschreckt hat. Mindestens genau so sauer stößt ihnen auf, dass Höcke in seiner Dresdner Rede parteiinterne Gegner als „Luckisten“ und „Halbe“ beschimpfte, die „keine innere Haltung besitzen“. Als „Typen“ tituliert zu werden, von denen „nicht wenige sich ganz schnell sehr wohl fühlen bei den Frei-Fressen- und Frei-Saufen-Veranstaltungen der Lobbyisten“, ging vielen zu weit.
Renner sagt zwar inhaltlich kaum etwas anderes als Höcke, klingt aber anders — ohne die „Wochenschau-Intonation“, wie er es selbst sagt. Er beklagt die „Zerstörung Deutschlands, die Zerstörung der nationalen Identität, die Zerstörung des Eigenen“, schimpft auf eine „sozialistische Versiffung unseres Gemeinwesens“ und sieht die Bürger zu „Systemsklaven“ gemacht. Der Umgang mit der deutschen Geschichte? Renner spricht von einer „Schuldkult-Hypermoralisierung“.

Antritt zur Landtagswahl in NRW

Knappe Verhältnisse zwischen den beiden Protagonisten und ihren politischen Konzepten sind die Regel, nicht die Ausnahme. Die Kandidaten auf den vorderen Plätzen für Bundestag und Landtag stammen ganz überwiegend aus Pretzells Lager. Was aber nicht zwingend für Seriosität und Solidität der Gewählten spricht. Mindestens drei Ex-Mitglieder der rechtspopulistischen Schill-Partei finden sich auf der Landesliste, darunter ihr ehemaliger Bundesvorsitzender. Ein Mitarbeiter der extrem rechten ENF-Fraktion steht auf der Liste, einer der Organisatoren der „Alternativen Wissenskongresse“, die regelmäßig verschwörungstheoretisch geneigtes Publikum und AfD-Rechtsaußen anlocken, einer, dem man nicht unrecht tut, wenn man ihn einen Klimaleugner nennt, der „nationale Sozialdemokrat“ Guido Reil und jener Polizeibeamte, den die Delegierten umjubelten, als er in seiner Vorstellungsrede Kanzlerin Angela Merkel als „kriminell und wahnsinnig“ titulierte und über Justizminister Heiko Maas sagte: „Dieser Maas gehört weggesperrt.“ 

Zur Landtagsliste gibt’s auch ein passendes Wahlprogramm. Auf den ersten Blick überraschend, schiebt es nicht die Standardthemen, die die AfD nach dem Bruch mit Lucke in den letzten zwei Jahren wieder groß machten, in den Vordergrund. Die Partei will signalisieren, dass sie mehr zu bieten habe als Parolen gegen Asyl und Islam und für mehr Law and Order. Am umfangreichsten fallen die Kapitel „Bildung“ und „Bauen & Verkehr“ aus. Erst danach folgt „Zuwanderung, Asyl & Integration“.

Dazu gibt’s — ebenfalls passend — seit Mitte März die Plakate: Motive gegen „Energiewendehälse“ („Denen geht kein Licht mehr auf“), ein Verkehrsschild, das vor einer „No-Go-Area“ warnt („Wenn Sie dieses Zeichen sehen, ist es zu spät“), zum „Stauland Nr. 1“ („Im Schneckentempo durch NRW“), das Bild einer älteren Frau, die im Abfalleimer Pfandflaschen sucht („Die Früchte eines arbeitsreichen Lebens“). „Primäres Ziel“ der Plakatkampagne sei „die Erschließung neuer Zielgruppen“, verriet die Partei. Anders ausgedrückt: Das Stammpublikum, das nicht glaubt, dass die Bundesrepublik eine Demokratie ist, das die EU für Teufelswerk hält, für das „Grenzen dicht!“ ein Allheilmittel ist und der Islam im „Abendland“ nichts zu suchen hat, muss gar nicht erst mit Plakaten geködert werden.

Gezielter Tabubruch

Wenn man will, kann man freilich deutlich radikaler. Vor einigen Monaten pries der Nachwuchs der NRW-AfD ein „Koran-Entsorgungspaket“ an. Abgebildet waren ein Benzinkanister, ein Feuerzeug und ein Koran. Aus ihrem Facebook-Auftritt hat die Junge Alternative das Bild inzwischen wieder entfernt. Soviel Derbheit schickt sich nicht, wenn man seriös erscheinen will. Die Fotomontage dürfte freilich zeigen, wie ein gewichtiger Teil der AfD tatsächlich tickt.

Nur zwei Wahlkampfplakate zeigen AfD-Personal. Eines zeigt Pretzell mit dem Hinweis: „Die Antwort auf kraftlose Politik“. Das andere zeigt Guido Reil. „Vertritt die Interessen der kleinen Leute, statt sie zu verraten“, steht über seinem Bild. Der Ex-Sozialdemokrat Reil soll für die AfD im sozialdemokratischen Wählerlager wildern: Ob ihm das gelingt, dürfte weniger von seinem (begrenzten) rhetorischen Talent als vielmehr von den Grad der Hinwendung der SPD zu ihrer ursprünglichen Wahlklientel abhängen.

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M. Bialek