Gep(l)atzt

Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ am Ende?

Nach fünf Jahren und 337 Verhandlungstagen endete der Prozess gegen die Neonazis vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM) vor dem Landgericht Koblenz durch Einstellung. Diese ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Nach fünf Jahren und 337 Verhandlungstagen endete der Prozess gegen die Neonazis vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM) vor dem Landgericht Koblenz durch Einstellung. Diese ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

2004 beim Gedenkmarsch für Rudolf Heß in Wunsiedel trat erstmals eine Gruppierung auf, die sich als Aktionsfront Mittelrhein vorstellte. Aus „Aktionsfront“ wurde schnell „Aktionsbüro“. Ihr wichtigstes Aktionsfeld war fortan die Teilnahme an neonazistischen Aufmärschen und deren organisatorische Unterstützung. Spätestens mit dem Aufmarsch gegen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien im Sommer 2008 in Bonn etablierte sich das ABM in der überregionalen Naziszene als eigenständiger Akteur. Seit 2009 findet jährlich ein aus diesem Kreis organisierter Aufmarsch in Remagen statt. Damit hatten die Neonazis aus dem Hinterland zwischen Bonn und Koblenz einen zentralen Event etabliert, der bis heute fest im Szene-Terminkalender verankert ist.

Schwerpunkt der ABM-Aktivitäten war der Kreis Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz. Flugblätter, Aufkleber und Graffitis des ABM prägten dort das öffentliche Bild, es häuften sich Gewalttaten — vor allem gegen alternative Jugendliche und vermeintliche AntifaschistInnen. Den Höhepunkt fand die lokale Verankerung in der Gründung des Wohnprojekts „Braunes Haus“ in Bad Neuenahr. Hier fanden Partys, Konzerte und überregionale Koordinierungstreffen statt, zudem gingen von hier auch Angriffe auf politische GegnerInnen aus. Für überregionale Kontakte sorgte insbesondere der Düsseldorfer Sven Skoda, im Gegenzug bekam er eine schlagkräftige Hausmacht, die überregional mit Lautsprecherwagen anrückte und sich durch Städte wie Bonn, Wuppertal und Dresden prügelte. Skoda verlegte sogar seine Meldeadresse in das „Braune Haus“. Hier vernetzten sich die „Kameradschaften“, die daran Beteiligten wurden später als Mitglieder oder Unterstützer des ABM angeklagt wurden.

Der Staat wiegelt erst ab — und handelt dann doch

Spätestens seit 2009 machten alternative Jugendliche im Kreis Ahrweiler darauf aufmerksam, dass sich die Situation zuspitzte, da die Neonazis immer aggressiver auftraten. Ernst genommen wurden sie nicht, die Behörden wiegelten ab, redeten klein und stellten Punks in Remagen als das eigentliche Problem dar. Ab 2010 wurde dann doch ermittelt und ein Verfahren eingeleitet. Zwei weitere Jahre aber sollte es noch dauern, bis der Staat sichtbar agierte. Im März 2012 wurde mit einer breiten antifaschistischen Kampagne auf die Situation rund um das „Braune Haus“ aufmerksam gemacht, der zivilgesellschaftliche Druck stieg, auch die Presse berichtete. Wenige Tage vor einer Antifa-Demo gab es plötzlich eine länderübergreifende Razzia, 24 Neonazis wurden festgenommen. Einige von ihnen blieben bis Anfang 2014 in Haft.

Der Prozess startet — und entgleitet

Im August 2012 begann vor dem Landgericht Koblenz der Prozess gegen 26 Neonazis aus dem Kreis Ahrweiler, Koblenz, Bonn, Köln und dem Kreis Siegen-Wittgenstein. Das Gericht unterschätzte die Situation und plante zu Beginn mit nur neun Prozesstagen, aus denen jedoch 337 werden sollten. Die Angeklagten wurden von 52 AnwältInnen verteidigt, darunter viele einschlägige SzeneanwältInnen. Einige Angeklagte wandten sich von der Szene ab, der Rest sorgte bei den zwei bis drei Verhandlungstagen pro Woche für eine ausgelassene Pöbelstimmung im Gerichtssaal. Insgesamt wurden 120 ZeugInnen vorgeladen. Für ZeugInnen und Opfer wurden die Aussagen zu einem mehrtägigen Spießrutenlaufen, in Extremfällen dauerte eine einzige Aussage bis zu zehn Verhandlungstage. Einer der Zeugen wurde während der Aussage von Angeklagten umringt und bespuckt, ohne dass die Richter die Situation in den Griff bekamen. Auf den Toiletten tauchten Hakenkreuze auf, es gab Vorfälle mit Buttersäure. Einige VerteidigerInnen verzögerten den Prozess, insgesamt wurden über 1.000 Verfahrens-, Beweis- und Befangenheitsanträge gestellt.

Durch das absehbare altersbedingte Ausscheiden des Vorsitzenden Richters im Juni 2017 war klar, wann der Prozess spätestens zu Ende sein müsste. Der einzige Ersatzrichter hatte bereits 2014 einen der Richter ersetzen müssen, eine Nachnominierung neuer RichterInnen sieht das Gesetz nicht vor. Der Antrag des Vorsitzenden Richters auf Verschiebung des Eintritts in den Ruhestands wurde auf Landeregierungsebene 2015 und 2016 zweimal abgelehnt. Spätestens 2016 setzten die meisten Angeklagten und VerteidigerInnen offenbar darauf, den Prozess zum Platzen zu bringen. Krankmeldungen und Verspätungen häuften sich, es ging nur noch langsam voran.

Das Ende

Im Mai 2017 gab das Gericht die Prozesseinstellung bekannt. Grund sei, dass mit der „überlangen Prozessdauer“ ein „Verfahrenshindernis“ eingetreten sei. Von den Angeklagten waren zu diesem Zeitpunkt noch 17 übrig. Verfahren gegen vier geständige Angeklagte waren abgetrennt worden, für sie endete der Prozess im November 2013. Bei weiteren fünf wurde das Verfahren eingestellt. Mit der jetzigen Prozesseinstellung geht jedoch kein Freispruch einher. Nur für zwei der Angeklagten hat das Gericht eine Entschädigung vorgesehen, da ein Freispruch zu erwarten gewesen wäre. Die anderen 15 müssen die Kosten für ihre Verteidigung selber zahlen, die Gerichtskosten übernimmt der Staat. Allerdings ist die Entscheidung des Gerichts noch nicht rechtskräftig, da sowohl die Staatsanwaltschaft als auch mehrere Angeklagte Beschwerde eingelegt haben. Die Staatsanwaltschaft begründet dies damit, dass die Angeklagten selber für die lange Prozessdauer verantwortlich seien. Dies sei aber sei kein „Verfahrenshindernis“. Grundsätzlich sei auch mit Urteilen zu rechnen. Zudem könnte ein neuer Prozess wesentlich schneller ablaufen.

Was bleibt?

Sollte einer der Beschwerden stattgegeben werden, startet der Prozess vor einer anderen Kammer des Landgerichts neu. Sollte sie verworfen werden, bleibt das Verfahren eingestellt. In diesem Fall erwartet die 15 übrig gebliebenen Angeklagten nur ein Berg Schulden bei ihren VerteidigerInnen. Aus Perspektive der Opfer des ABM muss ein überaus ernüchterndes Urteil gefällt werden. Zuerst litten viele von ihnen unter der kleingeredeten Nazigewalt. Anschließend fanden sich viele in einem Prozess wieder, der dem Gericht längst entglitten war. Sollte der Prozess neu aufgerollt werden, werden Opfer und ZeugInnen erneut einen Spießrutenlauf hinter sich bringen müssen. Bleibt das Verfahren eingestellt, bleibt auch das Gefühl, dass rechte Gewalt keine rechtlichen Konsequenzen zur Folge hat.

Zudem bekommt die Szene wieder Aufwind. 2017 wurde die Mobilisierung zum Thema Rheinwiesenlager schon sehr früh gestartet. Auch überregional melden sich die Neonazis zurück: Im August soll anlässlich des 30. Todestags von Rudolf Heß in Berlin ein Aufmarsch unter dem Motto „Mord verjährt nicht! Gebt die Akten frei — Recht statt Rache!“ stattfinden. Anmelder ist Christian Häger, einer der Hauptangeklagten, Ex ABM-Kader und heute Chef der NPD Mittelrhein.

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