Der „Laserman“
Rechtsterrorist muss sich für den Mord an einer Frankfurter Jüdin verantworten
25 Jahre nach dem Mord an der Frankfurter Jüdin Blanka Zmigrod wird John Ausonius angeklagt. Bereits im Januar 1994 wurde er in Schweden zu lebenslanger Haft verurteilt, da er auf elf Menschen geschossen und hierbei eine Person getötet hatte. Im „Field Manual“ von „Blood & Honour“ wurden seine Taten als Beispiel für den „führerlosen Widerstand“ geschildert und könnten als Vorbild für den NSU gedient haben. Da er bei seiner Anschlagsserie ein Gewehr mit Laser-Zielvorrichtung nutzte, wurde und wird er in den Medien als „Laserman“ bezeichnet.
Der Fall des „Laserman“ rückte in Deutschland in den letzten Jahren wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. 2012 wurde im Zuge der NSU-Ermittlungen auch der Mordfall an der Frankfurter Jüdin Blanka Zmigrod aus dem Jahr 1992 aufgerollt. Verdächtigt, sie auf offener Straße mit einem Kopfschuss getötet zu haben, wird John Ausonius. Er galt schon 1992 als Verdächtiger, wurde aber nicht nach Deutschland ausgeliefert, da zu dieser Zeit in Schweden wegen einer Anschlags- und Bankraubserie gegen ihn ermittelt wurde. Erst im Dezember 2016 wurde dem erneuten Auslieferungsgesuch nachgekommen, seitdem sitzt Ausonius in Frankfurt in Untersuchungshaft. Im Dezember 2017 wird die Hauptverhandlung beginnen.
Zaugg — Stannerman — Ausonius
John Ausonius wurde 1953 auf der schwedischen Insel Lidingö als Wolfgang Alexander John Zaugg geboren. Sein Vater war aus der Schweiz, seine Mutter aus Deutschland nach Schweden eingewandert. Seine Kindheit verbrachte Ausonius in dem von der Arbeiterklasse geprägten Stockholmer Vorort Vällingby. Aufgrund seiner nicht-schwedischen Herkunft und seines Aussehens wurde er oft verspottet, was ihn als Erwachsenen dazu trieb, sich die Haare zu bleichen und blaue Kontaktlinsen zu tragen. Um zu verschleiern, dass seine Eltern keine Schwed_innen waren, änderte er nach dem Erhalt der schwedischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1980 seinen Namen in John Wolfgang Alexander Stannerman, später änderte er seinen Nachnamen in Ausonius. Anfang der 1980er Jahre fiel er durch Gewaltdelikte auf und wurde 1984 für einen möglicherweise rassistisch motivierten Angriff auf einen Geflüchteten zu 14 Monaten Haft verurteilt, allerdings wegen guter Führung bereits nach etwa sieben Monaten wieder entlassen. Im Gefängnis lernte er den kroatischen Ustascha-Terroristen Miro Barešić kennen. Von diesem erhielt Ausionius detaillierte Informationen über dessen frühere terroristische Aktivitäten. Nach dem Mord an Schwedens Ministerpräsidenten Olof Palme am 28. Februar 1986 galt Ausonius der Polizei als einer der ersten Verdächtigen, allerdings kam er als Täter nicht in Frage, da er zum Zeitpunkt der Tat abermals eine Haftstrafe wegen mehrerer Gewaltverbrechen verbüßte.
Bicycle-Bank-Robber
Nach seiner Haftentlassung 1986 arbeitete Ausonius als Taxifahrer und begann nach einer erfolglosen Firmengründung 1988 mit dem Handel von Aktien und Anleihen. Einige verhängnisvolle Investitionen in Verbindung mit Spielsucht und einem luxuriösen Lebensstandard brauchten sein anfänglich relativ schnell erlangtes Vermögen auf. Um sich weiter finanzieren zu können, beging er Banküberfälle, die ihm den Beinamen „Bicycle Bank Robber“ einbrachten. Im Anzug gekleidet, fuhr er mit dem Rad los und wechselte auf dem Weg zur Bank sein Outfit, indem er Sportlerkleidung anzog. Danach flüchtete er mit dem Rad, zog sich abermals um und verstaute das erbeutete Geld in einem Aktenkoffer. Zunächst wurde die Serie von Banküberfällen nicht mit den Mordanschlägen in Zusammenhang gebracht.
Die rassistische Anschlags-serie des „Laserman“
Anfang der 1990er platzte in Schweden die Immobilienblase, 200.000 Arbeitsplätze in der Industrie brachen weg, zeitgleich verdreifachte sich — bedingt durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien — die Zahl der Geflüchteten, die innerhalb eines Jahres nach Schweden kamen. Es folgte ein massiver Rechtsruck. 1992 wurden 52 Anschläge auf Unterkünfte Geflüchteter verübt. Eine der auflagenstärksten schwedischen Zeitungen schürte die Stimmung und titelte: „Werft sie raus“. In dieser Stimmung empfand Ausonius sein Handeln als legitimiert, wie er 2015 in einem Interview sagte. Durch seine Morde würde er Geflüchtete „abschrecken und so dazu beitragen, dass weniger von ihnen nach Schweden kommen“.
Seinen ersten Anschlag verübte Ausonius am 3. August 1991 in einer Stockholmer U-Bahn-Station. Dort schoss er auf den Eritreer David Gebremariam und verletzte ihn an der Hüfte. Beim zweiten Anschlag am 21. Oktober 1991 traf die Kugel den 25-jährigen Iraner Shahram Khosravi im Rücken. Innerhalb weniger Tage folgten weitere Anschläge. Am 27. Oktober 1991 verletzte Ausonius den griechischen Obdachlosen Dimitrios Karamalegos durch zwei Schüsse in den Bauch. Am 1. November 1991 schoss er dem Brasilianer Heberson Vieira Da Costa in Kopf und Bauch. Beide schwer verletzten Opfer berichteten später, dass sie kurz vor den Schüssen einen roten Punkt auf ihrem Körper gesehen hätten. Auch bei den ersten beiden Taten berichteten Zeugen von einem roten Punkt einer Zielvorrichtung. Zu dieser Zeit wurde in den Medien erstmals vom „Laserman“ gesprochen. Am 8. November 1991 schoss Ausonius dem gebürtigen Iraner Jimmy Ranjbar aus nächster Nähe von hinten in den Kopf. Der Ingenieursstudent starb am nächsten Tag. Nach dem Mord setzte Ausionius seine Anschlagsserie aus. Er gab später an, dass es ihm schlecht gegangen sei, als er zum Mörder geworden war. So sei er nach der Tat nach Las Vegas geflogen, um sich in Spielcasinos abzulenken. Zurück in Schweden raubte er wieder Banken aus und setzte auch die Anschlagsserie fort.
Bei den folgenden Anschlägen, die nur durch Zufall keine weiteren Todesopfer kosteten, nutzte Ausonius einen Revolver mit Schalldämpfer, nachdem er das Gewehr nach dem Mord entsorgt hatte. Auch maskierte er sich nun. Am 22. Januar 1992 beobachtete er in Uppsala auf der Straße ein Paar, ging zu den beiden und schoss dem in Chile geborenen Wissenschaftler Erik Bongcam-Rudloff in den Kopf. Am folgenden Tag, wieder in Stockholm, war der Busfahrer Charles Dhlakama aus Simbabwe sein nächstes Opfer. Am Abend des gleichen Tages schoss Ausonius in der Innenstadt in einem somalischen Kulturverein zwei Männer nieder. Nur fünf Tage später feuerte er im Vorort Djursholm viermal auf den türkischen Kioskbesitzer Isa Aybar und traf ihn in Kopf und Arme. Weitere zwei Tage später, am 30. Januar 1992, beging Ausonius seinen letzten Anschlag. Hasan Zatara, ein palästinensischer Kioskbesitzer, überlebte nur knapp den auf ihn abgegebenen Kopfschuss. Nach diesem Anschlag konnte eine Zeugin erstmals Angaben zu dem Wagen von Ausonius machen. Aus den Medien erfuhr dieser, dass nach seinem Wagen gesucht wurde und flüchtete.
Mord in Frankfurt am Main
Ausonius flüchtete nach Frankfurt am Main. Seit 1989 war er regelmäßig zwischen Deutschland und Schweden gependelt. Am 8. Februar 1992 gab er in einem Restaurant in Frankfurt seinen Mantel an der Garderobe ab — bei Blanka Zmigrod. Zehn Tage später rief Ausonius in dem Restaurant an und verdächtigte Zmigrod, seinen Taschencomputer — eine Art elektronischer Kalender — aus seinem Mantel gestohlen zu haben. Bei diesem Telefonat erklärte er, aus Schweden zu sein und sich momentan in Berlin aufzuhalten. Ein Tag vor dem Mord kam Ausonius erneut in das Restaurant. In einer lautstarken Auseinandersetzung mit Zmigrod drohte er der 68-jährigen: „Wir sehen uns noch“. In der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1992 wurde Blanka Zmigrod auf ihrem Heimweg im Kettenhofweg im Frankfurter Westend mit einem Kopfschuss ermordet. Ein Zeuge sah, wie der Toten von einem Radfahrer die Handtasche entwendet wurde, bevor dieser flüchtete. Unmittelbar danach setzte sich Ausonius mit einem gefälschten deutschen Reisepass auf den Namen Manfred Tilo Ulbrich, den er sich am 17. Februar in Dresden besorgt hatte, nach Südafrika ab.
Festnahme und Verurteilung
Am 12. Juli 1992 wurde der inzwischen nach Schweden zurückgekehrte Ausonius bei einem Bankraub schließlich festgenommen. Die Polizei hatte seine unter falschem Namen angemietete Wohnung ausfindig gemacht und überwacht. Unter Beobachtung der Polizei verließ er das Haus mit dem Fahrrad, zog sich in einer Einfahrt um und überfiel eine Bank. Im Anschluss kam es zu einem Schusswechsel, nach kurzer Flucht konnte Ausonius letztendlich überwältigt und festgenommen werden. Die Anschlags- und Bankraubserie hatten zu Schwedens zweitgrößter Polizeiaktion geführt.
Am 14. Januar 1994 wurde Ausonius vom Stockholmer Amtsgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zwei der Mordversuche konnten ihm allerdings nicht nachgewiesen werden. Ausonius ging in die nächste Instanz. Noch während das Verfahren lief, misshandelte er im Oktober 1994 seine beiden Anwälte in der Haftanstalt. Diese weigerten sich daraufhin, ihn weiter zu vertreten. Auch seinem nächsten Verteidiger griff er im Januar 1995 an, dieses Mal sogar vor Gericht. Dennoch ließ das Gericht keinen weiteren Wechsel zu und bestätigte am 19. Mai 1995 die lebenslange Freiheitsstrafe. Erst im Jahr 2000 bekannte sich Ausonius zu der Anschlagsserie und zu 20 Banküberfällen. Den Mord an Blanka Zmigrod streitet er hingegen bis heute ab.
Blaupause für den NSU?
Während die Anschlagsserie 1991/92 Teile der schwedischen Gesellschaft schockierte und diese im Februar 1992 einen symbolischen einstündigen Generalstreik gegen rassistische Gewalt organisierte, war der „Laserman“ in der Neonazi-Szene bereits zu einer Ikone geworden. Die schwedische Neonazi-Terrorgruppe Vit ariskt motstand (Weißer arischer Widerstand) druckte im Februar 1992 ein T-Shirt mit der — übersetzten — Aufschrift „Der Laserman — ein Lichtblick im Dasein“ und schrieb bewundernd, dass Ausonius „Angst und Schrecken in der Rassenmischgesellschaft“ verbreiten würde. Auch nach seiner Verhaftung blieb Ausonius ein Vorbild für die Neonazi-Szene. Im Blood & Honour-Strategiepapier „Field Manual“ wurde seine Anschlagserie als ein Beispiel des „führerlosen Widerstandes“ beschrieben.
Das „Field Manual“ erschien im Jahr 2000, in dem Jahr, als die Mordserie des NSU begann. Parallelen zwischen den Ausonius-Taten und denen des NSU bestehen in der Eigenfinanzierung durch Banküberfälle, der Flucht mit dem Fahrrad, der Nutzung von Mietfahrzeugen sowie dem Leben unter falscher Identität. Die Morde des NSU ähneln zudem in der Wahl der Opfer und dem Töten durch Kopfschüsse den Taten der Anschlagserie in Schweden von 1992. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tat die Veröffentlichung des „Field Manual“ im Übrigen als „Privatmeinung“ eines einzelnen „Blood & Honour“-Aktivisten aus Schweden ab und maß dem Text keine weitere Bedeutung bei. Erst 2012 wurde die Publikation von Seiten des BfV neu bewertet und die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der NSU das „Field Manual“ bereits im Jahr 2000 kannte und die Taten Ausonius’ als „Blaupause“ gedient haben könnten.