Youtube, Aufkleber und Teleskopschlagstöcke

Die „Identitäre Bewegung“ in Bochum

Die Bochumer „Identitären“ bilden zur Zeit im Ruhrgebiet die aktivste Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB), die sowohl in NRW als auch bundesweit gut vernetzt ist. Zunehmend gewinnt die Stadt auch an Attraktivität für IB-Aktivist\*innen aus anderen Städten.

Die Bochumer „Identitären“ bilden zur Zeit im Ruhrgebiet die aktivste Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB), die sowohl in NRW als auch bundesweit gut vernetzt ist. Zunehmend gewinnt die Stadt auch an Attraktivität für IB-Aktivist*innen aus anderen Städten.

Es ist die übliche Inszenierung: Eine kleine Gruppe IB`ler besteigt am 16. September 2017 den Turm der Burg Blankenstein in Hattingen, zwei Personen seilen sich ab und entrollen dabei ein großes Banner mit der Aufschrift „Einer Invasion kann man widerstehen, nicht aber einer Idee, deren Zeit gekommen ist“. Dabei filmen sich die Aktivisten, auch eine Drohne wird eingesetzt. Als „Aktionsvideo der Ortsgruppe Bochum“ wird der kurze Clip dann im Internet präsentiert. Ein weiteres Banner präsentierten die Bochumer „Identitären“ im November 2017 am Hohenstein in Witten, um auf „Linksextremismus“ aufmerksam zu machen.

In Bochum trat die IB erstmals 2013 Erscheinung (vgl. LOTTA #64, S. 12 ff.). Damals versuchten sie mit Flugblättern und völkischer Propaganda an die Proteste gegen die Schließung des Opel-Werks in Bochum anzuknüpfen. Besonders erfolgreich waren diese ersten Aktionen nicht. Erst Ende 2016 fiel die Bochumer Ortsgruppe wieder auf, als sie auf dem Weihnachtsmarkt Flugblätter verteilte. Danach erhöhten sich die Aktivitäten der IB in der Region.

Erzwungenes Gesicht der IB-Bochum

Die IB in Bochum besteht aus etwa zehn Personen, die aber auch aus Nachbarstädten wie Herne, Witten und Hattingen stammen. Wie in der extrem rechten Szene üblich, herrschen klare Hierarchien und Aufgabenverteilungen. Wer bei der IB mitmachen möchte, muss nach der Kontaktaufnahme ein Erstgespräch führen und sich anschließend durch Aktivismus und Teilnahme an Aktionen beweisen. Um Mitglieder, die nicht 100 Prozent Einsatz zeigen, sei es auch „nicht schade“, so Marco Müller, der aus Gummersbach stammende Leiter der Bochumer Gruppe in einem Video. Müller lebt in Bochum, er ist der einzige, der sich öffentlich zur IB bekennt, nachdem er Anfang Oktober 2017 durch ein Antifa-Outing enttarnt wurde. Die übrigen Mitglieder bemühen sich, anonym zu bleiben. Dennoch ist den Bochumer „Identitären“ an einer Außendarstellung gelegen, im Spätsommer 2017 gaben Müller und ein weiteres Gruppenmitglied einer Volontärin der Funke Mediengruppe ein Interview. Darüber hinaus tritt Müller seit seinem Outing mit einem eigenen Youtube-Kanal unter dem Namen „Marco Erdmannsky” an die Öffentlichkeit und beteiligte sich an Youtube-Schaltungen mit bekannten rechten Bloggern wie Hagen Grell oder dem IB-„Anführer“ Martin Sellner. Müller ist innerhalb der Identitären Bewegung gut vernetzt und beteiligt sich auch an bundesweiten IB-Aktionen. Als am 28. Dezember 2016 auf dem Dach des Kölner Hauptbahnhofes ein Banner entrollt wurde, war auch Müller mit von der Partie. Ebenso als die IB im Mai 2017 versuchte, das Bundesjustizministerium in Berlin zu „blockieren“. Einen Monat später besuchte er den IB-Aufmarsch gegen den herbei phantasierten „großen Austausch“ in Berlin-Wedding.

IB-Hotspot Bochum?

Ende 2017 kündigte Müller an, dass die Bochumer Ortsgruppe im neuen Jahr ihre Aktivitäten weiter intensivieren wolle. Dazu passte, dass Müller bekannte IB-Kader aus anderen NRW-Städten nach Bochum einlud, um gemeinsam Silvester zu feiern. So postete die IB-Aktivistin Reinhild Boßdorf aus Siegen/Königswinter bei Instagram ein Selfie aus Bochum, auf dem sie eine Bengalfackel in der Hand hält. Von der selben Örtlichkeit postete der aus Remscheid stammende Kreon Schweickhardt ebenfalls ein Bild. Auf der Straße treten Müller und seine Kameraden seitdem zunehmend aktiver auf. In seinem Wohnumfeld und anderen Stadtvierteln tauchten immer wieder Aufkleber, Plakate und vor allem Sprühereien mit Aussagen wie „Love Cops — Hate Antifa“, „FCK MRX“ und Lamda-Symbolen auf. Der Feind steht für Müller und seine Gruppe links, was SPD, Grüne, Linke, Gewerkschaften und das alternative Milieu in Bochum einschließt. Schon am 3. März 2017 hatten sie an den Wahlkreisbüros der Linken und der Grünen sowie am ver.di-Haus Aufkleber und Plakate hinterlassen. Bevorzugt werden nächtliche Aufkleber-Runden in „feindlichen“ linksalternativen Vierteln Bochums gedreht. In der Nacht auf den 1. April 2018 gerieten Müller und drei weitere Mitstreiter bei einer ihrer Propagandaaktionen in eine Polizeikontrolle. Neben den Sprühdosen, fanden die Beamten auch einen Teleskopschlagstock und einen Schlagring.

Zuwachs erhielt die IB Bochum durch den aus Beckum stammenden Bastian Hans, der bisher dem Umfeld der Münsteraner Hooligan-Szene zuzurechnen war. Im Sommer 2017 erhielt Hans wegen seiner politischen Aktivitäten ein szeneinternes Kurvenverbot beim SC Preußen Münster. Obwohl er bereits seit Sommer 2017 in Bochum lebt, legen Recherchen des Blogs wiedertaeufer.ms nahe, dass Hans zumindest bis Januar 2018 Ortsgruppenleiter der IB Münster war. Auf einem Foto, das sein Vorgänger Marcel Winkin im Netz veröffentlichte, posiert Hans mit Winkin und anderen jungen Männern im IB-Shirt und mit Boxbandagen.

„Identitäre“, Burschen und die AfD

Das extrem rechte Burschenschaftsmilieu bietet auch in Bochum eine Rekrutierungsgrundlage für die „Identitären“. Im Sommer 2015 veranstalte die zum damaligen Zeitpunkt noch unter dem Namen Identitäre Bewegung Westfalen aktive IB-Struktur ein Treffen in den Räumlichkeiten der im Verband der Vereine deutscher Studenten organisierten Studentenverbindung VDSt Breslau-Bochum. Mit dabei war damals auch die aus Essen stammende Melanie Schmitz von Kontrakultur Halle. Entsprechend gute Kontakte gibt es bis heute nach Sachsen-Anhalt. Auch Sven Wüstefeld, Mitglied der gastgebenden Verbindung, nahm an dem Treffen teil. Wüstefeld ist Mitglied der Jungen Alternative (JA) und Ende 2017 nach Sachsen-Anhalt gezogen. Schon vorher unterhielt er Kontakte zu dem aus Recklinghausen stammenden Jan Scharf von Kontrakultur Halle, Melanie Schmitz und weiteren „Identitären“ aus dem Ruhrgebiet.

Auch zwischen IB und AfD gibt es in Bochum personelle Überschneidungen. Ende 2017 geriet eine Gruppe „Identitärer“, darunter auch Wüstefeld, Schmitz und Scharf, in Bochum in eine Auseinandersetzung, nachdem sie wegen ihrer rassistischen Hetze in einem Lokal Hausverbot erhalten hatten. Für den Geschädigten Wüstefeld sammelten die rechte Initiative Ein-Prozent sowie die Alternative Hilfe, ein Verein von AfD-Mitgliedern, der nach eigenen Angaben „Hilfe für Opfer politisch motivierter Straftaten“ bietet, Spenden. Öffentlich hieß es zunächst, bei dem Geschädigten, Wüstenfeld, handele sich um einen „Identitären“. Als die Presse aufzeigte, dass er AfD- und JA-Mitglied ist, wurde aufgrund des formal bestehenden Unvereinbarkeitsbeschlusses seine IB-Mitgliedschaft unter den Tisch gekehrt und auf eine private Freundschaft verwiesen, die nicht explizit politisch sei.

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