Michael Trammer/24mmjournalism

Erfolgreiche Landnahme

Rassistische Mobilisierungen und Wahlerfolge der AfD

Ob Cottbus oder Chemnitz, Köthen oder Dresden: Seit dem Spätsommer lässt sich in Ostdeutschland eine neue Phase rassistischer Mobilisierungen beobachten. Zahlreich sind die Beispiele, die zeigen, dass zwischen der AfD im Osten, ihrem aggressiven „Wutbürger“-Umfeld und demharten Kern der Neonazi-Szene alle Schranken gefallen sind. Sprektrenübergreifend wähnt man sich rechtsaußen am Vorabend einer völkischen Revolte.

Ob Cottbus oder Chemnitz, Köthen oder Dresden: Seit dem Spätsommer lässt sich in Ostdeutschland eine neue Phase rassistischer Mobilisierungen beobachten. Zahlreich sind die Beispiele, die zeigen, dass zwischen der AfD im Osten, ihrem aggressiven „Wutbürger“-Umfeld und demharten Kern der Neonazi-Szene alle Schranken gefallen sind. Sprektrenübergreifend wähnt man sich rechtsaußen am Vorabend einer völkischen Revolte.

Die Wahlerfolge der AfD und der Aufstieg von PEGIDA zum gesellschaftlichen Diskursakteur bewirkten eine weitere Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas nach rechts, in dem alle unter Rechtfertigungsdruck geraten, die dieser rasanten Entwicklung nicht folgen mögen oder können. Für MigrantInnen, engagierte Menschen in der Flüchtlingsarbeit oder jene, die sich öffentlich gegen die AfD und Neonazis aussprechen, ist die Situation in den Mittel- und Kleinstädten sowie im ländlichen Raum nicht ungefährlich.

Auf der Klaviatur rechter Identitätsdiskurse

Die vereinte Rechte spielt in Ostdeutschland auf der Klaviatur rechter Identitätsdiskurse. Dass die ostdeutsche Gesellschaft anders verfasst ist als große Teile des Westens, klingt banal, ist jedoch im Westen weithin unbegriffen. Alle Einstellungsuntersuchungen der zurückliegenden zehn Jahre konstatieren eine Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Demokratie westlicher Prägung und eine gegenüber dem Westen erhöhte Zustimmungsbereitschaft gegenüber autoritären und rassistischen Einstellungen. In Umfragen liegt die AfD im Osten um 30 Prozent. Offen extrem rechts auftretende Landesverbände der Partei wie in Sachsen-Anhalt und Thüringen treiben mit ihren Provokationen und Tabubrüchen die anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen vor sich her. Es entsteht ein Klima der Angst, in dem Diffamierungen von rechtsaußen eine hohe Reichweite haben.

Dabei ist Rassismus nicht der alleinige Faktor, der diese Dynamik antreibt. Denn Ablehnung und Feindschaft trifft nicht nur Menschen, die aufgrund ihres Äußeren als MigrantInnen identifiziert werden, sondern po­ten­zi­ell alle, deren Lebenswelt oder Habitus im Widerspruch zum rechten Bild vom „Deutschsein“ stehen. Indes erklären Medien und Politik in Westdeutschland „Sachsen“ zum Synonym für autoritäre Gesellschaftspolitik und Demokratiedefizite. Dies reduziert die ostdeutsche Gemengelage unzulässig auf das Klischee. Andere Entwicklungsfaktoren der ostdeutschen Gesellschaft bleiben ausgeblendet. 30 Jahre nach dem Ende der DDR sind die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen im Osten nach wie vor davon geprägt, dass das Lohnniveau geringer und die soziokulturelle Infrastruktur abseits der Metropolen Berlin und Leipzig dürftig sind. Ostdeutsche kulturelle Erfahrungen sind im öffentlichen Raum weitgehend ohne Stimme.

Ohne die Geschichte der rassistischen Gewalt der 1990er Jahre ist die gegenwärtige Situation im Osten nicht zu begreifen. Die in den 1990er Jahre in Ostdeutschland vorherrschende Hegemonie eines jugendkulturellen Rechtsextremismus schien zur Mitte des zurückliegenden Jahrzehnts gebrochen. In Wahrheit hat sie sich in die Lebenswelt der heutigen Elterngeneration transformiert. Sie sind es, die mindestens eine Teilmenge der „normalen“ rechten DemonstrantInnen bilden.

Breite Akzeptanz für extrem rechte Deutungsangebote

In Chemnitz und Köthen trat eine extreme Rechte auf, die das Zusammenspiel von Straße, Parlament und rechten publizistischen Netzwerken effektiv und erfolgreich handhabt. Die im Osten vorhandene breite Akzeptanz für offen extrem rechte und rassistische Deutungsangebote sozialer und kultureller Widersprüche in der Gesellschaft erlebt im rassistisch motivierten Bürgerprotest eine anschlussfähige Form politischer Willensbildung. Stärker als im Westen agiert die AfD in Ostdeutschland erfolgreich an den Gatekeepern der öffentlich-rechtlichen Medien vorbei, wo es um die direkte Ansprache und Kommunikationen mit ihren Zielgruppen geht. Da es in Ostdeutschland ein historisch begründetes, generelles Misstrauen gegenüber der Berichterstattung der Medien gibt, gilt die regionale Tageszeitung im Zweifel als weniger vertrauenswürdig als ein Facebook-Forum, in dem auch der Nachbar sein Wissen um die angeblich wahren Hintergründe der Migration weitergibt.

Von Westen her wird die Frage gestellt, weshalb rechte Politikangebote in Ostdeutschland so reichweitenstark und wirkungsmächtig sind, und weshalb sich andere Stimmen nur mühsam Gehör verschaffen können. Hierzu hilft ein Blick auf die Verankerung gesellschaftlicher Großorganisationen wie Sport, Wohlfahrt und Parteien in den ländlichen und kleinstädtischen Räumen. Sie leiden an Überalterung und dem Rückbau von Strukturen, selbst in mittelgroßen Städten. Die fortgesetzte Abwanderung junger, sozial mobiler Menschen aus dem Osten bleibt dort nicht ohne Folgen. Menschen, die sich unter prekären Umständen in ostdeutschen Kommunen für ein gewisses Maß an kultureller Vielfalt engagieren, geben unter den Bedingungen von Ressourcenentzug, mangelnder Solidarität und Vereinzelung auf. Sie gehen dorthin, wo sich soziale Räume finden lassen, in denen angstfreier agiert werden kann: in die Metropolen.

Zyklen rassistischer Mobilisierungen

Die extreme Rechte erweckt im Moment sehr erfolgreich den Eindruck, ihre Mobilisierungs- und Kampagnenfähigkeit strebe einem baldigen Finale, dem Sturz Angela Merkels, wenn nicht einer Revolution von rechts zu. Dafür knüpft sie in Ostdeutschland an die Narrative des Jahres 1989 an, wonach es nur der Ausdauer des Protests auf der Straße bedürfe, um die Politik zu einem Kurswechsel zu zwingen. Die hohe Ereignisdichte der letzten Wochen in Ostdeutschland verstärkt diese Wahrnehmung. Jedoch verliefen rassistische Mobilisierungen in der Vergangenheit in Zyklen von Auf- und Abschwüngen.

Gegenwärtig muss von einem Aufbruch Ost von rechts gesprochen werden, der jedoch nicht erst 2015 begann. Im Hinblick auf den sich seit 2013 erweiternden Resonanzraum rassistischer Mobilisierungen stellen die „Lichtelläufe“ im sächsischen Schneeberg sicher einen Einschnitt dar, weil die extreme Rechte hier erfolgreich mit bürgerlichen Protestformen hantierte. Wenn in den kommenden Wintermonaten die Mobilisierungsfähigkeit des rechten Blocks in Ostdeutschland zurückgeht, ist dies nur als Pause, nicht als Ende zu werten.

Der Osten als Blaupause

Spektren übergreifend präsentiert sich die extreme Rechte gegenwärtig in einem Mobilisierungsrausch. Bisher gibt ihnen ihr Erfolg, messbar in der Entgrenzung des Diskurses im Land, Recht. In Westdeutschland hingegen scheint die Botschaft noch nicht angekommen zu sein, dass der Osten für die extreme Rechte die Blaupause für all das ist, was sie tun werden, wenn sie im Westen ähnlich stark auftreten könnten.

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