Erkennen — Erfassen — Bekämpfen

Gegnerforschung im Sicherheitsdienst der SS

„Erkennen — Erfassen — Bekämpfen. Gegnerforschung im Sicherheitsdienst der SS“ heißt die gerade erschienene Studie von Stefanie Steinbach. Titel, Klappentext und Einführung wecken Interesse: Wie tickten diejenigen jungen Akademiker, die sich im Sicherheitsdienst der NSDAP der Gegnerforschung widmeten?

Wie sahen sie ihre vermeintlichen „Gegner“? Welche „konkreten Handlungsanweisungen, die unmittelbar für die physische Vernichtung des Gegners verantwortlich waren“, gaben sie Staats- und Parteiführung, auf die sie „politischen Einfluss“ zu nehmen versuchten, und wie reagierten diese darauf? In welchem Verhältnis stand dieser Versuch zu ihrer Aufgabe der Schaffung einer „Legitimation radikaler Maßnahmen gegen die Gegner“? Wie sah er aus, der „gemeinsame Denkstil“ der Gegnerforscher des SD, aus dem heraus sie „Strategien zur Erkennung und Bekämpfung der Gegnergruppen“ entwickelten? Welche Strategien waren das? Auf diese Fragen bietet das Buch leider keine konkreten, manchmal auch gar keine Antworten. Das gilt auch für die eigentliche Kernfrage der Veröffentlichung, wie wirkmächtig die theoretische Gegnerforschung des SD in der praktischen Umsetzung der Shoa war. Die Antwort versteckt sich einigermaßen erfolgreich im Dschungel der Möglichkeiten, was sich alles mit einem einzelnen Befund in der Wissenschaft machen lässt, wobei das akademische Phrasenschwein irreführende Wegbeschreibungen aufgestellt hat. So tragen die recht kurzen Abschnitte der einzelnen Kapitel Titel wie „Die Entstehung einer Tatsache“ oder „Weltanschauliche Deutungshoheit der Gegnerforschung“. Während „Die Entstehung einer Tatsache“ im zweiten Kapitel des Buches noch mit eben diesem Gegenstand beginnt, später aber dann mehr und mehr in die Frage danach übergeht, wie widersprüchliche Informationen in ein bereits feststehendes Wahrnehmungsmuster eingebaut werden können, behandelt der Abschnitt „Weltanschauliche Deutungshoheit der Gegnerforschung“ im sechsten Kapitel („Professionalisierung des SD und der nationalsozialistische Gegnerbegriff“) zunächst die Ablehnung der SD-Gegnerforschung gegenüber „okkulten und verschwörerischen Gedankengängen“, dann die Selbststilisierung der SD-Gegnerforscher als „elitäre ,Weltanschauungskrieger‘“ und schließlich die erheblichen Probleme, die es Hauptscharführer Duchêne 1943 bereitete, offensichtlichen Antijudaismus in sein ideologisches Konstrukt der katholischen Kirche als Instrument zur Errichtung der „jüdischen Weltherrschaft“ zu integrieren. Die Frage danach, worin denn nun die „weltanschauliche Deutungshoheit der Gegnerforscher“ bestand, wie sie zustande kam oder ob sie überhaupt existierte, wird hier nicht beantwortet. Viel mehr aber als die diversen Abstecher in die totalitarismustheoretischen Überlegungen Hannah Arendts oder die Darlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Ideologie im Nationalsozialismus trägt ein einfaches Faktum zur Beantwortung der als Kernfrage definierten Wirkmächtigkeit der theoretischen Gegnerforschung des SD in der praktischen Umsetzung der Shoa bei. So waren viele Gegnerforscher später als „Judenberater“ bei der Erfassung der Opfer und ihrer Deportation in den Tod eingesetzt. Erst im siebten Kapitel („Vom Denkstil zum Handlungsstil: exemplarische Darstellungen“) stößt man auf dieses Hauptargument. Schade bleibt aber auch, dass es nicht wenigstens etwas mehr Ausarbeitung erfahren hat, sondern sich der Text auch hier wieder in anderen Bereichen verliert. Wer sich in dem Buch zurechtfinden will, sollte sich auf jeden Fall mit einem Set verschiedenfarbiger Textmarker bewaffnen, um sich einen Weg durch den Dschungel bahnen zu können.

Stefanie Steinbach Erkennen — Erfassen — Bekämpfen. Gegnerforschung im Sicherheitsdienst der SS Metropol Verlag, Berlin 2018 300 Seiten, 22 Euro

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