„Verdeckte Anschlags­planung“?

Der Diskurs um Gaming und extrem rechten Terror

„Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag“, meinte Innenminister Horst Seehofer im Oktober 2019 nach dem rechten Anschlag in Halle. „Und deshalb müssen wir die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.“ Dafür hagelte es Kritik und Spott, dennoch war die bestimmende Debatte der nächsten Wochen: Ist „die Gaming-Szene“ der aktuelle Nährboden für rechten Terrorismus?

„Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag“, meinte Innenminister Horst Seehofer im Oktober 2019 nach dem rechten Anschlag in Halle. „Und deshalb müssen wir die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.“ Dafür hagelte es Kritik und Spott, dennoch war die bestimmende Debatte der nächsten Wochen: Ist „die Gaming-Szene“ der aktuelle Nährboden für rechten Terrorismus?

Stephan Balliet, der neonazistische Attentäter in Halle, benannte seine Feindbilder explizit: Jüdinnen*Juden, Feministinnen, „Nicht-Weiße“, Linke. Die antisemitische und rassistische Motivation tritt auch durch die Opferauswahl klar zu Tage. Weniger klar ist jedoch, welche Rolle Gaming in seiner Politisierung und Radikalisierung sowie seiner Tatmotivation und -planung spielte. Diskutiert wurde nach dem Anschlag, ob Gaming (extrem rechte) Gewalt befördert oder sogar auslösen kann. Verschiedene Äußerungen ließen Gaming als eine Art Einstiegsdroge in die extreme Rechte und den rechten Terrorismus erscheinen. In — teilweise vorwegnehmender — Abwehr bestritten Gamer*innen jeden Zusammenhang. Dazwischen fanden sich einige differenzierte Stimmen, die auf die Breite der Gaming-Kultur verwiesen, aber auch extrem rechte Subszenen und Ideologie benannten.

Neu ist diese Debatte im Grunde nicht, sie greift Elemente der „Killerspiel-Debatten“ insbesondere nach den Amok­läufen in den Jahren 2002 (Erfurt) und 2009 (Winneden) auf. Gegenstand dieser Diskussionen waren „Ego-Shooter“ — auch „First-Person-Shooter“ genannt —, also Spiele, in denen die Spielenden aus Protagonist*innen-Sicht am Geschehen teilnehmen. Zumeist handelt es sich um Spiele, in denen der Einsatz von Schusswaffen zentral ist und die Tötung Anderer den Spielfortschritt bestimmt. Damals vor allem in der Diskussion: das von Millionen Menschen gespielte Online-Game Counter-Strike. Dabei tat sich dieses Spiel nicht mal durch besondere Darstellung von Gewalt hervor. Trotzdem wurde an der These festgehalten, das Spielen von „Ego-Shootern“ hinge ursächlich mit den Taten zusammen. Die Tatsache, dass es Millionen Gamer*innen gibt, die gewaltvolle Spiele spielen, ohne real Gewalt auszuüben, kam nicht gegen die pauschalisierende Annahme an.

Aufgegriffen wurden in der Debatte nach Halle zwar die Anschläge von Christchurch und El Paso 2019, Verweise auf die Tat von David Sonboly im Olympia-Einkaufszentrum München fehlten jedoch weitestgehend. Die neonazistisch und rassistisch motivierte Attacke im Jahr 2016 mit neun Toten wurde damals von staatlichen Akteuren nicht als rechtsterroristisch, sondern als Amoktat eingeschätzt, obwohl der Täter in extrem rechten Chatgruppen auf Videospielplattformen mitmischte, sich entsprechend äußerte und seine Opfer rassistisch auswählte (siehe Seite 14).

Sicherheitspolitik als Allheilmittel

Wenig überraschend wurde das ganze genutzt, um Forderungen nach Kontrolle und Überwachung aus der Schublade zu ziehen. Insbesondere aus den Reihen der CDU gab es Forderungen wie die Wiedereinführung der zur Zeit ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung mit Zugriff für Polizei und Verfassungsschutz und softwaregestützte automatisierte Auswertung der Daten, Strafverschärfungen, Überwachung von Messenger-Diensten und natürlich die Ausweitung von Ressourcen und Befugnissen für Polizei und Inlandsgeheimdienst. Die Innenministerkonferenz formulierte bei einem außerplanmäßigen Treffen Empfehlungen, die Bundesregierung verabschiedete ein 9-Punkte-Programm, in beidem wurden viele der Forderungen aufgegriffen. Überall findet sich auch eine Meldepflicht sozialer Netzwerke an Strafverfolgungsbehörden bei strafrechtlich relevanten Postings.

In einem CDU-Papier, im Parteiduktus selbstverständlich zur Stärkung der „Handlungsfähigkeit gegen Extremisten“, heißt es auch: „Verstärkt bieten Online-Spiele virtuelle Räume für Hass und Hetze und fördern die Gewaltbereitschaft durch menschenverachtende Spieleinhalte.“ Gerade hier zeigt sich der instrumentelle Charakter, liegen die genannten Kommunikationsräume doch völlig offen, würden vielmehr bislang schlicht kaum beobachtet, argumentieren Kritiker*innen.

Auffallend war zudem, was die Diskussion über „Killerspiele“ und der Fokus auf Sicherheitspolitik in den Hintergrund drängte: die ideologische Motivation des Täters, die vielleicht vor allem, aber nicht nur in seinem Antisemitismus lag. In seinen Schriften und im Live-Video der Tat wurde ein deutlicher Antifeminismus offenbar, der ebenso wie damit verknüpfte rechte Männlichkeitsbilder kaum diskutiert wurde. Und auch die rassistisch motivierte Auswahl eines von Täter als „ausländisch“ identifizierten Imbisses als „Ersatz-Ziel“ wurde nur am Rande erwähnt, obwohl sich mit dieser Wahl auch Bezüge zu den NSU-Morden zeigen.

„Die“ Gaming-Szene?

Nicht nur bei der Äußerung Seehofers stellt sich darüber hinaus die Frage, was „die Gamerszene“ eigentlich sein soll beziehungsweise ob es sie gibt. Gaming ist vielfältig — die Spielenden ebenso wie die Spiele. Laut dem Jahresreport der deutschen Games-Branche 2019 spielen 34,3 Mio. Menschen in Deutschland Computer- und Videospiele, 38 Prozent der Spieler*innen werden als weiblich kategorisiert. Das Durchschnittsalter der Spielenden steigt an und lag für 2018 bei 36,4 Jahren. Die größte Altersgruppe bilden die über 50-Jährigen. Am weitesten verbreitet ist das Spielen auf dem Smartphone, es folgen Konsole und PC.

Viele nicht selbst spielende Menschen denken bei Gaming zuerst an „Shooter“ wie Battlefield oder vielleicht noch die Fußballsimulation FIFA. Dies sind jedoch nur zwei Genres, die Bandbreite ist wesentlich größer. Sie reicht von „casual games“ wie Candy Crush, die auf kurze Spieldauer und leichten Zugang ausgelegt sind, über unterschiedlichste Simulatoren bis zu „Open World Games“ — Grand Theft Auto (GTA) zählt hierzu –, in der die Spielenden eine ganze Welt erkunden, die in eine Handlung eingebunden ist. Andere Games stehen ganz im Zeichen einer Geschichte wie beispielsweise Life is strange, in der Dialoge oder Rätsel durch die Narration führen.

Die Menschen, die unterschiedlich intensiv und häufig diese Spiele spielen, sind mit Sicherheit nicht Angehörige einer einzigen Szene. Ein Teil davon verfügt jedoch durchaus über gemeinsame Sprache und Bilder, Idole, gemeinsame (virtuelle) Ort und ein Zugehörigkeitsgefühl, womit Merkmale einer Szene gegeben sind. Diese untergliedert sich jedoch in verschiedenste Sub-Szenen, die sich eher an Genres und Spielprinzipien orientieren. Produktiver für eine Analyse ist jedoch der Blick auf Communities, die sich um ein Spiele-Cluster oder auf einer Plattform bilden. Hier wird teilweise intensiv und längerfristig interagiert, die Zugehörigkeit kann Teil der Identität sein.

Gaming in rechten Online-Kulturen

Solche Communities spielen auch für die extreme Rechte eine Rolle. Dies lässt sich jedoch nicht gesondert von anderen Bereichen rechter Netz-„Kultur“ betrachten. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Analysen dazu, wie unmoderierte „imageboards“ von Rechten genutzt werden und welche Rolle sie im ausgerufenen „info war“ spielen. Dort werden „memes“ produziert, Bilder oder Videosequenzen, die in einen neuen Kontext gesetzt werden und damit eine neue — teilweise ironische — Aussage erhalten. Diese werden dann auf anderen Plattformen weiter verbreitet, bisweilen wird andere Kommunikation damit regelrecht geflutet. Die Dynamik dieser Imageboards wie 4chan oder 8chan/ 8kun trägt dazu bei, dass die Memes immer „krasser“ und menschenverachtender werden.

Teil dieser digitalen Kultur sind auch Chatprogramme oder speziell auf Gamer*innen ausgerichtete Video-Kanäle, die nicht in erster Linie dem politischen Austausch, sondern der Diskussion über Spielinhalte dienen (siehe dazu Seite 14 f.). Hier kommen Gamer*innen mit rechten politischen Aktivist*innen und Ideolo­g*in­nen zusammen, wozu sich auch die „Männerrechtler“ und „Incels“ (Abkürzung für „involuntary celibate“) zählen lassen. Dabei handelt es sich um Männer, die sich darüber beschweren, unfreiwillig „zölibatär“ zu leben — anders gesagt, keinen Sex haben zu können —und dafür Frauen verantwortlich machen.

In dem Vortrag „Let‘s play Infokrieg“ auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs Ende 2019 in Leipzig stellte Arne Vogelgesang Antisemitismus als zentrales Element in rechter Online-Kultur heraus. Dieser verbinde die vor allem männliche Szene trotz unterschiedlicher Männerbilder miteinander. Eine ähnliche Funktion erfüllt der Sexismus, was nicht zuletzt „Gamergate“ zeigte (siehe S. 13).

Auch bei Stephan Balliet verbinden sich Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus. Seine Aufnahme beginnt mit: „Hallo, mein Name ist Anon, und ich glaube, der Holocaust hat nie stattgefunden. Feminismus ist Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist — und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.“

Trotz der Präsenz von extrem Rechten im Gaming gibt es kaum Videospiele „von der Szene für die Szene“. Ausnahmen stellen die 2002/2003 von der US-amerikanischen Neonazi-Gruppe „National Alliance“ veröffentlichten Spiele Ethnic Cleasing und White Law dar. Weiterhin gab es einen Shooter, bei dem der Anschlag des norwegischen Neonazis Anders Behring Breivik auf der Insel Utoya 2011 nachgespielt werden konnte. Und nach dem Christchurch-Attentat wurde ein Spiel bekannt, in dem in der Rolle von Adolf Hitler, Benito Mussolini oder Donald Trump politische Gegner*innen ermordet werden konnten. Diese Games erhielten jedoch nur szeneintern Aufmerksamkeit. Der Großteil der extremen rechten Gamingaktivitäten bezieht sich auf bekanntere Spiele.

Toxische Männlichkeit und Sexismus

Die falschen Pauschalisierungen im Diskurs nach Halle führten auch zu reflexhafter Abwehr und der Verdrängung davon, dass in Chats, beim Online-Spielen oder im Austausch in Foren oft stillschweigend über diskriminierende Angriffe hinweggesehen wird. Und natürlich gibt es innerhalb von Games viele Anknüpfungspunkte für die von der extremen Rechten vertretenen Ideologien: Gewalt als Mittel zur Problemlösung, Männer als Helden, übermenschlich stark und mit der Fähigkeit ausgestattet, keine Gefühlsregungen angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen zu zeigen. Frauen werden hingegen oft als hilfesuchend, bedroht, passiv, wehrlos und mit unbedeutender Story-Rolle gezeichnet. Auch die Sexualisierung spielt in Games eine große Rolle, gerade dann, wenn weibliche Heldinnen entgegen der oben genannten Attribute dargestellt werden, wie Lara Croft in früheren Tomb Raider-Spielen oder Catwoman.

Toxische — also den Männern selbst oder anderen schadende — Männlichkeitsentwürfe stellen damit eine zentrale Komponente vieler Spiele dar. Gewalt, die inflationäre Anwendung derselben, die Verherrlichung männlicher Stärke, Sexismus und andere diskriminierende Ideologien sind in unserer Gesellschaft natürlich nicht nur in Games präsent. Und nicht nur Neonazis fühlen sich von diesen Konstruktionen angezogen. Trotz vieler Verbindungen und Anknüpfungspunkte führt der Weg aber nicht vom Gaming direkt in die menschenverachtende chan-Kultur, zu Radikalisierung und der Planung und Umsetzung terroristischer Anschläge. Zugleich ist der Umgang mit der extremen Rechten und ihren Bezügen zur Gaming-Kultur noch zu wenig analysiert.