# Black Lives Matter

Über eine Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt in den USA

In den USA gehört der Tod durch (rassistische) Polizeigewalt zum Alltag. Nach Zählungen des Projekts „Mapping Police Violence“ töteten Polizist*innen im letzten Jahr 1.099 Menschen. 24 Prozent der Opfer waren Schwarz, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Statistiken zeigen auch: Als unbewaffneter Schwarzer ist die Wahrscheinlichkeit, von Polizist*innen getötet zu werden, fünffach erhöht.

In den USA gehört der Tod durch (rassistische) Polizeigewalt zum Alltag. Nach Zählungen des Projekts „Mapping Police Violence“ töteten Polizist*innen im letzten Jahr 1.099 Menschen. 24 Prozent der Opfer waren Schwarz, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Statistiken zeigen auch: Als unbewaffneter Schwarzer ist die Wahrscheinlichkeit, von Polizist*innen getötet zu werden, fünffach erhöht.

Dass solche Mapping-Projekte Einzelfälle sammeln und so das Ausmaß struktureller staatlicher Gewalt deutlich machen, ist auch ein Effekt der „Black Lives Matter“-Bewegung, die in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der amerikanischen und internationalen Öffentlichkeit auf das Thema gelenkt hat. Für Deutschland liegen kaum verlässliche Daten über Polizeigewalt vor: Die breite Öffentlichkeit steht hier am Anfang der Sensibilisierung für Gewalt und Missbrauch durch Polizei- und Ermittlungsbehörden.

Auslöser — der Tod eines Schwarzen Jugendlichen

„Black Lives Matter“ (BLM) entstand in der Folge eines konkreten Ereignisses von Polizeigewalt, und knüpft doch an eine lange antirassistisch und bürgerrechtlich geprägte Bewegungsgeschichte an: 2012 wurde der Schwarze Jugendliche Trayvon Martin von Georg Zimmermann in Florida erschossen. Der unbewaffnete 17-jährige Martin war zu Fuß auf dem Heimweg. Der bewaffnete Nachbarschaftswächter Zimmermann meldete ihn bei der Polizei als verdächtig und erschoss ihn dann — die Umstände der Auseinandersetzung sind nicht vollständig geklärt. Zimmermann brachte vor Gericht an, die Tat sei Notwehr gewesen, und wurde 2013 von einer Jury freigesprochen. Die Umstände von Trayvon Martins Tod boten einen erneuten Auslöser für eine breite Debatte über Alltagsrassismus in den USA, der insbesondere männliche Schwarze Personen als immer schon gefährliche Subjekte markiert. Seitdem ist das Bewusstsein für die Kontinuität und den Zusammenhang zwischen den alltäglichen Schikanen durch Polizist*innen und Morden, die viel zu häufig durch Freisprüche nachträglich legitimiert werden, gewachsen. Die Analysen durch #BLM-Aktivist*innen rücken inzwischen die staatliche und strukturelle Gewalt, der Schwarze Communities alltäglich ausgesetzt sind, sowie ihre spezifischen Wechselwirkungen von Race und Gender in den Blick.

Vom # zur Bewegung

Nach dem Tod von Trayvon Martin wurden einzelne Vorkommnisse und Gewalterfahrungen online mit dem Hashtag #blacklivesmatter kommentiert. Insbesondere Twitter ist in den USA ein in den Schwarzen Communitys etabliertes Medium: Unter dem Hashtag #blacktwitter artikuliert sich die (mehrheitlich US-amerikanische) Schwarze Community öffentlich. Was als sogenannter Hashtag-Aktivismus begann, wurde spätestens ab 2014 eine Bewegung, als sich nach dem Tod von Michael Brown in Ferguson, Missouri tagelang Proteste in den Straßen formierten. Wenige Wochen zuvor war in New York der 44-jährige Eric Garner zu Tode gekommen, nachdem er sich bei einer rassistischen Polizeikontrolle unkooperativ verhalten haben soll und dann von mehreren Polizist*innen auf den Boden gezwungen und gewürgt worden war. Michael Brown wurde von dem Polizisten Darren Wilson erschossen, nachdem er vor einer Polizeikontrolle geflohen war. Auch hier sind die genauen Umstände nicht endgültig geklärt: Browns Freund, der ebenfalls vor Ort war, sagte aus, dass Brown sich nach kurzer Verfolgung umgedreht und die Hände gehoben habe, woraufhin Wilson ihm in die Brust schoss.

Es sind immer wieder solche Einzelfälle, die Empörung hervorrufen — doch BLM gelingt es, diese mit Grundsatzkritik zu verbinden. Ein anderes für die Bewegung wichtiges Ereignis war der Tod von Freddie Gray in Baltimore 2015. Er starb an den Folgen von Verletzungen, die er sich bei einer Fahrt in einem Polizeitransporter zuzog. Bei der gängigen, zynisch als „Rough Rides“ bezeichneten Praxis, werden Festgenommenen die Hände zusammengebunden, bevor sie ohne Sicherung in den fensterlosen, hinteren Teil des Polizeitransporters platziert werden. Sie können sich nicht festhalten und verletzen sich während der Fahrt. Es ist eine Methode, Gewalt so auszuüben, dass sie als Unfall erscheinen und legitimiert werden kann.

Der Kampf um Deutungshoheit

Ein Erfolg der BLM-Bewegung ist die Infragestellung der Deutungshoheit über in Polizeieinsätzen zu Tode kommende (nicht-weiße) Menschen. Seitens der Polizei, der Ermittlungsbehörden und in der Folge auch der Medienberichterstattung werden Betroffene und Ermordete häufig als (potentiell!) Kriminelle dargestellt. Rassistische Vorurteile bedienend, wird häufig Drogen- oder Waffenbesitz angeführt, um das tödliche Vorgehen der Polizist*innen zu rechtfertigen. Der Tod der Vorverurteilten wird dabei zum geringeren Übel deklariert und liefert mitunter sogar den Anlass zur Heroisierung der Polizist*innen. Diese Perspektive auf die verworfenen Leben der Schwarzen Bevölkerung wurde lange unkritisch in der medialen Darstellung übernommen, was zu einer Verstärkung von Rassismen in der Öffentlichkeit sowie in der Polizei selbst geführt hat. Der #blacklivesmatter versucht hier einen Gegenpunkt zu setzen und das Leben der Betroffenen grundsätzlich als wertvoll und gleichwertig zu verteidigen. Damit schließt BLM an eine lange Geschichte Schwarzer Medienkritik in den USA an. Bestimmte Ereignisse haben ihr (massen-)kulturelles Gedächtnis geprägt: Etwa die Fotografie des 1955 durch Lynchmord entstellten Körpers des jungen Emmett Till, die die Schwarze Bürger*innenrechtsbewegung mit auslöste, oder das Video des Übergriffs auf Rodney King, das 1992 die LA Riots entfachte.

Gegendokumentation

Heute hat sich die Situation geändert. Auch wenn Verurteilungen von Polizist*innen weiterhin eine Seltenheit sind, wird doch Tod durch Polizeigewalt öffentlich hinterfragt. Viele Morde werden im Detail aufgearbeitet, um der Darstellung der Polizei eine eigene Erzählung entgegenzusetzen.

Beispiele hierfür sind dokumentarische Podcasts wie Undisclosed (Staffel 4 zum Fall von Freddie Gray) oder Serial, die sich in ähnlicher Weise wie Forensic Architecure einer Gegendokumentation verschrieben haben. Forensic Architecure hat den NSU-Mord an Halit Yozgat nachgestellt und damit die Aussagen des anwesenden Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme widerlegt, dass im Nebenraum des Internetcafés der Schuss nicht hörbar gewesen sei. Indem diese Projekte selbst Recherchen zusammentragen, stellen sie nicht nur Ermittlungsverfahren in Frage und leisten Prozessbeobachtung und außergerichtliche Beweisfindung, sondern reflektieren gleichzeitig die gesellschaftlichen und medialen Darstellungen, welche die Grundlage für rassistische Polizeigewalt bilden. Im Anspruch etwa NSU-Watch nicht unähnlich, handelt es sich doch meist um populäre Unterhaltungsformate aus dem Truecrime-Genre, das weit über linke, aktivistische Milieus hinausreicht.

Während mittels solcher Gegendokumentation die Perspektive der Opfer in den Fokus gerückt wird, erhöhen die Aktivist*innen gleichzeitig den Rechtfertigungsdruck für Fälle von Polizeigewalt. Ein Effekt dieses Drucks ist die Einführung von Body Cams. Anders als in Deutschland ist ihr vornehmlicher Zweck in den USA nämlich nicht der Schutz von Polizist*innen vor vermeintlich aggressiven Bürger*innen, sondern soll dazu dienen, das Verhalten von Polizist*innen zu dokumentieren. Natürlich bietet Video- und Bildmaterial an sich keinen Schutz vor Polizeigewalt — das zeigte bereits das Video von Rodney King. Es ändert aber den medialen Status und die Bedingungen von Öffentlichkeit.

Popularisierung von #BLM

Die Popularisierung von #BLM reicht heute bis in die Programmplanung von Streaming-Plattformen: So folgt etwa die populäre Netflix-Produktion „Dear White People“ einer Gruppe von Schwarzen College-Student*innen und ihren verschiedenen Perspektiven und Positionen. Es geht um Polizeigewalt, um institutionellen und offenen Rassismus offline und online, ebenso wie um fortgesetzte Re-Traumatisierung von Betroffenen durch die ständige öffentliche Debatte, um Selbstsorge unter Aktivist*innen sowie um Selbstkritik am Online-Aktivismus.

Auch auf politischer Ebene hat BLM zu einer Diskursverschiebung beigetragen. Unter Präsident Barack Obama richtete das Bundesjustizministerium in den föderal organisierten USA eine Task Force ein, welche die lokalen Polizeibehörden unabhängig prüfen sollte. Als Ergebnis wurde beispielsweise der Polizei von Chicago nicht nur mangelnde Rechenschaftspflicht bei vermuteter Polizeigewalt attestiert. Auch das Verhalten der Polizei selbst wurde als Grund für mangelndes Vertrauen in deren Arbeit benannt und damit in direkten Zusammenhang mit der hohen Kriminalitätsrate in einigen meist Schwarzen Vierteln Chicagos gebracht. Chicago ist seit einigen Jahren die Stadt mit der höchsten Mordrate der USA. Die öffentliche Debatte benennt neben Ausstattung und Befugnissen auch den Rassismus der Behörde selbst als Faktor. Selbstverständlich erlebt BLM im Zuge solcher Diskursverschiebungen auch Backlashes: Rechte Kampagnen wie #bluelivesmatter oder auch das vermeintlich humanistische Schlagwort #alllivesmatter treten in die Kämpfe um Deutungsmacht ein.

Zwischen Organisation und Label

BLM macht den strukturellen und konkreten alltäglichen Rassismus der Polizist*innen und des Justizsystems inklusive der medialen Darstellung und Berichterstattung kritisierbar. Sie knüpft an eine lange zivilgesellschaftliche Bewegung an, die in den 50er Jahren mit Rosa Parks begann und aktualisiert diese für die Bedingungen des 21. Jahrhundert. Während einige konkrete Fälle in den USA mitunter bundesweite Proteste nach sich zogen, sind die Effekte der Mobilisierung der BLM-Bewegung aber vor allem dezentral von Bedeutung.

So ist BLM heute in Chaptern organisiert und hat nicht den Anspruch zentralisiert zu agieren. Vielmehr stellt der organisierte Arm Ressourcen zur Verfügung, um dezentral organisierten Gruppen den Aufbau und die konkrete Arbeit zu erleichtern. Die Dachorganisation BlackLivesMatter versteht sich dabei als inklusiv und nicht verantwortlich für Proteste, die unter demselben Namen lokal agieren. Ähnlich wie das „Antifa“-Label führt dies in den klassischen Medien und bei politisch Verantwortlichen immer wieder zu Verwirrung, die der Bewegung nicht schadet. In ihrer Organisationsform grenzt sich BLM so auch von der klassischen Schwarzen Bürgerrechtsbewegung ab, die von Gruppen und charismatischen, meist männlichen Anführer*innen dominiert war. Sie problematisiert die Marginalisierung von queeren und trans* Identitäten ebenso wie jene von Menschen ohne Aufenthaltsstatus und ohne Anspruch auf Bürger*innenrechte. Auch in Europa und in Deutschland wirkt sich in den letzten Jahren der Einfluss dieser neuen antirassistischen Bewegung aus, der sich in der Übernahme und Aneignung des Labels #BlackLivesMatter sowie in Ansätzen einer eigenen Organisation zeigt.