Das Schweigen durchbrochen

100 Jahre Pogrom von Tulsa

Vom 31. Mai bis 1. Juni 1921 überfiel die weiße Bevölkerungsmehrheit das Schwarze Viertel in der US-amerikanischen Stadt Tulsa. Mit staatlicher Duldung wurde das Greenwood-Viertel geplündert und nahezu komplett zerstört, bis zu 300 Menschen wurden getötet und hunderte verletzt. Das Pogrom wurde über Jahrzehnte verschwiegen und vertuscht, bis die Opfer, ihre Nachfahren und antirassistische Aktivist\*innen Aufarbeitung und Gerechtigkeit einforderten.

Vom 31. Mai bis 1. Juni 1921 überfiel die weiße Bevölkerungsmehrheit das Schwarze Viertel in der US-amerikanischen Stadt Tulsa. Mit staatlicher Duldung wurde das Greenwood-Viertel geplündert und nahezu komplett zerstört, bis zu 300 Menschen wurden getötet und hunderte verletzt. Das Pogrom wurde über Jahrzehnte verschwiegen und vertuscht, bis die Opfer, ihre Nachfahren und antirassistische Aktivist*innen Aufarbeitung und Gerechtigkeit einforderten.

Das Pogrom von Tulsa geschah in einer Zeit massenhafter Gewalt gegen afroamerikanische Bürger*innen. Durch das Wachstum der us-amerikanischen Industrieproduktion im frühen 20. Jahrhundert migrierten viele Schwarze aus den Südstaaten in die Industriezentren des Landes, um brutaler Ausbeutung in der Agrarindustrie und willkürlicher Strafverfolgung und damit verbundener Zwangsarbeit zu entgehen. Zwischen 1916 und 1970 suchten sechs Millionen von ihnen neue Lebensperspektiven in Industriestädten außerhalb der Südstaaten. Dabei bildete sich eine Schwarze Mittel- und Oberschicht heraus, und es kam zu einem kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung.

Verbunden war damit die Gründung zahl­reicher Zeitungen und Bürgerrechtsorganisationen, die rechtliche Gleichstellung und Diskriminierungsverbote einforderten. Viele in der weißen Bevölkerungsmehrheit nahmen insbesondere die neue politische Organisierung von Schwarzen als Bedrohung ihrer Vormachtstellung wahr und antworteten mit mörderischer Gewalt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu zahlreichen Pogromen, Massakern und Lynchmorden im gesamten Land, denen Tausende zum Opfer fielen. Eines der verheerendsten Gewaltexzesse traf die afroamerikanische Gemeinde von Tulsa, Oklahoma, die 1921 etwa 12.000 Menschen umfasste.

Ein Funke wird zum Lauffeuer

Wie in vielen anderen Fällen diente der Vorwurf der „Entehrung“ einer weißen Frau durch einen Schwarzen Mann als Rechtfertigung für das Pogrom. Allein zwischen 1907 und 1921 wurden im Bundesstaat Oklahoma 26 Schwarze von weißen Mobs außergerichtlich in Anwesenheit von Presse und Polizei hingerichtet, Schaulustige nahmen Kleidungsstücke und Gliedmaßen als Andenken mit nach Hause.

In Tulsa wurde am 30. Mai der 19-jährige Schuhputzer Dick Rowland bezichtigt, eine weiße Jugendliche sexuell genötigt zu haben. Schnell sprach sich der Vorfall in der Stadt herum, auch dank einer sensationalistischen Bericht­erstattung der weißen Lokalpresse. Rowland wurde am 31. Mai verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Am Abend kam es zu einer Konfrontation zwischen einem weißen Lynchmob von etwa 2.000 Personen, der sich vor dem Gefängnis sammelte und die Herausgabe von Rowland forderte, und bis zu 75 Schwarzen, darunter viele Weltkriegsveteranen, die sich mit Schusswaffen aufgemacht hatten, um den drohenden Mord zu verhindern. Bei einer verbalen Auseinandersetzung fiel ein Schuss, der einen Weißen verletzte, woraufhin eine Schießerei begann. Beim ersten Schusswechsel starben zehn Weiße und zwei Schwarze. Der weiße Mob verfolgte die sich in Unterzahl befindende Schwarze Selbstverteidigungsgruppe nach Greenwood und entschied, die gesamte afroamerikanische Gemeinde als Strafe anzugreifen. In den frühen Morgenstunden des 1. Juni brannten die ersten Feuer im Stadtviertel.

Staat und Mob Hand in Hand

Die hastig von einigen Afroameri­kaner*innen errichteten Verteidigungspositionen und die wenigen Schusswaffen, die ihnen zur Verfügung standen, waren der Übermacht nicht gewachsen. Die rassistischen Angreifer, die auch über Flugzeuge verfügten, aus denen geschossen und Dynamit auf fliehende Menschen geworfen wurde, überrannten das Viertel. Unterstützt wurden sie dabei von der einberufenen Nationalgarde, welche angrenzende weiße Viertel absicherte und Schwarze Verteidigungseinheiten angriff, oft in direkter Zusammenarbeit mit den Plünderern. Diese zogen von Haus zu Haus und zwangen die Bewohner*innen in Internierungslager. Wer sich wehrte, wurde erschossen. Auch Polizisten waren Teil des Mobs. Die Häuser, Wohnungen, Geschäfte und Kirchen von Greenwood wurden geplündert und das Viertel weitestgehend niedergebrannt. Die Dunbar Schule wurde sogar mit Dynamit gesprengt. Am 1. Juni setzte die Nationalgarde gegen Mittag einen Ausnahme­zustand durch. Zuflucht vor der Gewalt wurde einigen Afroamerikaner*innen vor allem von jüdischen Stadtbewohn­er*innen gewährt.

Die Überlebende Olivia J. Hooker beschrieb 2018 in einem Interview mit dem Radiosender NPR die Zerstörungs­wut: “[Unsere] Mutter versteckte uns unter dem Tisch. Sie nahm ihre längste Tischdecke, um vier Kinder zu verstecken und sagte uns, wir sollten still sein. Als die Plünderer in das Haus kamen, versuchten sie alles zu zerstören, das sie finden konnten. Sie nahmen eine große Axt und fingen an, das geliebte Klavier meiner Schwester Aileen zu schlagen […]. Es war ein gutes Klavier, und sie dachten, wir sollten so etwas nicht besitzen. […] Das Kleidungsgeschäft meines Vaters wurde zerstört. Es blieb nichts als ein großer Tresor übrig.“

Die genauen Opferzahlen lassen sich schwer bestimmen, Schätzungen reichen bis hin zu 300 Pogromopfern und mehr als 1.250 zerstörten Gebäuden. Leichen wurden laut Berichten von Überlebenden anschließend in den Arkansas River geworfen, in Zügen abtransportiert oder in unmarkierten Massengräbern verscharrt. Etwa 9.000 Menschen wurden obdachlos. Im Anschluss an den Überfall wurden tausende Afroamerikaner*innen über mehrere Tage inhaftiert. Es kam zu keinen Strafverfahren gegen marodierende Weiße. Das wirtschaftliche Ausmaß der Zerstörung war verheerend, und der Wiederaufbau der Gemeinde wurde immer wieder behindert und dauerte viele Jahre.

Aufarbeitung und Reparationsforderungen

In der Öffentlichkeit wurde ein Mantel des Schweigens über das Pogrom gehüllt, es verschwand in der kollektiven Erinnerung. Erst die von Afro­amerikan­er*innen angetriebene Schwarze Geschichtsforschung führte Anfang der 1970er Jahre zu einem neuen Bewusstsein für das Thema und verstärkten Forderungen nach Aufarbeitung und Reparation.

1996 wurde eine Untersuchungskommission zum Pogrom vom Abgeordnetenhaus von Oklahoma beauftragt, die 2001 einen umfassenden Bericht zu den Ereignissen vorlegte. Die Kommission empfahl Reparationszahlungen an die Überlebenden und ihre Nachfahren, wirtschaftliche Förderung, die Einrichtung eines Studienförderprogramms und eines Gedenkortes, an dem die Überreste von Opfern aus Massengräbern beerdigt werden können. Die Stadt setzte nur die letzten drei Forderungen um, einigen Überlebenden wurde als Zeichen der Anerkennung eine städtische Medaille verliehen. Direkte Reparationszahlungen wurden abgelehnt. Seit 2002 wird das Pogrom in örtlichen Schulen vermittelt, seit 2020 ist es Teil des Lehrplans.

Viola Fletcher, ihr Bruder Hughes Van Ellis und Lessie Benningfield Randle sowie weitere Überlebende verklagen seit 2020 die Stadt Tulsa, die Handels­kammer, den Landkreis und den Bundesstaat auf Reparationen. Im Mai 2021 wurden sie im Kongress angehört, um ein Bundesgesetz für Reparationsleistungen zu unterstützen. Insbesondere durch die “Black Lives Matter”-Proteste der letzten Jahre haben ihre Forderungen neues Gewicht in der Öffentlichkeit erhalten. Der Erfolg ihrer Forderungen bleibt allerdings auch hundert Jahre nach dem Pogrom ungewiss.

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