Lokalpolitiker und Demagoge

Über den hessischen AfD-Funktionär Carsten Härle

Nach der Kommunalwahl 2016 wurde Carsten Härle Fraktionsvorsitzender der AfD in Heusenstamm. Seitdem sorgte der 52-Jährige mehrfach für Aufsehen durch antisemitische und geschichtsrevisionistische Äußerungen. Trotz Abgrenzung des Landesvorstandes der AfD sind die Konsequenzen bisher überschaubar.

Nach der Kommunalwahl 2016 wurde Carsten Härle Fraktionsvorsitzender der AfD in Heusenstamm. Seitdem sorgte der 52-Jährige mehrfach für Aufsehen durch antisemitische und geschichtsrevisionistische Äußerungen. Trotz Abgrenzung des Landesvorstandes der AfD sind die Konsequenzen bisher überschaubar.

Am 5. Mai 2021 wurde Carsten Härle vom Amtsgericht Offenbach wegen Volksverhetzung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Härle die Shoa mit der Behauptung, dass es in Konzentrationslagern „keine Duschkabinen mit Gas“ gegeben habe, verharmlost habe. Das Gericht folgte Härles Verteidigung nicht, die behauptet hatte, dass sein Facebook-Konto gehackt worden sei. Der Richter attestierte ihm vielmehr, dass derartige Äußerungen dem Streben nach Öffentlichkeit geschuldet seien und befand, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten worden seien. Härle wurde zu 60 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt. Das milde Urteil wurde mit der Länge des Verfahrens (ab 3. Juni 2019) begründet. Er hat mittlerweile auch Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Wohl als Kommentar zum Urteil teilte er am selben Tag auf Facebook ein Bild mit dem Nietzsche-Zitat: „Es wurde bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit verboten.“

Härles Leugnung des Massenmords mit Zyklon B in Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslagern und der Bezeichnung entsprechender Berichte als „pure erfundene Gräuelpropaganda“ findet sich auch im Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur AfD von 2019 wieder. Dieses attestiert, dass seine Äußerungen „durchaus für ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild sprechen“ und führt hierzu weitere geschichtsrevisionistische und antisemitische Positionen des 52-Jährigen an. Auch Härles Hang zu weiteren Verschwörungsmythen wird dargelegt. Wie im „Reichsbürger“-Milieu üblich, stellt er laut Gutachten die „Souveränität der Bundesrepublik“ infrage und spricht „in diesem Zusammenhang [von] einer anhaltenden Beeinflussung durch fremde Mächte“, was Grundlage nahezu aller antisemitischer Verschwörungsmythen ist.

Unter Gleichgesinnten

Dass Härle nicht nur inhaltlich Schnittmengen mit verschiedenen Spektren der extremen Rechten aufweist, zeigte sich bei einer Kundgebung der Kleinstpartei Arminus-Bund am 29. August 2020. Bei dieser Kundgebung in Friedland bei Göttingen anlässlich des „Tags der Vertreibung der Deutschen in der UdSSR“ trat Härle als Redner auf. Neben ihm sprachen Johann Thießen, Chefredakteur des Magazins der Russlanddeutschen Konservativen, Roland Wuttke, Chefredakteur der neonazistischen Zeitschrift Volk in Bewegung, Alfred Zips, Mitglied im Bundesvorstand der geschichtsrevisionistischen Gesellschaft für freie Publizistik, sowie Lydia Walz, die 2014 noch stellvertretende Bundesvorsitzende und Schatzmeisterin im Landesverband Baden-Württemberg des Arminus-Bundes war (vgl. LOTTA #56, S. 33 ff.). Unter den etwa 35 Anwesenden waren auch die NPD-Funktionäre Thorsten Heise und Peter Süßbier sowie der ehemalige Parteifunktionär Sascha Wagner.

Härles Redebeitrag bediente geschichtsrevisionistische, antisemitische und rassistische Positionen. Er sprach von „75 Jahren alliierter Umerziehung“ und einer vermeintlichen Nichtaufarbeitung der Vertreibung, die es „Eliten erlaubt, die Völker und Bürger immer wieder zu spalten, in Konflikte zu hetzen und den Frieden zu stören“. Auch schlug er eine Brücke in die Gegenwart und beklagte, dass „Millionen junger […] kulturfremder Menschen nach Deutschland eingeschleust“ und die Deutschen letztendlich „weggetauscht“ würden.

Von einer ähnlichen Veranstaltung berichtete Belltower News im Juni 2019; ein klandestines Treffen von „Neonazis und Holocaustleugner*innen in einem Dorfhaus in Wiehl-Dreisbach“ im Oberbergischen Kreis (NRW). Laut Bericht soll neben Härle auch Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) teilgenommen haben. Auf einem veröffentlichten Bild von der Veranstaltung ist Härle mit Sascha Wagner zu sehen. Bei dem Treffen soll es sich um ein „Lesertreffen“ der Zeitschrift Die Russlanddeutschen Konservativen gehandelt haben, die starke personelle Überschneidungen mit der Kleinstpartei Arminius-Bund aufweist. Ebenfalls als Redner wird Axel Schlimper aus Thüringen, Funktionär der 2017 aufgelösten Europäischen Aktion benannt. Schlimper sprach laut Bericht davon, dass die Ziele der EA verbreitet werden sollen, damit an einem „Tag X“ eine neue Gesellschaftsordnung gemäß den Grundsätzen der EA aufgebaut werden könne.

In der AfD

Es passt demnach ins Bild, dass Härle etwa zwei Jahre lang als parlamentarischer Mitarbeiter des aus der AfD ausgeschlossenen Wolfgang Gedeon angestellt war, wie beide dem Südkurier bestätigten. Die inhaltliche Nähe beider ist offensichtlich. In der AfD Hessen hingegen ist Härle seit der Veröffentlichung des BfV-Gutachtens Reizthema. Der Landesvorsitzende Robert Lambrou kündigte Anfang 2019 ein Parteiausschlussverfahren gegen Härle an und betonte dabei, dass ihn die Äußerungen von Härle „anekeln“ würden. Doch bis heute ist Härle AfD-Mitglied und sitzt nach wie vor in der Stadtverordnetenversammlung in Heusenstamm. Parallel wurde gegen ihn eine Ämtersperre verhängt, um zu verhindern, dass er zum Kreisvorsitzenden gewählt werden kann, wie Härle in einer Stellungnahme vermutet. Zur Kommunalwahl 2021 trat Härle allerdings wieder an, sowohl in Heusenstamm, als auch auf der Parteiliste im Kreis Offenbacher Land. Den Einzug in den Kreistag verpasste er knapp, in Heusenstamm sitzt er aber wieder in der Stadtverordnetenversammlung, als eine von zwei Personen für die AfD, die auf 6,71 Prozent kam.

Überregional dürfte es für ihn allerdings schwer werden, eine exponierte Position innerhalb der Partei einzunehmen. Bereits 2018 bewarb er sich ohne Erfolg um einen Platz auf der KandidatInnenliste zur Landtagswahl. Ob er ausgeschlossen wird, bleibt fraglich. Dies wird auch davon abhängen, wie der Prozess wegen Volksverhetzung in der nächsten Instanz ausgeht. Bereits beim Ausschlussverfahren gegen Christine Thüne (Offenbach) fehlte der Partei die Motivation für ein konsequentes Durchgreifen. Thüne gewann schließlich durch ein Versäumnisurteil (vgl. LOTTA #81, S. 26 ff.), da von Parteiseite Fristen nicht eingehalten wurden. Die Fälle Härle und Thüne stehen dabei sinnbildlich für das Vorgehen der hessischen AfD, sich wenn überhaupt von Einzelpersonen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, zu distanzieren. Und das auch nur halbherzig.

Härle hat allerdings bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, wie sich auch bei Veranstaltungen zeigt, etwa bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen am 16. Mai 2021 in Frankfurt, bei der nur er die AfD repräsentierte. Mit einem an der Kopfbedeckung befestigten Pappschild mit der Aufforderung „Gib Gates keine Chance“ und einer vor der Brust getragenen Pappe mit der Botschaft „Herrschaft der Wirrologen“ wirkt sein Auftreten geradezu grotesk. Dennoch erfuhr er viel Anerkennung von Gleichgesinnten, die ihn schnell erkannten. Gerade hierin könnte die AfD wiederum einen Nutzen für sich sehen.

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