Die Aloisius-Grundschule Ahrweiler wurde zur Anlaufstelle der "Querdenker"
Alex Wißmann

Eine Flut „Querdenker*innen“ und Neonazis

Die Katastrophe im Ahrtal und die extreme Rechte

Am 14. Juli schädigten Wassermassen in Folge eines Starkregens auch das rheinland-pfälzische Ahrtal schwer. In dieser unübersichtlichen und volatilen Situation entfalteten früh auch „Querdenker\*innen“ und andere extrem Rechte eigene Aktivitäten. Ein ordnender Blick auf die Situation vor Ort zeigt die unterschiedlichen Interessen und Strategien der Akteur\*innen.

Am 14. Juli schädigten Wassermassen in Folge eines Starkregens auch das rheinland-pfälzische Ahrtal schwer. In dieser unübersichtlichen und volatilen Situation entfalteten früh auch „Querdenker*innen“ und andere extrem Rechte eigene Aktivitäten. Ein ordnender Blick auf die Situation vor Ort zeigt die unterschiedlichen Interessen und Strategien der Akteur*innen.

Unmittelbar nach der Katastrophe mobilisierten „Querdenker*innen“ in ihren Telegram-Kanälen Hilfsangebote und Spendensammlungen und errichteten in der Ahrweiler Aloisiusschule eine physische Anlaufstelle. Besonders der Verein Eltern stehen auf e.V. fiel durch seinen Versuch auf, ein Familienzentrum mit Psycholog*innen und Seelsorger*innen des eigenen Spektrums aufzubauen. Verantwortlich zeigte sich der selbsternannte „Einsatzleiter“ Oberst a. D. Maximilian Eder. Laut Recherchen von Kontraste und rbb24 erließ Eder in enger Abstimmung mit den „Querdenkern“ Michael Ballweg und Bodo Schiffmann schriftliche „Befehle zur Hochwasserhilfe“.

Die „Kommandozentrale“ wurde nach eigenen Angaben vom Veteranen Pool aufgebaut. Die Gruppe bestehe aus „Veteranen der Bundeswehr und der NVA“ und ist bereits durch Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Erscheinung getreten. Doch vom „Einsatzleiter“ Eder distanzierte sie sich. Er sei „weder eingeladen, noch mit irgendetwas beauftragt“ worden.

Desinformation und Selbstüberschätzung

Noch Tage nach der Flut waren weite Teile des Ahrtals ohne funktionierendes Telefonnetz und Internet. Nicht nur über Social Media, auch vor Ort nutzten „Querdenker*innen“ dies für ihre politische Agenda aus und nährten das Narrativ eines versagenden Staates. Ihren Hass auf die Regierung lebten Teile der Bewegung projektiv durch die Beschimpfung von und Angriffe auf Hilfsorganisationen aus. Davon berichtete die Polizei Koblenz und Sabine Lackner, Vize-Präsidentin des THWs, benennt frustrierte Flutopfer, „vor allem aber Menschen aus der „Querdenker“- und Prepper-Szene” als Täter*innen.

Unmittelbar nach der Katastrophe traten rechte Medienaktivist*innen aus der Aloisiusschule in die Öffentlichkeit, um von der Situation und den eigenen Aktionen zu berichten. Darunter waren etwa die bekannten Aktivisten Matthäus Westfal, Ignaz Bearth, Reza Begi und die unter Pseudonym auftretende Streamerin „Patriot on Tour”. In einem ihrer Videos beschwerte sich eine geschädigte Anwohnerin lautstark über die als pietätlos empfundenen Filmaufnahmen: „Sie sollten sich schämen.“ Das aufdringliche und voyeuristische Verhalten der „Querdenker*innen“ stieß vor Ort eher auf Ablehnung. Damit dürfte die Wirkung ihrer Propaganda vor Ort überschaubar gewesen sein.

Gekommen waren auch eindeutig neonazistische Medien wie die Deutsche Stimme, das Compact-Magazin und der als „Volkslehrer“ bekannte antisemitische Medienmacher Nikolai Nerling. Nachdem die Polizei ihm einen zweiwöchigen Platzverweis für das Katastrophengebiet erteilt hatte, verließ er das Ahrtal und hielt am 18. August 2021 eine Kundgebung in Koblenz ab, die bis zu 20 Personen besuchten.

Wie groß die Bedeutung der Katastrophe für die Bewegung der „Querdenker*innen“ ist, zeigt eine von Bodo Schiffmann initiierte Spendenaktion, die über 700.000 Euro einwarb. Letztlich scheiterte die Auszahlung jedoch unter anderem, weil sein Paypal-Account gesperrt wurde. Wegen einer möglichen Veruntreuung der Gelder hatten zudem Bürger*innen Anzeigen erstattet. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Heidelberg wegen Betrugs.

Das „Querdenker*innen“-Milieu versuchte im Ahrtal ein neues Thema zu besetzen und konnte rasch Mitstreiter*innen mobilisieren, massiv die öffentliche Debatte prägen und Spenden akquirieren. Doch dauerhaft konnten die „Querdenker*innen“ ihre Präsenz nicht erhalten. Auch weil das Landesjugendamt nach etwa zwei Wochen intervenierte und sie die Aloisiusschule verlassen mussten.

Bundesweite Hilfe für das Ahrtal

Bei den Neonazis steht nicht das unmittelbare Stiften von Unruhe und Verbreiten von Propaganda im Vordergrund; sie wollen vielmehr als tatkräftige Helfer*innen erinnert werden. „Volkssolidarität“ nennt das etwa Frank Kraemer, der als Betreiber des Medienprojekts Der dritte Blickwinkel eigentlich auf Reichweite sinnt. Im Interview mit dem Berliner Neonazi Sebastian Schmidtke gibt sich der Eitorfer Kraemer aber pragmatisch: Zunächst habe er in Bad Münstereifel (Kreis Euskirchen) und später zusammen mit Mitstreiter*innen in Ahrweiler Hilfe geleistet. Bürger*innen und Helfer*innen habe er sich dort allerdings nur im Gespräch als Rechter zu erkennen gegeben.

Hilfe von auswärts kam auch von der neonazistischen Partei Der III. Weg. Mit Unterstützung aus Thüringen und Bayern halfen unter Beteiligung des Bundesvorsitzenden Klaus Armstroff und des Gebietsleiters West Julian Bender, rund 30 Personen bei den Aufräumarbeiten in Ahrweiler. Später reiste eine zweite Gruppe aus Bayern und Württemberg ins Ahrtal. Bender kündigte an, ihr Siegener Parteibüro werde als Anlaufstelle für Spenden zur Verfügung stehen. Damit machte er deutlich, dass die Beseitigung der Flutschäden langfristig ein Thema bleiben wird.

Aus Sachsen reisten 20 Personen um den NPD-Politiker Stefan Trautmann an, die fünf Transporter mit gespendeten Hilfsgütern nach Dernau bei Ahrweiler brachten. Der rheinland-pfälzische Landesverband war vor Ort nicht wahrnehmbar, für die Partei ist das Thema allerdings relevant. In ihrem Werbespot zur Bundestagswahl spricht der Vorsitzende Frank Franz die Flut und das angebliche Versagen des Staates noch vor Pandemie und Rente an.

Hinzu kommen extrem rechte Einzelpersonen, die sich vielfältig an Hilfeleistungen im Katastrophengebiet beteiligten: Timm Kellner, Ex-Polizist, rechtslastiger Rocker und Mitbetreiber des Medienportals Profortis Deutschland, rief in einem Video Motorradclubs und Fußballfans auf, ihm gleichsam vor Ort Hilfe zu leisten. Zu Gunsten der „Kameraden im Ahrtal“ wurde bei Telegram Merchandise vom RacDrummer und der rheinland-pfälzischen Band Renitenz um Daniel Strunk versteigert.

Dankbare Empfänger

Auch die Hooligan-Band Kategorie C forderte zu Sachspenden auf und versteigerte CDs. Ein Teil der Erlöse verteilte die Aktivistin Melanie Dittmer an Neonazis. Einen anderen Teil übergab Rene Laube (Die Rechte) etwa an Marcel R., einen ehemaligen Angeklagten im Prozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein (ABM).

Neben R. mussten sich ab 2012 noch 25 weitere Neonazis wegen ihrer Aktivitäten im Umfeld des ABM vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Darunter war auch Philipp Neumann, dessen Band Flak dem Ahrtal weiterhin verbunden ist. Anlässlich der aktuellen Zerstörungen rief er zu Spenden auf ein Konto der Partei Die Rechte auf und beteiligte sich an den Aufräumarbeiten. Im Gespräch mit Schmidtke erwähnte er einen „guten Kameraden“, der in der Gegend wohne. Gemeint haben könnte er seinen NPD-Parteifreund und einstige Führungsperson des ABM, Christian Häger, der nach dem Prozess für Udo Voigt (MdEP, NPD) arbeitete. In der Krise können die alten Netzwerke offenbar reaktiviert werden.

Im Kampf ums Überleben

Wie die Neonazis die Krise deuten, folgt im Kern einer rechtspopulistischen Sichtweise, die ihre Schuldigen in der abgehobenen Elite und den „Fremden“ findet. Für sie gelten Politiker*innen und Behörden grundsätzlich als unfähig oder gar unwillig im Vorfeld angemessene Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen. Auch nach der Katastrophe wären Rettungskräfte, Bundeswehr und Polizei eher abwesend, packten nicht mit an oder schikanierten die helfenden Neonazis. Migrant*innen und andere angeblich fremde Bevölkerungsgruppen würden stehlen und plündern, zumindest aber nicht mithelfen. Jenseits des vorgeblich falschen Krisenmanagements werden Ursachen kaum benannt. Einigkeit besteht zumindest darin, dass der Klimawandel — sofern sie ihn einräumen — unschuldig sei. Kraemer beispielsweise sieht eher eine falsche Stadtplanung, die Städte und Dörfer zu nah an Flüsse gebaut habe, als ursächlich an.

Viel wichtiger als Ursachenforschung ist den Neonazis das Gefühl, gebraucht zu werden. Jemand wie Schmidtke hat sich jahrelang auf Krisensituationen und ein Leben mit der rauen Natur vorbereitet. Seine Survival-Videos erreichen bei YouTube tausende Klicks. Die Neonazis wollen nun ihre Neigung zu militärischer Organisation und Expertise im ewigen Kampf ums Überleben unter Beweis stellen. In dieser gesellschaftlichen Ausnahmesituation versuchen sie tatkräftig anzupacken, den (semi-)staatlichen Hilfen so den Rang abzulaufen und die Handlungsmächtigkeit der Szene zu demonstrieren. Durch ihr Handeln machen sie Selbstwirksamkeitserfahrungen, die nach innen den Zusammenhalt und die Vernetzung stärken und nach außen ihre moralische und organisatorische Überlegenheit demonstrieren sollen. So zielen sie weiterhin auf einen Mitläufer*inneneffekt: neue Leute sollen sich anschließen und Zweifler*innen wieder stärker an eine tatkräftige Bewegung gebunden werden. Dafür spielt herkömmliche Propaganda nur eine untergeordnete Rolle, es geht um die Propaganda der Tat.

Was bleibt?

Die Katastrophe im Ahrtal hat medienaffine „Querdenker*innen“ angezogen, die vor Ort aber keine nennenswerte Verankerung haben und noch dazu im kritischen Fokus der Öffentlichkeit stehen. Ihnen gelang es vor allem in den ersten Tagen nach der Flut Unruhe zu stiften und das schwindende Vertrauen in den Staat zu bestärken. Mangels Struktur und Organisation scheinen sie nicht in der Lage zu sein, ihre Aktivitäten zu verstetigen um ihrer schwächelnden Bewegung neuen Auftrieb zu geben.

Neonazis demonstrieren aktuell durch bundesweit koordinierte Hilfeleistungen für geschädigte Kamerad*innen ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit, die mittelfristig ihre Basis stärken und verbreitern soll. Es bleibt abzuwarten, ob die Akteur*innen versuchen werden, aus dieser gesellschaftlichen Krisenerfahrung mit ihrem enormen Konfliktpotential Kapital zu schlagen: Künftig werden sich gesellschaftliche Fragen zum Wiederaufbau und dessen Finanzierung, zur politischen Verantwortung und politischen Konsequenzen stellen. Hier zeichnen sich Gelegenheiten ab, im regionalen Wirken autoritäre Deutungsmuster zu popularisieren, die sich gegen den demokratischen Staat, seine Repräsentant*innen und die gesellschaftliche Pluralität richten. Dagegen werden sie ihre Vorstellung völkischer Hilfe stark machen.

Der begonnene materielle und soziale Wiederaufbau des Ahrtals setzt den Rahmen, in dem Neonazis versuchen könnten, ihre eigenen Strukturen zu festigen und größere politische Handlungsmächtigkeit zu erlangen. Wichtig bleibt außerdem, ob die Wiederbelebung und Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft gelingt.

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Foto des Tatort-Hauses