„Es wird nichts Großes mehr daraus“

Die „Identitäre Bewegung“ in der Transformation

Man sieht sie kaum noch, die rassistischen Aufkleber der „Identitären Bewegung“ (IB), ihre in Szene gesetzten Bannerdrops und ihre schwarzgelben Lambda-Fahnen. Die IB befindet sich im Niedergang — oder treffender formuliert in einem Transformationsprozess.

Man sieht sie kaum noch, die rassistischen Aufkleber der „Identitären Bewegung“ (IB), ihre in Szene gesetzten Bannerdrops und ihre schwarzgelben Lambda-Fahnen. Die IB befindet sich im Niedergang — oder treffender formuliert in einem Transformationsprozess.

Verlautbarungen von anerkannten Führungspersonen haben in der streng hierarchischen „Neuen Rechten“ eine große Bedeutung. Und so wurden die Geburtshelfer und Vordenker der IB im deutschsprachigen Raum zu ihrem Totengräber. Im Juni 2019 attestierte Alexander Markovics, Gründer und Führungsfigur der IB in Österreich, der IB im Interview mit der NPD-Zeitung Deutsche Stimme, sie sei „zu einer Sekte verkommen, die sich nur noch auf die Vermarktung ihrer selbst beschränkt“. Der Aufruf der IB zu einer Demonstration in Halle kurz darauf im Juli 2019 wirkte wie ein letztes Aufbäumen und gleichzeitig wie eine verunsicherte Vergewisserung des verbliebenen Rückhalts. Der Tag wurde für die IB aufgrund antifaschistischer Gegenproteste zum Desaster und fand sein Ende in einem frustrierten Saufgelage. Kurz darauf wurde im Oktober 2019 das Hausprojekt in Halle aufgegeben. Als sich Götz Kubitschek im Herbst 2019 im Interview mit der Grazer Postille Neue Ordnung (jetzt Abendland) zu den „Identitären“ äußerte, hatte er die IB bereits abgeschrieben. „Dieser wirklich gute Ansatz einer patriotischen, nicht-extremen und sehr kreativen Jugendbewegung“ sei „nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert. Das bedeutet: Es wird nichts Großes mehr daraus.“

„Sich neu erfinden“

Die Gründe für den Niedergang der IB sind vielfältig und reichen von antifaschistischer Recherche, Aufklärungsarbeit und konkreten Interventionen über Deplatforming bis hin zu Martin Sellners Kontakten zum Christchurch-Attentäter und daraus folgenden juristischen Konsequenzen. In Frankreich wurde die IB im Frühjahr 2021 verboten, Österreich folgte dem Beispiel im Sommer 2021 in abgemilderter Form, als es Symbole der IB und ihrer Nachfolgeorganisationen verbot. Auch deutsche „Identitäre“ rechneten daraufhin fest mit einem Verbot. Interne Debatten um die Zukunft der IB nahmen an Fahrt auf. „Die Jungs […] müssen jedenfalls neu nachdenken, sich neu erfinden, den Dreh rauskriegen“, so Kubitschek im Dezember 2019. „Sich selbst aus dem Spiel nehmen“, wie Kubitschek es empfahl, und damit einen sauberen Schlussstrich ziehen, schien für den harten Kern der IB aber nicht in Frage zu kommen. Stattdessen begab sie sich mit pathetischen Durchhalteparolen in die Opferrolle und suchte verzweifelt neue Wege. Einige IB-Orts- und Regionalgruppen lösten sich aber tatsächlich auf. Andere, wie die Regionalgruppe Schwaben, begannen bereits Ende 2020 damit, ihr Auftreten zu verändern. Sie agierten anonym, verpixelten auf Fotos ihre Gesichter und traten bei Aktionen vermummt auf. Etwa mit dem von nun an von IB-Gruppen gern getragenen weißen Schlauchschal mit dem Aufdruck „Heimatschützer“, den der Phalanx Europa-Online-Shop um diese Zeit ins Sortiment aufgenommen hatte.

Die Wiener „Identitären“ machten den schleichenden Transformationsprozess zum Konzept. In Österreich drängte es die „Identitären“ bereits 2020 in die Anonymität. Sellner und Jakob Gunacker scharten zunächst eine kleine Aktionsgruppe in Wien um sich und richteten den Aktionsblog Patrioten in Bewegung ein, über den sie fortan ihre anonym durchgeführten Aktionen veröffentlichten, die jedoch kaum noch mediale Beachtung erfuhren. Ab 2021 führten sie dann Aktionen unter dem Label Wiener Widerstand durch. Ästhetisch bedient sich die „identitäre“ Wiener Aktionsgruppe am Auftritt der faschistischen und offen antisemitischen Patriot Front aus den USA: Die Mitglieder reisen in Kleintransportern zu Aktionen an, tragen einheitliche dunkelblaue Jacken, sind mit weißen Halstüchern vermummt und inszenieren ihre Auftritte in Videos. Die rassistische Erzählung vom „Erhalt der ethnokulturellen Identität“ bleibt dieselbe.

Generationswechsel

Sichtbarkeit erlangten die „Identitären“ zuletzt gelegentlich wieder im Kontext der großen Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demos ab Februar 2021. Auch hier waren die österreichischen „Identitären“ Vorreiter. Vermummt und mit rot-weißen Bannern sowie Pyrotechnik ausgestattet versuchen sie immer wieder, sich an die Spitze von Demonstrationen zu setzen, diesen damit ästhetisch wie inhaltlich ihren Stempel aufzudrücken und sich als Speerspitze der „Bewegung“ zu gerieren. Während sich die Gruppe in Anonymität hüllt und auch Martin Sellner Abstand vortäuscht, gibt es mit dem „identitären“ Burschenschafter Gernot Schmidt ein Gesicht und einen Sprecher der Gruppe, der mit dem neuen Auftreten vor allem „gute, junge, sportliche Männer“ ansprechen möchte.

Im August 2021 unterfütterte die IB den bereits vollzogenen „Wandel“ in einem Artikel auf dem IB-Blog Der Funke. Neben viel Eigenlob wird der Niedergang seit 2018 eingestanden und ein Generationswechsel beschrieben. Tatsächlich sucht die erste Generation der „Identitären“, die mittlerweile die 30 überschritten hat und aktivistisch wie privat verbrannt ist, ihr Glück in Strukturen abseits der Straße. Beispielhaft seien hier etwa die Medienagentur Okzident Media von Daniel Fiß, die Medienagentur Tannwald Media von Alexander Kleine, das Medienteam von Ein Prozent um Simon Kaupert und die zahlreichen Übertritte in die AfD und ihre Jugendorganisation Junge Alternative genannt. Die neue „identitäre Bewegung“ (mit kleinem „i“) kommt mit Uniform und Schlauchtuch daher, ohne feste Ortsgruppen, Stammtische und das Corporate Design der IB. Auf Kosten der Anschlussfähigkeit ziehen sich die Neofaschist*innen in die Anonymität zurück, die die Hemmschwelle für potenzielle Mitstreiter*innen senkt und offenere Bezüge zu neonazistischen Inhalten und Strukturen erlaubt.

IB-Nachfolgegruppen

Seit Mitte 2021 sprießen auch in Deutschland zahlreiche IB-Nachfolgegruppen aus dem Boden, die sich etwa Aktives Hessen, Revolte Rheinland, Westfalens Eichensöhne oder Schwaben Bande nennen und an ihren weißen Schlauchtüchern mit jeweiligem Regionalwappen zu identifizieren sind. Sie springen auf regionale Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demos auf und inszenieren sich dort zumeist vermummt hinter ihren Bannern. Wie die alte IB setzt auch die neue iB vor allem auf Inszenierung in den sozialen Medien. Hinter den einzelnen Ortsgruppen stecken zumeist nur wenige Personen. Ihre Aktionen kommen in den meisten Fällen nicht über die eigenen Echokammern der ihnen verbliebenen sozialen Medien wie Telegram und Instagram hinaus.

Die maximal ein halbes Dutzend Personen umfassende „identitäre“ Gruppe Aktives Hessen trat mehrfach bei Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demos in Erscheinung. So am 27. November 2021 mit einem „Heimatschutz statt Mundschutz“-Banner in Frankfurt, am 19. Dezember 2021 gemeinsam mit der IB Schwaben hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Wir halten stand“ in Nürnberg sowie am 29. Januar 2022 bei der Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demo wiederum in Frankfurt, wo sie ein „Wir sind die rote Linie“-Banner trug. Die hessischen „Identitären“ speisen sich immer noch aus dem Burschenschaftsmilieu; konkret der Marburger Burschenschaft Germania sowie — über die Landesgrenze hinweg — der Burschenschaft Germania Halle zu Mainz. Während der frühere hessische IB-Kader Heinrich Mahling zuletzt kaum noch öffentlich in Erscheinung trat, gerierte sich Patrick S. als neue exponierte Figur der „Identitären“ in Hessen. S. betreute 2021 gemeinsam mit dem Chefredakteur der „neurechten“ Öko-Zeitschrift Die Kehre, Jonas Schick, den Stand des „neurechten“ Kleinverlages Oikos Verlag auf der Frankfurter Buchmesse. Schick ist ebenfalls langjähriger „Identitärer“, der zur Zeit mit Support aus Schnellroda versucht, sein eigenes publizistisches Standbein aufzubauen.

Revolte Rheinland ist ein Zusammenschluss „identitärer“ Restbestände aus NRW und Rheinland-Pfalz. Enge Kontakte und personelle Überschneidungen bestehen nicht nur in Richtung AfD, sondern besonders stark ins Spektrum der Bünde des extrem rechten Dachverbandes Deutsche Burschenschaft (DB). Die Ende 2021 gegründete Gruppierung ordnete sich in einem Interview selbst der „Neuen Rechten“ zu und gab an, dass ihre Mitglieder „bereits Erfahrung mit metapolitischem Aktivismus auf der Straße“ hätten. Aufgrund mangelnder eigener Mobilisierungsmöglichkeiten versuchten auch sie, nach Wiener Vorbild Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demos zur Selbstinszenierung zu nutzen, zum ersten Mal im November 2021 in Düsseldorf. Am 18. Dezember 2021 führte die Gruppe um den Ex-NPD- und späteren IB-Kader Benjamin Stein dort einen eigenen rechten Block an. Direkt hinter dem Banner marschierten die zur AfD gewechselte „Identitäre“ Reinhild Boßdorf und weitere AfD- und JA-Funktionäre. Sowie DB-Burschenschaftler, insbesondere von der extrem rechten Alten Halleschen Burschenschaft Rhenania-Salingia zu Düsseldorf um Jeremy Franosch aka „Jey Kowski“ und Maximilian Schmitz, die aktuell als vorsitzende DB-Burschenschaft fungiert. Nach diesem Auftritt verschwanden Teile des Blocks im Haus der „Rhenanen“. Am 20. Dezember 2021 führte eine kleinere Gruppe hinter dem Banner der Revolte Rheinland die Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demo in Bonn an. Die Gruppierung, die sich selbst ein „identitäres Weltbild“ zuschreibt, sorgte für hitzige Diskussionen im rechten Lager, weil sie am 8. Januar 2022 bei einer Demonstration in Düsseldorf ein Hochtransparent mit der Aufschrift „Die Krise heißt Kapitalismus“ mit sich führte. Der Versuch, Antikapitalismus von („neu“)rechts zu betreiben, wurde in den letzten Jahren vor allem vom „neurechten“ Ideologen Benedikt Kaiser theoretisch vorangetrieben.

Am 12. März 2022 schließlich waren es weder die Revolte Rheinland noch die Junge Alternative, die einen eigenen Block auf der samstäglichen Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demo in Düsseldorf bildeten, sondern nordrhein-westfälische Burschenschaften aus mehreren Städten — unter Führung der Rhenania Salingia. Durchaus bemerkenswert ob dieses in der Öffentlichkeit traditionell eher zurückhaltend agierenden Spektrums. Im burschenschaftlichen Block zu finden war auch einer der meistgebuchten Rechtsanwälte der extremen Rechten: der Düsseldorfer Björn Clemens, „Alter Herr“ der Marburger Burschenschaft Rheinfranken.

Keine Erfolgsgeschichte

Die von Kubitschek geforderte „Neu­erfindung“ der IB ist bislang alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Die „taktische Neuausrichtung“ in Form von Dezentralisierung und Anonymisierung dient dem Zwecke der Verschleierung — aus Angst vor öffentlichem Druck und Repression. Die neue „identitäre“ Generation versucht über ihre sportliche, militante Inszenierung jungen Männer eine „neurechte“ Erlebniswelt darzubieten. Damit büßt sie jedoch ihre ehemaligen Stärken des Corporate Designs und des Gesichtzeigens ein und verliert damit Anschlussfähigkeit und Wiedererkennungswert.

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Alex Völkel | nordstadtblogger.de