Der Bericht aus Bonn

Von Wahlniederlagen, Waffen, Pseudo-Feministinnen und Rheinland-„Revolten“

Bonn gilt bis heute als schwierig zu bespielendes Pflaster für die extreme Rechte. Militante Neonazi-Strukturen sind aktuell kaum noch wahrnehmbar, und die AfD kämpft einmal mehr mit sich selbst — und bewegt sich dabei noch weiter nach rechts. Recht präsent zeigt sich die AfD-nahe, „neurechte“ Frauengruppe „Lukreta“. Und es sind auch neue Strukturen entstanden. Gründe genug, nach langer Zeit wieder einmal einen Überblick zur extremen Rechten in und um Bonn zu geben.

Bonn gilt bis heute als schwierig zu bespielendes Pflaster für die extreme Rechte. Militante Neonazi-Strukturen sind aktuell kaum noch wahrnehmbar, und die AfD kämpft einmal mehr mit sich selbst — und bewegt sich dabei noch weiter nach rechts. Recht präsent zeigt sich die AfD-nahe, „neurechte“ Frauengruppe „Lukreta“. Und es sind auch neue Strukturen entstanden. Gründe genug, nach langer Zeit wieder einmal einen Überblick zur extremen Rechten in und um Bonn zu geben.

Es muss ein ernüchterndes Gefühl für die AfD Bonn gewesen sein, als sie bei der Landtagswahl 2022 nur noch knapp 3,4 Prozent der Zweitstimmen für sich gewinnen konnte. Damit holte der Kreisverband mit das schlechteste Ergebnis in NRW. Weniger überraschend ist das Abschneiden allerdings angesichts der Eskapaden im und rund um den Bonner Kreisverband. So sorgte beispielsweise der frühere stellvertretende Sprecher der AfD Bonn, Felix Cassel, Mitglied der Bonner Burschenschaft Frankonia, 2019 für Schlagzeilen, als er zusammen mit einem weiteren „Frankonen“ nach einer AfD-Veranstaltung in Köln-Kalk mit einem Auto in eine Gruppe Gegendemonstrant*innen fuhr. Die Vorwürfe hinderten ihn während des gut zweijährigen Prozesses (letztendlich wurde er dann in zweiter Instanz überraschend freigesprochen) jedoch nicht daran, in der Partei aufzusteigen. Heute ist er Mitglied der Bezirksvertretung Bonn und erst kürzlich wiedergewählter Vorsitzender des NRW-Landesverbands der Jungen Alternative (JA).

Neben Cassel sorgte auch der Bad Godesberger Bezirksabgeordnete Wolfgang Truckenbrodt wiederholt für Aufsehen. Im Sommer 2020 musste er nach einer „missbräuchlichen Verwendung“ seiner Schreckschusswaffe seinen kleinen Waffenschein und die dazugehörige Pistole abgeben. Bei einer im Anschluss durchgeführten Durchsuchung fand die Polizei jedoch eine weitere Waffe. Im September 2021 wurde er dann wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er im Kommunalwahlkampf 2020 einen Passanten mit einer Pfefferspray-Pistole angegriffen hatte.

Im Frühjahr 2022 trat der Hardtberger Bezirksvertreter Alex Savelsberg aus der AfD aus. Er begründete sein Verhalten mit einem „Rechtsruck in der Partei“ und erhob schwere Vorwürfe gegen den damaligen Sprecher der AfD Bonn, Sascha Ulbrich. Es folgte eine öffentlich auf Facebook ausgetragene Schlammschlacht. Auch wenn die Abwendung Savelsbergs möglicherweise eher machtpolitische Hintergründe hatte, so hat sich der Bonner Kreisverband in den vergangenen Jahren tatsächlich deutlich in Richtung „Rechtsruck“ entwickelt. Dies zeigte sich zuletzt im Auftreten des ehemaligen Sprechers und Direktkandidaten Hans Neuhoff, der auf der diesjährigen „Sommerakademie“ des Instituts für Staatspolitik (IfS) eine „wissenschaftliche“ Analyse des Ukraine-Kriegs darbot. Eingeladen wurde er laut eigenen Aussagen vom Leiter des IfS, Erik Lehnert, persönlich.

In Sachen AfD ist auch die enge Zusammenarbeit mit dem Dortmunder AfDler Matthias Helferich (MdB) anzuführen. Helferich trat bereits 2019 auf einem Stammtisch der AfD Bonn als Referent auf. Als dann später herauskam, dass Helferich sich in Chats als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet hatte, stellte sich die AfD Bonn, einschließlich Savelsberg, hinter ihn. Die „Alten Herren“ der Burschenschaft Frankonia nahmen die Kontroverse hingegen zum Anlass, Helferich Ende 2021 aus der Burschenschaft auszuschließen.

Die Inhalte der Facebook-Seite der Bonner AfD haben sich seit dem schlechten Wahlergebnis bei den Landtagswahlen im Mai 2022 geändert. So drehen sich die meisten Beiträge inzwischen um Verschwörungsmythen über die Pandemie und einen „Great Reset“ und sind geprägt vom Hass auf „Grüne“ und von Rassismus.

„Lukreta“ — Pseudo- Feminismus von Rechts

Immer wieder in Szene zu setzen weiß sich die im Raum Bonn beheimatete „neurechte“ Frauengruppe Lukreta. Hervorgegangen aus der IB-Kampagne 120db übt sich die Gruppe in einem vermeintlichen „Feminismus“ von rechts. Führende Aktivistin ist dabei die im Bonner Umland lebende Reinhild Boßdorf, die bei den Kommunalwahlen 2020 für die AfD im Rhein-Sieg-Kreis kandidierte. Dort — in Königswinter — ist die Familie Boßdorf sesshaft. Irmhild Boßdorf, Reinhilds Mutter, saß bis März 2022 für die AfD Rhein-Sieg im Kreistag und arbeitet für die AfD-Politiker Rüdiger Lucassen und Carlo Clemens. Zudem ist sie Geschäftsführerin der AfD-Fraktion im Landschaftsverband Rheinland.

Die Lukreta-Aktivistinnen traten in den vergangenen Jahren im Raum Bonn regelmäßig in Erscheinung. Zu ihrem politischen Tätigkeitsfeld gehört nicht zuletzt die rassistische Instrumentalisierung von Gewalt- und Sexualverbrechen im Großraum Bonn. Zudem kleinere Flyer-Aktionen und interne bis halböffentlich beworbene Treffen. So besuchten sie im Juli 2021 im Haus der Geschichte eine Ausstellung zu Simone de Beauvoir oder gedachten am 8. März 2020 in Bonn Clara Schumann. Reinhild Boßdorf und weitere Aktivistinnen nahmen zudem an mehreren Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Demonstrationen (nicht nur) in Bonn teil. Am 16. Dezember 2021 führte Reinhild Boßdorf zusammen mit anderen sogar eine eigene Kundgebung gegen eine angeblich drohende „Impfpflicht von Kindern“ vor dem Landtag in Düsseldorf durch. Im Dezember 2022 veranstaltete die Gruppe einen „Frauenkongress im Siegburger Wahlkreisbüro des AfD-MdB Roger Beckamp. Auch am überregionalen „Frauenkongress am 11. Juni 2022 in Münster war Lukreta federführend beteiligt. Der nächste wurde bereits für den 4. Februar 2023 im „Ruhrgebiet“ angekündigt.

„Revolte Rheinland“

Wie in vielen Teilen Deutschlands gründete sich auch in Bonn eine Art regionale Nachfolge-Organisation der Identitären Bewegung. Seit Herbst 2021 ist im Süden von NRW und Norden von Rheinland-Pfalz die Kleingruppe Revolte Rheinland (RR) aktiv. Aber auch schon vor dem Auftauchen von RR gab es Versuche, im Stil der „Identitären“ Proteste gegen Infektionsschutzmaßnahmen für sich zu nutzen. RR schließt dabei nahtlos an die Kampagne „Gedankenverbrecher“ und an klassische Aktionen der „Identitären“ an. Ihre erste öffentliche Aktion war ein Gedenken am Volkstrauertag in Sankt Augustin (Rhein-Sieg-Kreis). In den Wochen darauf folgte die Teilnahme an mehreren von Verschwörungserzählungen geprägten Demonstrationen in Düsseldorf, Bonn und Koblenz. Am 20. Dezember 2021 führte RR die regelmäßig stattfindende Bonner Montagsdemonstration mit Frontbanner und Megafon als Studenten stehen auf-Gruppe an. Mit in der ersten Reihe: Reinhild Boßdorf. Nach öffentlicher Skandalisierung nahmen RR-Mitglieder nur noch ohne eigene Transparente an den Demos teil. Die RR-Aktionen im Raum Bonn beschränken sich seitdem weitestgehend auf „Promo-Stunts“ wie Bannerdrops, Wanderungen oder Mob-Fotos vor der Nibelungenhalle in Königswinter oder dem Bismarckturm in der Bonner Rheinaue. Nach eigenen Angaben nahm die Gruppe an „neurechten“ Vernetzungstreffen und Tagungen wie zum Beispiel der „Sommerakademie 2022“ des IfS teil.

Für mehr Aufsehen sorgte eine ihrer letzten Aktionen im letzten Herbst. Im September 2022 gingen RR-Mitglieder mit Bodycams und Transparent auf eine Bonner „Fridays for Future“-Demonstration und verbreiteten dort ihre extrem rechte „Kapitalismus-Kritik“. Weit kamen sie dabei nicht. Teilnehmer*innen der Demo bremsten die Gruppe aus, die anschließend von der Polizei entfernt und kontrolliert wurde. Die Mitglieder von RR stammen aus dem burschenschaftlichen Milieu und/oder sind ehemalige „Identitäre“. Dabei suchen sie gezielt die Nä­he zur AfD und JA. So liefen im Januar 2022 Gerald Christ und Reinhild Boßdorf neben dem Bonner RR-Aktivisten Simon Thiele im RR-Block auf der Düsseldorfer „Es reicht!“-Demo mit, und die AfD Bonn solidarisierte sich im Oktober 2022 mit RR, nachdem Ermittlungen der Bonner Polizei gegen die Gruppe bekannt wurden. Telegram-Profile und Fotos vom „Burschentag“ 2022 lassen zudem eine deutliche Nähe einiger RR-Mitglieder zur Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn erkennen.

Die Neonazi-Szene

„Klassische“ Neonazis haben sich in den vergangenen Jahren in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis kaum hervorgetan. Abhaken sollte man sie deshalb aber nicht. Die teils aus alten FAP- und weniger alten pro Bonn-Strukturen bekannten Mitglieder der Division Bonn nahmen 2018 an Neonazi-Aufmärschen in Bielefeld und Remagen teil. Einzelne Personen aus der Gruppe beteiligten sich zuletzt ohne offenen „Division Bonn“-Bezug am Aufmarsch in Remagen 2020 und besuchten den „Trauermarsch“ für den verstorbenen Siegfried Borchardt im Oktober 2021 in Dortmund. Ähnlich sieht es beim in Bad Honnef lebenden Neonazi Ralph Tegethoff und dessen Kameradschaft Sturm 8/12 aus. Tegethoff war lange Zeit die zentrale Figur bei der Organisation und Durchführung der bis 2021 jährlich durchgeführten Neonazi-Aufmärsche in Remagen, bei denen er auch das geschichtsrevisionistische Ritual des „Heldengedenkens“ leitete. In den Jahren 2019 und 2020 fehlte Tegethoff jedoch. Beim vorerst letzten Aufmarsch 2021 nahm er wieder teil.

Die NPD hat kaum noch Einfluss im Raum Bonn. Vor der Europawahl 2019 versuchte eine NPD-Delegation unter Claus Cremer mit „lokaler“ Unterstützung durch die stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Ariane Meise einen Stand auf dem Europa-Fest auf dem Bonner Marktplatz durchzuführen. Die Aktion scheiterte. Seit den NRW-Kommunalwahlen 2020 ist die NPD auch nicht mehr im Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises vertreten. Und auch ansonsten, zum Beispiel über die Sozialen Medien, ist von ihr kaum noch etwas zu vernehmen.

Ebenfalls im Bonner Umland ansässig ist der 2016 gegründete Freundeskreis Rhein-Sieg, initiiert von den auch überregional seit vielen Jahren aktiven Melanie Dittmer und Frank Kraemer. Die sich öffentlich als loser Zusammenschluss verstehende Gruppe speiste sich anfangs mehrheitlich aus der von — damals in Eitorf und zuvor in Bornheim lebenden — Dittmer gegründeten Identitären Aktion. Die Aktionen der Gruppe umfassen Wanderungen sowie Lieder- und Grillabende. Kraemer bediente sich ab 2020 vielfach verschwörungsmystischen Themen und verbreitete seine Verschwörungserzählungen in einschlägigen lokalen Telegram-Gruppen. Auf Facebook rief der „Freundeskreis“ zur Teilnahme an Pandemieleugner*innen-Demos in Windeck und Altenkirchen auf und relativierte den Mord von Idar-Oberstein. Dittmer selbst trat hingegen in den vergangenen Jahren nicht mehr öffentlich im Bonner Raum im Erscheinung. Aktuell lebt sie im Westerwald. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sie zuletzt wieder an Treffen des Freundeskreises Rhein-Sieg teilgenommen hat. Seit Mitte 2021 zeigt sich dieser wieder aktiver. So berichtete Kraemer online von mehreren Wanderungen auf den Drachenfels oder zur NS-„Ordensburg“ Vogelsang mit 15 bis 40 Teilnehmenden. Zudem verbringt ein Teil der Neonazis, der in den vergangenen Jahren regelmäßig auf Szene-Demonstrationen anzutreffen war, nun ihre Freizeit in der extrem rechten Kampfsport-Szene.

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