Gott, Vaterland, Familie

Italiens Rechtsregierung kombiniert neoliberale Politik mit neofaschistischer Ideologie

Der 25. September 2022 markiert einen politischen Tiefpunkt der italienischen Nachkriegsgeschichte. Bei der Parlamentswahl erreichte der von Giorgia Meloni angeführte Rechtsblock knapp 44 Prozent der Stimmen und, dank eines grotesken Wahlgesetzes, satte Mehrheiten in beiden Parlamentskammern. Es hätte noch schlimmer kommen können, wenn die Rechten eine Zweidrittelmehrheit der Mandate erreicht hätten.

Der 25. September 2022 markiert einen politischen Tiefpunkt der italienischen Nachkriegsgeschichte. Bei der Parlamentswahl erreichte der von Giorgia Meloni angeführte Rechtsblock knapp 44 Prozent der Stimmen und, dank eines grotesken Wahlgesetzes, satte Mehrheiten in beiden Parlamentskammern. Es hätte noch schlimmer kommen können, wenn die Rechten eine Zweidrittelmehrheit der Mandate erreicht hätten.

Denn damit wären auch Verfassungsänderungen ohne anschließende Referenden möglich geworden. Die Einführung eines autoritären Systems, in dem ein direkt gewähltes Staatsoberhaupt auch exekutive Befugnisse haben soll, wird nun für die siegreichen Rechten schwieriger. Aufgeben werden sie dieses Ziel aber nicht. Einige Kommentator*innen verweisen darauf, dass diverse Vorgänger mit dem Vorhaben gescheitert sind, die antifaschistische Verfassung von 1948 nach rechts zu verbiegen. Andere versuchen sich mit dem Hinweis zu beruhigen, der entscheidende Rechtsruck des italienischen Parteiensystems habe schon 1994 stattgefunden: Damals betrat der Medienunternehmer Silvio Berlusconi die politische Bühne, gründete seine eigene Partei Forza Italia und feierte im Bündnis mit der regionalistischen Lega Nord und der neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN) einen triumphalen Wahlsieg. Die AN war nichts anderes als der umbenannte neofaschistische Movimento Sociale Italiano (MSI), der bis dahin als nicht regierungsfähig galt. Berlusconis Rehabilitierung der Erben Mussolinis war in der Tat eine Zäsur. Vorbereitet wurde sie durch Geschichtspolitiker*innen wie Renzo De Felice und deren mediale Multiplikator*innen. Diese schwadronieren bis heute von den „guten Seiten“ des historischen Faschismus, reproduzieren die unsägliche Gleichsetzung von linken und rechten „Extremisten“ und propagieren die „nationale Versöhnung“.

Melonis Glaubensbekenntnis

Das jetzt regierende rechte Bündnis besteht aus den gleichen Kräften wie 1994. Damals allerdings dominierte der Rechtspopulist Berlusconi. Jetzt ist seine Partei Forza Italia mit acht Prozent der Stimmen nur noch dritte Kraft, Matteo Salvinis Lega (8,8 Prozent) kaum stärker, beide klar distanziert von den Fratelli d’Italia (FdI), die mit 26 Prozent stärkste Partei wurde.

Das liegt wesentlich an ihrer Anführerin Giorgia Meloni. Geboren 1977 in Rom, trat sie mit 15 Jahren in die Jugendorganisation des MSI ein; 2006 wurde sie Abgeordnete der Alleanza Nazionale und nach den Neuwahlen 2008 mit nur 31 Jahren Jugendministerin in der Regierung Berlusconi. Ende 2011 trat sie zurück und verließ das aus Forza Italia und AN gebildete Rechtsbündnis Popolo della Libertà. 2014 wurde sie Vorsitzende der neugegründeten Fratelli d’Italia. Auch alte Kämpfer von Mussolinis Sozialrepublik der Jahre 1943 bis 1945 gehören zu Melonis Idolen, allen voran Giorgio Almirante (1914-1988), 1944 Kabinettschef im Propagandaministerium, erklärter Rassist und Antisemit, 1946 Mitgründer des MSI und lebenslang Bewunderer von Militärdiktaturen. Im Mai 2021 beglückte Meloni ihre wachsende Fangemeinde mit einem mehr als 300 Seiten starken Buch, das sofort zum Bestseller wurde: „Io sono Giorgia. Le mie radici, le mie idee“ („Ich bin Giorgia. Meine Wurzeln, meine Ideen“), eine Mischung aus Autobiografie und politischem Manifest. Mit „Ich bin“ beginnen auch die sechs Kapitelüberschriften — die Autorin ist, in dieser Reihenfolge: Giorgia, Frau, Mutter, rechts, Christin, Italienerin. Sich und ihre Partei sieht sie im Endkampf mit linken „Kollaborateuren“, die im Auftrag ausländischer Mächte Italiens Souveränität und nationale Identität untergraben. Zu diesem Zweck würden sie massenhaft Fremde ins Land holen, Regenbogen-Diversität propagieren und so die natürliche Ordnung gefährden. Dem setzt Meloni den ultra-reaktionären Dreiklang „Gott, Vaterland, Familie“ entgegen. Besonders aggressiv tönt sie bei öffentlichen Auftritten. Am 12. Juni 2022 hielt sie im andalusischen Marbella eine Hetzrede, die ihre Gastgeber*innen der extrem rechten Partei Vox begeisterte. In demagogischen Gegenüberstellungen listete sie ihre Bekenntnisse auf: „Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby, nein zur Gender-Ideologie. Ja zu sicheren Grenzen, nein zur massenhaften Einwanderung, nein zur islamistischen Gewalt. Ja zur Souveränität des Volkes, nein zu den Brüsseler Bürokraten. Ja zur Arbeit für unsere Staatsbürger, nein zur internationalen Hochfinanz. Ja zu unserer Zivilisation, nein zu denen, die sie zerstören wollen.“

Rechte Realpolitik

Seit ihrer Vereidigung als Ministerpräsidentin Ende Oktober 2022, exakt 100 Jahre nach dem faschistischen „Marsch auf Rom“, hat sie mildere Töne angestimmt. So bekannte sie sich wiederholt zur EU und zur NATO, zu Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber nicht nur außenpolitisch setzt sie den Kurs der Vorgängerregierung unter dem parteilosen Banker Mario Draghi fort. Auch die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer Regierung steht im Zeichen der Kontinuität. Unerfüllt bleiben derweil rechte Wahlkampfversprechen wie Steuersenkungen für alle oder die von Berlusconi geforderte Mindestrente von 600 Euro. Das auf Initiative des Movimento Cinque Stelle (M5S), der Fünf-Sterne-Bewegung, eingeführte Bürgereinkommen (reddito di cittadinanza) soll 2024 abgeschafft werden. Es ähnelt dem deutschen Hartz-IV-System, ist aber für mehrere Millionen Arme eine wichtige Hilfe zum Überleben. Der versprochene Ersatz ist bislang nicht in Sicht. Schon in den vergangenen Jahren haben sich die sozialen Gegensätze verschärft. Menschen im Süden, Frauen, Rentner*innen und junge Leute ohne Job oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind besonders betroffen. Wer auf die soziale Demagogie der Rechten hereingefallen ist und sie deshalb gewählt hat, wird über kurz oder lang ein böses Erwachen erleben. Wohltaten an die breite Masse der rechten Wähler*innen sind auch künftig nicht zu erwarten, solange die EU-Gremien Italiens „Haushaltsdisziplin“ einklagen und die Verwendung der insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds überwachen.

Migrationsabwehr und Heldenverehrung

Zeichen setzt die rechte Regierung in anderen Bereichen, darunter innere Sicherheit, Migrationsabwehr und Bildung. Begründet mit der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch unangemeldete Rave-Partys, soll nicht nur die Teilnahme daran mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft werden können, sondern auch „das Eindringen in öffentlichen oder privaten Grund und Gebäude“, wenn dadurch die innere Sicherheit gefährdet würde. Offensichtlich richtet sich das gewollt vage formulierte Dekret gegen Protestformen wie Blockaden und Besetzungen. Schon im Wahlkampf hatte Meloni von der Polizei mehr Härte gegen Störungen ihrer Auftritte gefordert.

Unter dem parteilosen neuen Innenminister Matteo Piantedosi wurde auch die rigorose Politik seines Vorvorgängers Salvini wieder aufgenommen: Im November verweigerten die Behörden mehreren Rettungsschiffen zunächst die Landung in italienischen Häfen. Danach hinderten sie einen Teil der an Bord befindlichen Geretteten daran, italienischen Boden zu betreten. Im Fall des Schiffs Ocean Viking von SOS Mediterranée riskierte die Meloni-Regierung sogar einen offenen Konflikt mit Frankreich, wo das Schiff schließlich anlegen durfte. Die französische Regierung erklärte das allerdings umgehend zur Ausnahme „aus humanitären Gründen“, während Salvini, als Infrastrukturminister immer noch mitverantwortlich für die Abschottung der europäischen Südgrenze, den Sieg seiner harten Linie feierte.

Stolz auf die Leistungen nationaler Heroen soll künftig auch in den Schulen vermittelt werden. Ziel ist laut FdI-Programm die Etablierung eines „neuen italienischen Selbstbildes“. Zu diesem Zweck muss nicht nur der historische Faschismus verharmlost werden. In den jüngsten Reden Melonis und ihres langjährigen Mentors, des neuen Senatspräsidenten Ignazio La Russa, wird auch die jüngere italienische Geschichte umgeschrieben. Kein Wort zum antifaschistischen Widerstand der Resistenza und zum rechten Terror der „bleiernen Jahre“ ab 1969. Für La Russa, den notorischen Sammler von Mussolini-Büsten, waren die Rechtsterroristen Kämpfer mit eigenen Idealen, nur leider manchmal „zur falschen Zeit am falschen Ort“.

Breite Proteste, schwache Linke

Natürlich gibt es Protest gegen diese Art der Geschichtsbetrachtung, nicht nur von der Partisanenvereinigung Associazione Nazionale Partigiani d’Italia (ANPI), sondern auch von streikenden Schüler*innen und Studierenden. Als dem Familienministerium per Umbenennung die Förderung der Geburtenrate (natalità) übertragen wurde, erinnerten Kritiker*innen an Mussolinis „demografische Schlacht“ der 1930er Jahre, in deren Rahmen kinderreiche Mütter Medaillen bekamen. Die queerfeministische Bewegung Non una di meno demonstrierte schon wenige Tage nach der Wahl gegen das drohende Rollback, etwa durch weitere Einschränkung des Rechts auf Abtreibung, das es aus rechter Sicht gar nicht geben darf. Auch die großen Gewerkschaftsbünde und die Basisgewerkschaften mobilisieren ihre Mitglieder gegen die Politik zu Lasten der Armen. Am 5. November demonstrierten in Rom 100.000 Menschen gegen Aufrüstung und Waffenexporte. Initiativen für Klimagerechtigkeit erhalten Zulauf, vor allem von sehr jungen Menschen.

Im Unterschied zu den sozialen Bewegungen befinden sich die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien tief in der Krise. Die Fünf Sterne haben sich mehrfach gespalten. Der Partito Democratico hat unter Generalsekretär Enrico Letta den rechten Wahlsieg begünstigt, indem er ein Bündnis mit den Fünf Sternen verweigerte. Die Linke im engeren Sinne ist weiter geschrumpft: Die Sinistra Italiana schaffte es im Bündnis mit den Grünen immerhin ins Parlament, während die Unione Popolare an der Drei-Prozent-Hürde scheiterte.

Vage Hoffnung

Auf parlamentarischem Wege sind rechte Initiativen also kaum zu verhindern. Vage Hoffnungen richten sich auf Konflikte innerhalb des regierenden Blocks. So will die Lega mehr Autonomie für die relativ reichen Regionen im Norden, während die FdI die Stärkung der Zentralregierung in Rom betreibt. Die Stammwählerschaft der Lega, Eigentümer*innen kleiner und mittlerer Unternehmen, erwartet zudem Zählbares in Form von Steuergeschenken. Melonis Partei hat mehr die nationale Ebene im Blick und damit auch die weniger Begüterten, die sich auf Dauer nicht mit nationalistischer Rhetorik abspeisen lassen werden. Das große Kapital wiederum hätte gern mit Draghi weitergemacht, hat aber auch mit der postfaschistischen Regierung kein Problem. Nichts deutet darauf hin, dass die rechte Koalition in absehbarer Zeit an ihren inneren Widersprüchen zerbricht. Auch die unterschiedlichen strategischen Orientierungen auf europäischer Ebene enthalten bislang kein Spaltungspotenzial: Im Europäischen Parlament bildet die Lega eine Fraktion mit der AfD und dem Rassemblement National, die FdI kooperieren mit der polnischen PiS, Forza Italia ist Teil der EVP und damit auch Bündnispartnerin der CDU/CSU. Deren oberste Europa-Politikerin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, warnte am Tag vor der Wahl: „Wenn sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln, haben wir Instrumente zur Verfügung.“ In Italien sorgte diese kaum verklausulierte Drohung mit Sanktionen kurzfristig für empörte Kommentare. Ernst zu nehmen ist sie nicht.