„Familienlandsitze“ gegen „kommende Unruhen“

Regionale Akteure mit Bezug zur Anastasia-Bewegung

Um Reinigung der Gesellschaft von der Korrumpierung durch die Moderne zu erreichen, ruft die Anastasia-Lehre des russischen Geschäftsmanns Wladimir Megre zur Bildung von ökologischen Familienlandsitzen auf. Trotz ihrer klar antisemitischen und extrem rechten Ausrichtung wirkt sie nicht nur als Anziehungspunkt für völkische SiedlerInnen, sondern findet auch AnhängerInnen in esoterisch-ökologischen Kreisen.

Das Streben nach einem autarken Leben, abseits des von vielen nicht anerkannten Staates und einer abgelehnten modernistischen Welt, eint Personen aus diversen Spektren, nicht nur der extremen Rechten. Ein Beispiel ist der langjährige Neonazikader Steffen Hupka, der vor allem in den 1990er Jahren in verschiedenen neonazistischen Parteien wie der Nationalistischen Front und NPD aktiv war. 2010 veröffentlichte Hupka das Buch „Neue Wege“, darin beschreibt er die Notwendigkeit rechter Siedlungen im ländlichen Raum — sogenannte „Wehrdörfer“. Er sieht sie als einzigen Ausweg aus der vermeintlichen Misere, in der sich das „deutsche Volk“ befände (vgl. AIB #114, S. 20 ff). Auch AnhängerInnen des Anastasia-Kults streben eine autarke Lebensform an, die dem Konzept der „Wehrdörfer“ ähnelt. Es ist also kein Zufall, dass Hupka 2016 an den „Anastasia Festspielen“ in Poppenhausen (Hessen) teilnahm.

„Rawaule“

An den „Festspielen“ nahm auch ein Bewohner des damals neu gegründeten Rawaule-Hausprojektes teil, Gitarre spielend zwischen Heuballen und Lagerfeuer, musikalisch begleitet von einer Frau mit einem altertümlichen Instrument. Dieses hippieske Bild versuchte die Rawaule-Hausgemeinschaft aus dem ostwestfälischen Dörentrup-Hillentrup (Kreis Lippe) auch in einem Artikel der Lippischen Landes-Zeitung von 2016 zu vermitteln: offene Türen, Grüner Tee, gemeinsames Kochen. Im Artikel kokettieren sie damit, möglicherweise mit dem linken Mietshäuser Syndikat kooperieren zu wollen, woraus aber offenkundig nichts wurde. Ursprünglich kämen die GründerInnen aus Zusammenhängen, die gemeinsam in der Region ein „Öko-Dorf“ bauen wollten. In dieses Bild fügt sich der bis Mitte 2022 auf der Homepage geführte Bewohner und Liedermacher Matthias Jürgens ein, der als „Jonathan Löwenherz“ auftritt. Angefangen hatte dieser in den 1990er Jahren mit Kinderliedern. Um 2010 war er Mitgründer des Welt-Netzwerk-Staat Terrania in Reichsbürger-Kreisen. Mittlerweile finden sich unter seinen Werken Lieder wie „Mein Familienlandsitz“, dessen Zielgruppe er mit „Anastasia-Freunde“ benennt.

Auch Heike Camara, Vorstandsmitglied der Rawaule, bandelte mit Anastasia-Kreisen an und nahm 2020 an einer Sonnenwendfeier an den Externsteinen teil, die über eine Anastasia-Gruppe auf Telegram organisiert wurde. Die Externsteine sind ein wichtiger Ort für die völkische Bewegung, während des Nationalsozialismus sollte die„Externsteinforschung“ den Beweis der vermeintlichen Überlegenheit der „Germanischen Rasse“ erbringen. In der Region werden seit dieser Zeit weitere Immobilien gesucht. Ebenfalls 2020 fand laut WDR aus dem Kreis der Rawaule-BewohnerInnen eine Besichtigung einer leerstehenden Gaststätte in der Gemeinde Extertal statt. 2023 suchten Personen aus dem nahe gelegenen Detmold über das Portal Kleinanzeigen ein Haus für „mindestens fünf Familien“, inklusive großem Garten. Im Anzeigentext gaben sie an; „Wir alle richten uns nach dem Lebensstil in den Büchern ,Anastasia’“ (sic!).

Von Telegram zum Landsitz

Eine ebenfalls sehr heterogene Szenerie hat sich im Oberbergischen Kreis (NRW) konstituiert. Sogenannte Reichsbürger, Sympathisierende der antisemitischen QAnon-Erzählung sowie AnhängerInnen des Anastasia-Kultes kommen hier zusammen. Ihre Vernetzung bekam in Corona-Zeiten vor allem über Telegram-Kanäle einen Schub. Seit 2020 haben sich unter dem gemeinsamen Bezugspunkt der Proteste gegen die Coronamaßnahmen mehrere solcher Telegram-Gruppen in der Region gegründet, aus welchen heraus Treffen und gemeinsame Fahrten zu Protestveranstaltungen organisiert wurden. In diesen Kanälen werden auch gängige Verschwörungsmythen geteilt, sowie extrem rechte und antisemitische Inhalte verbreitet. In den meisten finden sich auch Bezüge zum Anastasia-Kult, verbunden mit Aufrufen zur Gründung von Familienlandsitzen und Siedlungsgemeinschaften (vgl. LOTTA #88, S. 47 ff). Doch auch Themen wie die Nutzung von Kräutern oder ökologischer Landbau sind sehr präsent, woraus sich, gepaart mit einer verkürzten Gesellschaftskritik, auch eine Anschlussfähigkeit an eine oft nicht explizit rechte Öko-Szene bietet.

Aus dieser Szenerie haben sich vor allem Personen rund um zwei Projekte hervorgetan, welche für geeignete Grundstücke bereit waren aus dem Oberbergischen wegzuziehen, aber weiter Verbindungen in die Region unterhalten. So zog etwa Christoph Schäl, der seit Jahren eine Siedlungsgründung plant, aus dem Oberbergischen auf den Immenhof bei Bispingen (Niedersachsen). Jener gehört auch zum Netzwerk der Permakulturberaterin Eva Pittschmann aus Ahrbrück (Landkreis Ahrweiler, Rheinland-Pfalz), die wiederum mit ihrem Verein Phoenix bestens vernetzt ist. Nahe ihrem Wohnort wirbt Pittschmann derzeit für Arbeitseinsätze auf einem 8.000 qm großen Grundstück, das ihr auf der Kalenborner Höhe zur Verfügung gestellt wurde. Die Permakulturausbildung absolvierte Pittschmann bei Hannelore Zech und Christoff Schneider. Zech fühlt sich nach eigenen Aussagen „der Anastasia Bewegung sehr verbunden“. Schneider konzipiert Anastasia-Siedlungen, unter anderem beriet er die deutsche Impfgegner-Enklave El Paraiso Verde in Paraguay.

Pittschmann pflegt darüber hinaus freundschaftlichen Kontakt zu prominenten VertreterInnen der Anastasia-Bewegung auf dem Mutterhof, einem Vorzeigeprojekt der Anastasia-Strukturen im Allgäu, sowie zu Peter Kittl vom Verein Integrale Lebensarchitektur (ILA). Der Verein ILA bietet ein Vernetzungsangebot für die rechtsoffene Öko- und Esoterikszene. Er regt zu Vereinsbildungen nach dem liberalen österreichischen Vereinsrecht an. Mittlerweile hat sich ein recht unauffälliges Netz gebildet, das bis nach Österreich reicht. Den Vereinen gemeinsam ist die Bildung von möglichst autonomen Parallelstrukturen für die „neue Zeit“. Der ILA selbst pflegt ebenfalls regen Kontakt zu Robert Briechle und dem Mutterhof. Etliche Vereinstreffen fanden dort statt, der Mutterhof war einer der ersten Vereine unter dem Dach der ILA.

Knotenpunkt Nentershausen

Anastasia-Strukturen haben sich in den vergangenen Jahren auch insbesondere im nordhessischen Nentershausen verfestigt. Neben Konstantin Kirsch wohnen seit Dezember 2021 Tina Maria und Clemens Endlich mit ihren beiden Kindern in der kleinen Gemeinde. Die Endlichs wollen sich so gegen „kommende Unruhen“ wappnen. Clemens Endlich ist Gärtner und bietet hierzu Seminare an, die gelernte Goldschmiedin Tina Endlich betrieb bereits aus ihrer vorherigen Wohnung in Wiesbaden-Biebrich den esoterischen Versandhandel endlich verzaubert, über den sie neben Schmuck auch selbstgebraute „Schönheitselexiere“, Waschmittel und andere hausgemachte Produkte anbietet. Des weiteren bietet sie auch Workshops, etwa über „Ganzheitliche Vielfalt“, an. Bei der Heimunterrichtung ihrer Kinder verweist sie stets auf die anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners und vernetzt sich über ihren Telegram-Kanal mit gleichgesinnten Eltern. Der Umzug der Familie wurde über eine Spendenkampagne von Kirsch organisiert, einem langjährigen Freund der Endlichs und als Verfasser einer Begleitlektüre zu den Anastasia-Büchern im Govinda Verlag (Zürich) ein bekanntes Aushängeschild der Bewegung in Deutschland. 2018 wurde er auf der Frankfurter Buchmesse von einer Enkelin Megres an deren Stand interviewt (vgl. LOTTA #77, S. 25 ff).

Über Kirschs Website wird für Spenden an Familien geworben, die Familienlandsitze gründen möchten. Je nach Spendenart soll das Geld dann von den Finanzierten an weitere Familien zur Finanzierung ihrer Projekte weitergereicht werden. Für Familie Endlich wurden in weniger als einem halben Jahr 90.000 Euro gesammelt, um in ein baufälliges Fachwerkhaus ohne Heizung einzuziehen. Auch sonst finanziert sich die Familie durch Spenden und stellt regelmäßig auf ihrer Seite Wünsche online, etwa nach einem Traktor, die Sympathisierende ihnen erfüllen können. Zudem gibt es zwei Vereine vor Ort; der Förderverein für Familienlandsitze und Waldgartendörfer e. V. sammelt beispielsweise Spenden für das WaldGärtnerHaus im Nentershausener Ortsteil Bauhaus, welches laut eigenen Angaben ein „Zentrum für die Familienlandsitzbewegung“ werden soll. Hierbei handelt es sich offenbar um das Wohnhaus Kirschs, zumindest nutzte er die Adresse in den vergangenen Jahren. Im Impressum wird dann der Verein Waldgartendorf e. V. genannt, welcher laut Seite durch Kirsch vertreten wird und der unter der gleichen Adresse angesiedelt ist. Beim „Waldgartendorf“ handelt es sich um ein von Kirsch genutztes Grundstück in der Nähe seines Wohnhauses, wo er Seminare ausrichtet, Lebensmittel anbaut und Besucher*innen dafür zu begeistern versucht, aus zusammenwachsenden Bäumen ein Haus entstehen zu lassen. Letzteres reichte für mehrere Auftritte als vermeintlich harmloser Hobbygärtner im Hessischen Rundfunk. Hier wurde bereits 2013 ein bundesweites „Siedlungsgründertreffen“ der Anastasia-Bewegung ausgerichtet.

Neue Siedlungen

Über Kirschs Spendenkampagne wird auch seit November 2021 das Siedlungsvorhaben der Familie Lukasz Jan und Karoline W., zuvor wohnhaft im niedersächsischen Schwarmstedt, finanziert. Sie bauen in Polen einen Landsitz mit dem Namen Luleika auf. Dort haben sie sich dem 2014 gegründeten Siedlungsprojekt Alleen der Zedern — Siedlung der Vorfahrengüter (Aleje Cedrowe — Osada Rodowych Posiadłości w Borne) in Borne angeschlossen. Hier wohnen mehrere Familien, insgesamt mindestens 20 Personen mit Kindern, auf eigenen kleinen Landparzellen mit geteilten Gemeinschaftshäusern in einer idealtypischen Siedlungsform nach Lehre von Megre. Wie viele Gleichgesinnte sind Lukasz Jan und Karoline W. Selbstständige und bieten Onlinekurse zum „Energetischen Nähen“ von Kleidern an, welche Verbindungen zu Vorfahren und Schutzfunktionen gegen die negativen äußeren Einflüsse der Moderne bieten sollen. Sie treten als Musikduo auf, Lukasz ist zudem als „Lernbegleiter“ nach der „Schetenin-Lehre“ (siehe Artikel auf S. 16 ff. ) im Siedlungsprojekt aktiv. Bisher wurde ihnen über 35.000 Euro des anvisierten Gesamtbetrags von 98.000 Euro gespendet. Als Fürsprecher der Eignung der Familie W. für diese Spendenkampagne trat Dieter Strobel auf. Der ehemalige Bremerhavener Lehrer gibt als „Dieter der Barde“ in der gesamten Bundesrepublik Konzerte und ist der Sprecher der im Govinda-Verlag erschienenen Hörbuch-Ausgabe der deutschen Übersetzung der Anastasia-Buchreihe. Im Zuge der Pandemieleugnungsbewegung seit 2020 erweiterte er sein Publikum durch vermehrte öffentliche Auftritte bei Veranstaltungen.

Geschäftsmodel Anastasia

Doch Gelder sollen nicht nur für neue Projekte generiert werden. Wie bei vielen esoterischen oder verschwörungsideologischen Strömungen sind Ideologie und Geschäftssinn nicht weit voneinander entfernt. Im Fall des Anastasia-Kultes gibt es mittlerweile viele Versände und Online-Shops, die mit Produkten aus eigener Herstellung und Anbau sowie mit aus Sibirien importierten Megre-Produkten aufwarten. Ein authentisches Angebot von Zedern-Produkten verspricht Vladimir Jan. Dessen „Zedernshop“ (Naturprodukte Valdimir Jan) mit Sitz in Kaiserslautern wirbt unter anderem damit, „Zedernöle nach den uralten Traditionen sibirischer Einwohner“ herzustellen. Auch importierte Produkte aus Zedern wie etwa Nahrung oder Kosmetik bietet Jan an, sowie Bücher der Anastasia-Reihe in verschiedenen Sprachen. Jan genießt durch seine Nähe zu Megre hohes Ansehen. Nachdem er 2021 ein Videointerview mit Megre organisierte, empfahl dieser seinen Versand für Interessierte in Deutschland. Als 1999 die erste Ausgabe des ersten Anastasia-Bandes in deutscher Sprache erschien, dürfte Jan beteiligt gewesen sein. Das Buch erschien im WeGa Verlag, dessen Sitz sich an Jans Wohnort in Frankeneck (Landkreis Bad Dürkheim) befindet. Der Verlagsleiter, Alexander Sojnikow, handelte ab 2004 mit seinem Sohn Jaroslaw Sojnikow ebenfalls mit importierten Zedernprodukten im Versand Taiga Naturkost. Seit dem Tod von Alexander Sojnikow 2018 führt der Sohn den Versand alleine. Taiga ist auch der Name einer Zeitschrift, die von dem ansonsten weitestgehend unauffälligen Anastasia e. V. herausgegeben wurde und 2011 mit einer „Anastasia-Sonderausgabe“ aufwartete. Auch im Anastasia e. V. ist Vladimir Jan mit Olga Jan aktiv gewesen. Anfang 2007 hatte er den Verein formell auflösen wollen, Ende 2007 beschlossen einige Mitglieder aber, den Verein weiterzuführen. Neben Olga Jan ist seitdem auch Konstantin Kirsch im Vereinsvorstand, ebenso Ingrid Wettermann, mit der Kirsch gemeinsam in Nentershausen wohnt. Darüber hinaus treten die Jans nicht öffentlich in Erscheinung. Bei den Festivals in den vergangen Jahren waren ihre Namen nicht unter den Referierenden zu finden. Auf Vladimir Jans Facebook-Account prangt lediglich ein Bild seines „Familienlandsitzes“, beziehungsweise des darauf befindlichen Sees.

Undurchsichtige Zusammenhänge

Die Anastasia-Szene wirkt wenig durchschaubar. Vor etwa fünf Jahren gab es noch eine Netzwerkseite, welche bundesweit 16 Projekte auflistete. Nach Veröffentlichungen über die Szene wurde die Seite vom Netz genommen. Seitdem wurden mehrere neue Landsitz-Projekte gegründet. Einige wurden durch regionale Recherchen bekannt, bei anderen ist unklar, wo sie sich überhaupt befinden. Auch lässt sich keine klare Grenze zu anderen völkischen Siedlungsstrukturen ziehen, was eine Einordnung erschwert. Ebenso verhält es sich mit den Versänden: erst durch ein explizites Angebot oder personelle Überschneidungen wird deutlich, dass BetreiberInnen dem Anastasia-Kult anhängen. Auch lässt sich momentan keine übergeordnete Institution ausmachen, vielmehr handelt es sich um zahlreiche Projekte und miteinander vernetzte AkteurInnen. Viele von ihnen pflegen diverse Telegram-Kanäle, teilweise mit vordergründig ökologischen oder esoterischen Themen. Diese Kanäle bieten einen Einstieg und eine erste Kontaktaufnahme.

Auch über Versände, Verlage und Zeitschriften können immer wieder neue Interessierte gefunden werden. Ein Beispiel hierfür ist das deutschsprachige Anastasia-Magazin Garten Weden. Im Magazin spiegeln sich viele Anziehungspunkte wider, mit denen neue Anhä­ng­erIn­nen gefunden werden. Ökologisch Interessierte können hier vegane Rezepte finden oder Gartentipps mit starkem permakulturellen Bezug von Kirsch erhalten, während völkische SiedlerInnen hier auch die aus ihren Kreisen stammende antisemitische Gesundheitslehre der „5 Biologischen Naturgesetze“ von Ryke Geerd Hamer und „Rassentheorien“ wiederfinden. Herausgeberin Christa Jasinski vertreibt Verschwörungserzählungen, in denen es um eine geheime „Hohlerde“ und die Unterdrückung der Menschheit durch „Reptiloiden“ geht, beides beliebte antisemitische Mythen. Über diese mit ihrem verstorbenen Mann Alf Jasinski verfassten Thesen referierte sie auch im Mai 2023 bei einem Vortrag in Petersberg (Landkreis Fulda). Dass Jasinski selbst auf dem Familienlandsitz Talmühle im thüringischen Cursdorf wohnt, rundet das Bild ab. Der Anastasia-Kult bietet einen gemeinsamen Kontext, in dem sich verschiedene Akteure für extrem rechte Politik begeistern können. Sie alle wenden sich von einem modernen Leben ab. Ob sie es „Wehrdorf“ oder „Familienlandsitz“ nennen, ist hierbei zweitrangig.