Gedenken am 25. März 2025 – ein Jahr nach dem Brandanschlag in der Grünewalder Straße in Solingen.
NSU-Watch / Fanny Schneider

Wenn etwas ist, was nicht sein darf

Der Prozess zum Brandanschlag von Solingen 2024

Seit aktuell 15 Verhandlungstagen wird derzeit, im Juni 2025, am Wuppertaler Landgericht der Strafprozess gegen Daniel S. geführt. Er ist angeklagt, in der Nacht vom 24. auf den 25. März 2024 in einem Mehrfamilienhaus in der Grünewalder Straße in Solingen einen Brand gelegt zu haben.

Das Feuer tötete Kancho Zhilov und Katya Zhilova und ihre Kinder Galia und Emily. Die Familie starb in der obersten Etage des Hauses, das hölzerne Treppenhaus wurde für sie in der Brandnacht unüberwindbar. 21 Menschen überlebten den Brandanschlag. Einen Vater und sein kleines Kind rettete der Sprung aus einem Fenster. Die Verletzungen wiegen bis heute schwer. Die Eltern, Schwiegereltern und Großeltern der Ermordeten und zahlreiche Überlebende haben sich der Anklage als Nebenklägerinnen angeschlossen. Manche kommen zu jedem Gerichtstermin, verfolgen die Verhandlung. Sie müssen mitansehen, dass ihre Fragen bei Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf erheblichen Widerstand stoßen. Denn zur Sprache kommen auch zahlreiche schwerwiegende Fehler in der Polizeiarbeit und die Versäumnisse einer irritierend eindimensionalen Anklageperspektive der Staatsanwaltschaft. Nun müssen die Ermittlungsbehörden mitten im bereits laufenden Gerichtsverfahren nacharbeiten, was sie bisher verabsäumt haben: Spuren und Hinweise vollständig und gründlich auszuwerten. Dabei geht es um nicht weniger als um die Frage, ob der Angeklagte und geständige Verdächtige den Brandanschlag aus rechten und rassistischen Motiven begangen hat.

„In alle Richtungen“?

Anfang April 2025 war es Jochen Kötter, dem Vorsitzenden Richter der Schwurgerichtskammer am Landgericht Wuppertal, anzumerken, dass er eigentlich mit einem schnellen Ende des Strafprozesses gerechnet hatte. Schließlich war der Angeklagte geständig und hatte die Tatbegehung vor Gericht eingeräumt. Er hatte angegeben, den Brand aus Rache gegen seine ehemalige Vermieterin gelegt zu haben. Bis 2022 hatte er in dem Mehrfamilienhaus in der Grünewalder Straße gewohnt, sei in Streit geraten mit der Hausbesitzerin. Seitdem wiegeln seine Verteidiger jeden Hinweis darauf, dass die Tat (auch) einen rechten und rassistischen Hintergrund haben könnte, vehement ab. Einer von ihnen ist Jochen Ohliger, der vor 30 Jahren einen der Angeklagten im Gerichtsverfahren zum rassistischen und extrem rechten Brandanschlag vom 29. Mai 1993 vertreten hat – in dieser Nacht starben Hülya Genç, Saime Genç, Gürsün İnce, Hatice Genç und Gülüstan Öztürk. Je länger der aktuelle Prozess am Wuppertaler Landgericht dauert, umso mehr Aspekte kommen ans Licht, die nahelegen, dass ein rechtes und rassistisches Tatmotiv zum Brandanschlag vom 25. März 2024 keineswegs so kategorisch auszuschließen ist, wie es die Ermittlerinnen von Beginn an vermittelt hatten. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass diese die Brandtat gegen ein von migrantisierten Menschen bewohntes Haus bewusst als Tat eines Unpolitischen zu interpretieren versuchen. So teilte der ermittelnde Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt der Presse nur zwei Tage nach der Festnahme des Tatverdächtigen mit, dass die bis dahin durchgeführten Ermittlungen und insbesondere die Durchsuchung der Wohnräume des geständigen Verdächtigen „keine Erkenntnisse auf ein Tatmotiv, auch nicht auf ein etwaig vorhandenes fremdenfeindliches Motiv“ ergeben hätten. Wuppertals Polizeipräsident Markus Röhrl betonte, welch‘ große Bedeutung es habe, den Brandanschlag als von persönlichen Motiven angetriebene Tat aufgeklärt zu haben. Die Festnahme des Tatverdächtigen habe „in meiner Behörde und bei mir für große Erleichterung“ gesorgt, so Röhrl. Zuvor seien „schlimme Erinnerungen an Solingen 1993“ wach geworden. Nach „intensivsten Ermittlungen in alle Richtungen“ einen so „durchgreifenden Ermittlungserfolg“ vorweisen zu können, sei „daher sehr wichtig und befreiend“. Haltbar sind diese Einschätzungen nicht. Sie waren es auch im April 2024 nicht. Staatsanwaltschaft und Polizei dürften es schon damals besser gewusst haben. So waren nur einen Tag vor der Pressekonferenz vom 10. April 2024 bei der benannten Hausdurchsuchung in einer Mansardenwohnung, die auch der Angeklagte bis zu seiner Verhaftung genutzt haben kann, zeitgenössische nationalsozialistische Propaganda sowie Wehrmachts- und NS-verherrlichende Schriften und Tonaufnahmen gefunden worden. In der Garage des Angeklagten hing ein Poster mit einem rassistischen Hetzgedicht, ein Text aus den 1990er Jahren. Auf Datenträgern und in einem Google-Konto, die mutmaßlich dem Täter zugeordnet werden können, tauchten extrem rechte Memes, unverhohlener Rassismus und Antisemitismus auf. All diese Funde waren allerdings nicht zu den Gerichtsakten gereicht worden, manche waren – wie die Datenträger oder die digitalen Suchverlauf-Daten – nicht einmal ausgewertet worden. Es war die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die selbst hatte recherchieren, Fotos sichten und Anträge auf Beweiswürdigung und Auswertung der bis dahin unbeachteten Spuren hatte stellen müssen. Die Hartnäckigkeit der Nebenklage sorgte dafür, dass diese Beweismittel überhaupt vor Gericht gewürdigt werden können und die Erzählung der Ermittlungsbehörden noch einmal auf den Prüfstand kommt. Der Verteidigung hingegen scheint jede Information willkommen, die ihren Mandanten aus der Verantwortung nehmen könnte. Der Versuch, den Besitz der rechten, rassistischen und antisemitischen Hass-Inhalte auf einer der sichergestellten Festplatten einem Bekannten der Freundin anzulasten, scheiterte allerdings am 15. Prozesstag. Bislang fehlt auch für die übrigen Daten und Suchverläufe jeder stichhaltige Nachweis darüber, dass der Beschuldigte nichts mit ihnen zu tun hat.

Rassismus ist keine Meinung

Im Juni 2025 sollen Kriminalpolizei und Staatsschutz des Polizeipräsidiums Wuppertal die Ergebnisse der ihnen im April von der Schwurgerichtskammer aufgetragenen Nachermittlungen liefern. Es geht dann vor allem um Daten, die in einer Google-Cloud des Angeklagten liegen und die dessen Online-Verhalten und die von ihm angesehenen oder verwendeten Videos, Bilder und Webseiten, dokumentieren. Kurz vor Ende des Verhandlungstermins am 12. Mai 2025 überraschte der Vorsitzende Richter außerdem durch die beiläufige Einführung eines weiteren Dokuments. Dessen Inhalt verfehlte seine Wirkung nicht. Warf es doch erneut die Frage auf, warum der Staatsschutz den Brandanschlag früh als unpolitische Tat abgetan hatte. Heute wissen wir: Bereits im April 2024 lag eine Einschätzung der Kriminalpolizei vor, wonach dem Tatverdächtigen durchaus ein extrem rechtes Weltbild zu eigen gewesen sei. Ein extrem rechter Hintergrund der Tat wurde als Ermittlungsansatz sogar schriftlich festgehalten. Allerdings: Das Schriftstück, das diesen Ermittlungsstrang dokumentierte, wurde wenig später handschriftlich kommentiert und verändert. Die Einschätzung zur rechten Gesinnung des Angeklagten wurde gestrichen. Doch auf wessen Anordnung? Von wessen Hand? Die Staatsanwaltschaft äußerte sich vor Gericht dazu nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie allerdings ihre Erklärung für die erstaunliche Kehrtwende im Ermittlungsansatz bereits an anderer Stelle präsentiert: als Bericht an das Ministerium der Justiz, das sie seinerseits dem Innenausschuss im Düsseldorfer Landtag vortrug. Dort hatte die SPD-Fraktion Anfang Mai nach den Erkenntnisse zur Motivlage des Anschlags gefragt. Der leitende Oberstaatsanwalt hatte am 7. Mai 2025 seine Antworten geliefert, Innenminister Herbert Reul (CDU) legte dessen Bericht am 15. Mai dem Ausschuss vor. Darin heißt es unter anderem: Die erste Einschätzung zur Person und Motivlage des Täters sei nur deshalb entstanden, weil sich eine nichtsachkundige Regierungsbeschäftigte, die „nur oberflächlich mit dem Sachverhalt“ vertraut gewesen sei, einen Reim auf die Hintergründe des Brandanschlags zu machen versucht und politische Motive nicht ausgeschlossen habe. Die fachlich ausgebildete Staatsschutzbeamtin, die im Anschluss für die Analyse der Funde zuständig gewesen sei, habe diese Einschätzung korrigiert. In die Akte gelangt sei der überarbeitete Vermerk allerdings trotzdem nicht. Die Staatsschützerin habe ihn zwar ausgedruckt und zu einer Besprechung mit der Mordkommission mitgenommen – dort sei das Papier dann aber verloren gegangen. Solche und weitere Erklärungsversuche zu den Ungereimtheiten in der Ermittlungsarbeit gibt es viele. Erstaunlich ist, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens bisher keine Spur von Erstaunen oder Ärger darüber gezeigt hat, dass die Art der Ermittlungsführung den Sinn ihrer Aufklärungsarbeit und damit ihre Autorität untergräbt. Stattdessen geht sie die Vertreterinnen der Nebenklage inzwischen mit dem Vorwurf an, dass deren Drängen darauf, den Tathintergrund aufzuklären und den Hinweisen auf Rassismus als Motiv nachzugehen, pure „Meinung“ sei. Anwürfe wie diese delegitimieren jede Forderung nach Aufklärung, wie sie den Überlebenden und Angehörigen zusteht. Zudem wurde im Laufe des Verfahrens wiederholt und konkret deutlich, dass auf rassistische Gewalt selten konsequenter Verfolgungs- und Ermittlungsdruck folgt, wenn dem niemand nachgeht. So war es erneut Seda Başay-Yıldız, die am 15. Verhandlungstag darauf aufmerksam machte, dass es auch zu einem im Januar 2022 in Wuppertal verübten, bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag auf eine Wohnung in der Normannenstraße eine Verbindung zum Angeklagten gibt. Seine Partnerin wohnte damals in dem Haus, er selbst war dort wohl in Streit geraten mit einem Nachbarn. Nach Auszug der Freundin brannte es. Wieder ist das Tatmotiv Rassismus nicht auszuschließen. Eine Verbindung zwischen beiden Brandstiftungen zogen die Ermittlerinnen von sich aus nicht.

Vollständige Offenlegung der Ermittlungen!

Inzwischen sind Seda Başay-Yıldız und vier weitere Nebenklagevertreterinnen an die Öffentlichkeit getreten. Sie weisen auf die „Salamitaktik“ der Ermittlungsbehörden hin und fordern Staatsanwaltschaft und Polizei auf, dem Schwurgericht und den Verfahrensbeteiligten alle Ermittlungsunterlagen zur Akte zu reichen – vollständig und unverzüglich. Es handelt sich um Material, das auf eine rechte, rassistische und antisemitische Gesinnung des Angeklagten hinweisen kann, also um Informationen und Spuren, die in der Beweiswürdigung zu den Motiven des geständigen Angeklagten unbedingt beachtet werden müssen. Denn mit §46 StGB ist geregelt, dass hinter einer Tat liegende rassistische Haltungen von Angeklagten für ein Urteil zum Strafmaß einzubeziehen sind. Unabhängig davon, ob der Angeklagte wegen der Schwere der Tat ohnehin mit der Höchststrafe zu rechnen hat, gebietet es der Blick auf die Rechte der Betroffenen und Nebenklägerinnen, dass die Motive für die Mordtat Anerkennung vor Gericht finden.

— Auf dem prozessbegleitenden Blog Adalet Solingen (https://adaletsolingen.org) finden sich Zusammenfassungen zu den Hauptverhandlungstagen. NSU-Watch berichtet in seinen Newsletter-Texten (https://www.nsu-watch.info/newsletter/).

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