Von Kriegern, Waldgängern und todgeweihten Männern
Das Totengedenken der „Deutschen Burschenschaft“
Beim „Burschentag“ in Eisenach stehen neben den organisatorischen Fragen des Verbandslebens auch Rituale auf der Tagesordnung. Das Totengedenken ist das wohl symbolträchtigste Ritual. Es besteht aus dem Fackelmarsch zum Langemarck-Denkmal sowie der Totenrede mit in der Regel anschließendem Gesang. Das Gedenken ist für die Burschenschafter, deren Selbstbild untrennbar mit der deutschen Nation im völkischen Sinne verbunden ist, von hoher Relevanz. Denn „dabei werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Volkes zu einer sinnhaften Einheit verbunden, die Grenze des Todes wird symbolisch überwunden und eine Verbindung zwischen Lebenden und Toten hergestellt“, so Harald Lönnecker in seiner Rede zur Eröffnung des Langemarck-Denkmals 2011.
Mythos Langemarck
Das Langemarck-Denkmal wurde 1933 als Ergänzung zum Burschenschafterdenkmal eröffnet. Der Name verweist auf einen Mythos um eine Schlacht im Ersten Weltkrieg, bei der mehrere tausend deutsche Soldaten getötet wurden. Zu Propagandazwecken übermittelte die Heeresleitung, die Soldaten hätten „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen und seien dem MG-Feuer entgegen gelaufen. Langemarck steht daher für die Heldenhaftigkeit und Opferbereitschaft deutscher Soldaten und die Relativierung deutscher Kriegsschuld. Der Mythos ist zentral im burschenschaftlichen Geschichtsverständnis. Mit ihm kann das nationalistische Selbstbild und seine Tradition gepflegt werden, ohne dass der Nationalsozialismus thematisiert werden muss. Dabei muss nicht zwingend die seit langem als Propagandalüge entlarvte Erzählung aufrecht erhalten werden. Für den Bezug auf den Mythos und das Abrufen der mit ihm verbundenen Traditionen reicht seine Benennung oder Neudeutung, wie sich an den Totenreden zeigt.
Beide Denkmäler verwaltet der Verein Denkmalerhaltungsverein Eisenach e.V., dem nicht nur Mitglieder der DB angehören. Er ist eine der dachverbandsübergreifenden Schnittstellen. Der Verein gibt die Zeitschrift Denkmalgeflüster heraus und ist in der Stadt gut vernetzt. So findet sich zum Beispiel in der Ausgabe Nr. 38 ein Grußwort des Eisenacher Oberbürgermeisters Christoph Ihling, es wird auch von einem persönlichen Gespräch berichtet, zu dem der Verein eingeladen worden sei.
Der Fackelmarsch
Der Fackelmarsch ist das einleitende Ritual des Totengedenkens. Er setzt das Setting und stimmt die Teilnehmer auf die anschließende Rede ein. Die Bedeutung des Fackelmarsches hat der Ritualforscher Burckard Drücker herausgearbeitet: Wie alle Rituale haben demnach Fackelzüge die Funktion, durch ihre Form und Durchführung unsichtbare Wertorientierungen und Weltsichten darzustellen, mit dem Ziel, diese zu legitimieren. Mit einem Fackelzug markiert ein Kollektiv eine symbolische Grenze nach innen und außen, während es langsam, gleichförmig und Raum nehmend einen gemeinsamen Weg zurücklegt. Am Ziel angekommen, ist aus den Einzelnen ein Gemeinsames mit einer Geschichte geworden, an die sich die Beteiligten erinnern können. In diesem Jahr konnte der Fackelmarsch zum ersten Mal im Zentrum der Stadt auf dem Marktplatz starten. Die Stadt Eisenach berief sich nach öffentlicher Kritik auf formale Argumente. Man habe den Fackelmarsch nicht als Versammlung gewertet, daher sei auch keine Genehmigung nötig gewesen. Die Inszenierung wurde nur dank des kreativen Protests von Eisenacher Antifaschist*innen gebrochen, die den öffentlichkeitswirksamen Teil des Fackelmarsches mit „Die Schlümpfe“-Musik untermalten.
Die Totenrede
Nach dem gemeinsamen Anstieg stehen die Burschenschafter für die Totenehrung im Schein der Fackeln zusammen. Die Rede wird von einem der ihren gehalten, richtet sich an das Kollektiv und ist stilistisch zumeist emotional und persönlich verfasst. Es wird ein emotionaler Raum der Selbsterklärung und Selbstbestätigung geschaffen, in dem apokalyptische Erzählungen, die Verachtung der Dekadenz und die Heroisierung des Eigenen dominieren. Diese Motive sind keineswegs neu, es handelt sich um einen „Evergreen aus der langen Tradition des revolutionären Konservatismus“, so Kurt Lenk im Sammelband „Völkische Bande“ von 2005. So verwundert es nicht, dass maßgeblich auf Autoren dieser Tradition, wie Ernst Jünger, Hans Milch oder Edmund Burke, Bezug genommen wird. Das Gedenken dient dazu, den Männerbund über die Generationen und über Entfernungen zu vereinen und den Burschenschaftern eine gemeinsame Sinnstiftung zu geben.
„Wir stehen hier an dem Ort, der uns als Burschenschafter in der Gegenwart in Verbindung zu denen setzt, die uns im Geiste zutiefst verwandt sind und welche leider doch nicht mehr zu uns sprechen können. Um diese unvorstellbare Ferne ein wenig überbrücken zu können, haben wir diese Gedenkstätte für all die Burschenschafter, die in den beiden Weltkriegen als Soldaten gefallen oder in Gefangenschaft umgekommen sind.“ (2014) Die Sinnstiftung basiert rückwärts blickend auf dem „Opfertod“ der Soldaten: „Ihr seid nicht umsonst gefallen. Und um dieses ‚nicht umsonst‘ ringen wir bis heute. Wer sich wie wir als Burschenschafter die Bewahrung des Eigenen aufs Panier geschrieben hat, wird sich zur Wehrhaftigkeit bekennen.“ (2021) Die Gegenwart wird durchweg negativ und vom Untergang bedroht gewertet. Aber heute bedrohe die Burschenschafter nicht mehr die Gefahr des Krieges, vielmehr käme „die reale Bedrohung […] von innen her“. (2019) Das Totengedenken und die Auseinandersetzung mit dem Sterben befähige aber die Burschenschafter, denn das führe zur „Todesweihe“ – und nur „der Todgeweihte erringt eine Stärke, eine charakterliche Festigkeit, eine Unerschütterlichkeit der Seele, die ihn sowohl in Stahlgewittern, als auch im dekadenten Niedergang einer Zivilisation vor der inneren, geistigen Verwesung bewahrt“. (2021)
Heilige Erfahrungen für das völkische Netzwerk
Während Veranstaltungen wie die „Sommerakademie“ in Schnellroda vor allem der intellektuellen Auseinandersetzung dienen, bietet das Totengedenken einen Moment quasi religiöser Erfahrung im Männerbund. Dass die DB eine zentrale Rolle im völkischen Netzwerk von AfD und deren „Vorfeld“ spielt, ist bereits umfassend thematisiert worden (vgl. LOTTA #76). Der Blick auf ihr Totengedenken, bei dem auch Politiker der AfD wie Gordon Engler oder Zacharias Schalley (MdL NRW) als Redner auftreten, zeigt eine weitere Funktion: die Schaffung mythisch aufgeladener Erfahrungs- und Erinnerungsorte.